Digitaler EU-Binnenmarkt (Teil 1)

Wie die deutsch-französische Digitalpolitik funktioniert

01.02.2019
Von  und Pierre-Adrien Hanania


Marc Reinhardt leitet als Executive Vice President bei Capgemini die Markteineit des Öffentlichen Bereichs und ist somit verantwortlich für die Kunden in den Bereichen öffentliche Verwaltung und Sozialversicherung in Deutschland. Er ist Mitglied des Präsidiums der Initiative D21 sowie Mitglied im Nationalen IT-Gipfel der Bundesregierung.
In der Digitalpolitik zeigen Frankreich und Deutschland bei vielen Projekten wie IT-Sicherheit, Digital Education und Startup-Förderung schon große Gemeinsamkeiten auf. Die Digitalpolitik ist entscheidend für die Zukunft Europas.
Die Digitalpolitik ist nicht nur für die Zukunft von Frankreich und Deutschland, sondern für ganz Europa entscheidend.
Die Digitalpolitik ist nicht nur für die Zukunft von Frankreich und Deutschland, sondern für ganz Europa entscheidend.
Foto: danielo - shutterstock.com

Ob Artificial Intelligence, flächendeckende Infrastruktur oder IT-Sicherheit: Im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung muss jeder Staat eine Strategie entwickeln, um eine zeitgemäße Politik zu betreiben. Diesen Auftrag hat die Exekutive in Frankreich und Deutschland wahrgenommen: Ausführliche digitale Agenden (Digital Agenda 2014-2017, Bundeskanzleramt, Strátegie nationale du numérique.) und die Schaffung von Strukturen wie Posten für Staatssekretäre und ständige Ausschüsse im Parlament zeugen davon. Dabei stehen beide Länder vor denselben Herausforderungen.

Trotz der nationalen Eigenheiten zeigen sich beim Vergleich von Macrons Politik und dem Koalitionsvertrag (Koalitionsvertrag 2018 zwischen CDU, CSU und SPD) viele Gemeinsamkeiten. Hier liegt viel Potenzial für eine fruchtbare deutsch-französische Digitalpolitik, wie dieser Beitrag zeigt. Doch für einen bilateralen oder gar europäischen Ansatz müssen die nötigen Weichenstellungen noch erfolgen. Welche das sind, wird Thema vom kommenden Teil 2 dieses Artikels sein.

Frankreich und Deutschland im Vergleich

Der Breitbandausbau ist in aller