? Welchen Herausforderungen muss sich ein CIO heute stellen?
Schneider: Ich kann sicher nicht für alle CIOs sprechen. Aber ich persönlich kann meine Herausforderungen in dem Kürzel CSI zusammenfassen: Cost, Security und Innovation.
? Und wie begegnen Sie diesen?
Schneider: Die Kosten adressieren wir in erster Linie über unsere Zentralisierungs- und Standardisierungsanstrengungen, dem Ausbau der AMOS (Allianz Managed Operations & Services SE, Anm d. Redaktion), dem internationalen Shared Service Center der Allianz-Gruppe sowie mit unserem Multisourcing-Ansatz. Security hat bei uns als Versicherung immer Priorität. Das Vertrauen unserer Kunden ist unser wertvollstes Gut. Die Allianz, die als Versicherer sensible Daten vorhalten muss, hat Datenschutz und IT Datensicherheit schon immer zu einem ihrer wichtigsten Themen gemacht. Entscheidend ist, die Privatsphäre des Kunden zu schützen und sein Vertrauen zu erhalten. Angesichts der zunehmenden und immer komplexer werdenden Angriffe müssen wir dem Thema extreme Aufmerksamkeit widmen und das tun wir auch - im Netz, in den Rechenzentren und natürlich an den Endgeräten.
Da wir immer öfter auch mit unseren Kunden online in Verbindung treten, haben wir natürlich auch an dieser Stelle ihnen gegenüber eine Verantwortung. So würden wir unsere Kundendaten niemals in externen Clouds hosten. Vor allem ohne Innovation wird es in den nächsten Jahren nicht gehen - und zwar in den Prozessen, Produkten und Geschäftsmodellen. Beispielsweise holen wir hierfür ganz gezielt Experten ins Haus. Wir versuchen Mitarbeiter, von den großen Innovationsführern zu gewinnen. Das befruchtet das Unternehmen ungemein.
? Sind Zentralisierung und Standardisierung nicht zweischneidig? Auf der einen Seite senken sie die Kosten auf der anderen Seite können sie in einem internationalen Konzern wie der Allianz, der sich nach eigenen Angaben "multilokal" aufgestellt hat, lokale Innovationen behindern?
Schneider: Die wirklich spannende Frage lautet: Wie kann man dezentrale Innovation globalisieren? Wie löse ich eine lokale Idee aus dem jeweiligen Kontext heraus, abstrahiere sie und mache sie in einem anderen kulturellen und wirtschaftlichen Kontext wieder so konkret, dass sie auch dort funktioniert? Daran müssen wir arbeiten. Wenn das klappt, haben wir das Beste aus beiden Welten: Auf der einen Seite globale, performante Prozesse, die von entsprechenden IT-Strukturen unterstützt werden, auf der anderen Seite können wir aber den Ideenreichtum der lokalen Business Units weiter nutzen, um das Geschäft voranzubringen.
IT-Rebellen.de
Das Interview mit Ralf Schneider veröffentlicht die Computerwoche mit freundlicher Genehmigung von IT-Rebellen.de. Dort finden Sie unter anderem weitere CIO-Portraits und spannende Anwenderprojekte . Das vom ehemaligen COMPUTERWOCHE-Herausgeber Christoph Witte betriebene Blog beschäftigt sich mit der neuen Rolle der Enterprise-IT in Unternehmen, die zunehmend als Impulsgeber für geschäftskritische Innovationsprozesse gefordert ist. Das Blog wird finanziell unterstützt von der IBM Software Group.
? Und die globalen Prozesse und IT-Strukturen haben Sie schon?
Schneider: (lacht) Zumindest sind wir auf einem guten Weg. Wir haben inzwischen 35 Prozent der globalen IT-Delivery in der AMOS zentralisiert. Um Ihnen eine Vorstellung des Volumens zu geben: Das sind 35 Prozent von 2,5 Milliarden Euro IT-Ausgaben jährlich. Wir befinden uns definitiv im Übergang von einer dezentralen IT in den verschiedenen Geschäftseinheiten der Allianz hinzu einer globalen IT.
Das ist auch kulturell nicht einfach, die Geschäftseinheiten haben nicht zuletzt auch deshalb eine große Eigenständigkeit, weil die Allianz durch eine sehr erfolgreiche Akquisitionsstrategie in verschiedenen Märkten und Regionen groß geworden ist. Aus Konzernsicht ist Zentralisierung ein großer Vorteil. Sie können Skaleneffekte nutzen, Einkaufsmacht konzentrieren und bekommen auch bessere Leute - weil big nicht nur beautiful ist, sondern auch spannendere IT-Projekte verspricht. Aber aus lokaler Sicht ist das nicht immer ein Vorteil, die lokalen Verantwortlichen büßen ein Stück Selbstbestimmung und Kapazitäten ein.
? Und was können Sie den lokalen CIOs anbieten?
Nur wenn der CIO der jeweiligen Organisationseinheit einen Vorteil in der globalen Aufstellung sieht, unterstützt er sie auch. Beschleunigen lässt sich diese Akzeptanz nur durch Kommunikation. Man muss reden, überzeugen. Reden über die lokalen Herausforderungen und wie man ihnen trotz oder gerade wegen der globalen IT-Aufstellung besser begegnen kann. Außerdem ist die IT die Manifestation der Prozessarchitektur eines Unternehmens. Deshalb darf man die IT nicht unabhängig sehen vom Chief Operating Officer und vom Betriebsmodell des Unternehmens.
Wir überzeugen über Inhalte. Wenn wir einfach per Order sagen würden, wir packen alles zusammen in eine globale Organisation, dann würde das viele Friktionen bringen. Jede Organisation verträgt nur ein gewisses Maß an gleichzeitiger Veränderung. Wenn man das Maß zu hoch ansetzt, entsteht zu viel Unsicherheit und das wiederum gefährdet einen reibungslosen Prozessablauf. Wir sprechen hier wohlgemerkt nicht nur über die administrative IT, die IT betrifft die gesamte Produktion des Konzerns. Ohne sie können die Geschäftsbereiche nicht erfolgreich sein und deshalb ist das natürlich ein höchst sensibles Thema.
Wir haben mit Christof Mascher einen sehr IT-affinen Group-COO, der selbst einmal die IT der Allianz Deutschland verantwortet hat. Das hilft natürlich. Aber trotzdem ist auf lokaler Ebene oder in den Business-Lines sehr viel Überzeugungsarbeit nötig.
? Helfen nicht auch die enormen Herausforderungen, denen Versicherungen gegenüberstehen, bei der Einsicht in die Vorteile einer globalen IT-Steuerung?
Schneider: Die Einsicht resultiert auch noch aus etwas anderem. Man ist gemeinsam stärker als allein. Das ökonomische Paradigma sticht: Economies of shared experiences. Man kann die Herausforderungen eines globalen Konzerns als lokaler CIO nicht mehr allein lösen. Vor allem wenn man Unternehmen wie Amazon und Google betrachtet, die ja teilweise den internen IT-Abteilungen Konkurrenz machen. Aber wir lernen.
Zum Beispiel haben wir vor einiger Zeit eine IT-Jam-Session organisiert, in die sich innerhalb einer halben Stunde weltweit 780 Allianz-ITler eingeloggt haben. Die lokalen IT-CIOs erfahren langsam, dass sie erfolgreicher agieren können, wenn sie nicht nur den Fokus auf ihren Unternehmensteil legen, sondern wenn sie Teil der größeren IT-Community der Allianz werden. Das ist sehr spannend, wenn sie sich zu begreifen trauen, dass die IT-Delivery in Bratislava oder in Indien vielleicht besser ist als ihre lokale und sie ihre eigene Organisationeinheit schneller voranbringen können, wenn sie diese Kapazitäten nutzen.
? Wie viel Zeit benötigen Sie für diese Transformation?
Schneider: Wir wollen das innerhalb der nächsten 5 Jahre schaffen. Dann müssen wir global aufgestellt sein, mit der globalen Delivery auf der einen Seite und mit lokalen IT-Organisationen auf der anderen Seite, die den Demand formulieren können und Innovationen aus ihrem lokalen Geschäft in die gesamte Organisation tragen können.
? Welche Rolle spielt dabei die AMOS als Shared Service Center?
Wie ich schon gesagt habe, befinden wir uns noch in der Transformation. In Deutschland zum Beispiel ist die IT der Allianz bereits zu 50 Prozent eine Demand-Organisation. Sie beauftragt die AMOS und fertigt in der IT nur noch zur Hälfte selbst. Frankreich und Italien bewältigen ihre Delivery zu großen Teilen selbst. Schweiz und Österreich dagegen sind inzwischen als reine Demand-Organisationen aufgestellt. Wir gehen Schritt für Schritt vor und stellen die regionale IT auf reine Demand-Organisationen um. Die regionalen Delivery-Organisationen gehen in den globalen Delivery-Strukturen der AMOS auf. Die Demand-Organisationen bleiben natürlich intakt, damit wir dem Prinzip des lokalen Business weiter folgen können.
? Ist eine solche Organisation nicht schwer zu steuern?
Das mag schon sein, aber meiner Ansicht nach geht das nicht anders. In einer globalen IT ist alles erstens unglaublich schnell, zweitens müssen ihre Leistungen für alle von der Qualität und Kosten her transparent sein und drittens müssen ihre Lösungen individualisierbar sein, ohne dass sie sich im Kern, den Prozessen verändern. Das heißt, eine global aufgestellte IT muss in unserem Fall die Wünsche unserer verschiedenen Versicherungsmarken berücksichtigen.
Denken Sie an Google, Amazon, Facebook und andere große Internetmarken. Die haben bewiesen, dass man standardisieren kann und weltweit gleichartige, qualitativ gute Prozesse betreiben kann, die die individuellen Kundenwünsche zufriedenstellen. Die neuen Internetstars haben geschafft, etwas zu skalieren, das als unmöglich galt: Die Kundeninteraktion. Aber wenn man genau hinschaut, ist zum Beispiel die Art der Interaktion bei Facebook überall auf der Welt gleich, nur die Inhalte sind individuell. Dieser Logik sollten wir auch folgen. Teilweise tun wir das bereits.
Versicherer denken und vernetzen heute anders als vor zehn Jahren. Das Geschäft fächert sich auf. Auf der einen Seite sehen wir immer mehr sogenannte Mashups, in denen Versicherungen mit ganz anderen Produkten kombiniert werden. Denken Sie an Reiseportale, bei denen Angebote zur Reiserücktrittsversicherung oder Gepäckversicherung "eingeschossen" werden und direkt online über das entsprechende Portal abgeschlossen werden können. Auf der anderen Seite wird die persönliche Sicherheitsberatung zunehmen.
Dort werden für Kunden je nach Lebenssituation individuelle Pakete geschnürt, die ihre jeweilige Risiko-Situation abbilden. Und natürlich wird es weiterhin das klassische Versicherungsgeschäft geben. Insgesamt werden wir sehr viel mehr, digitale Kundeninteraktionen und -abschlüsse haben. Die Kunden werden entweder über unsere Partner oder über uns direkt online Versicherungen abschließen. Diese Vervielfältigung der Geschäftsbeziehungen und -kanäle stellt die IT als Produktionszentrum der Versicherung vor große Herausforderungen, die ich schon ganz am Anfang erwähnt habe: Cost, Secrurity und Innovation. Denen können wir nur begegnen, wenn wir uns einerseits global aufstellen und andererseits Innovationen aus dem lokalen Geschäft heraus erzeugen und global ausrollen.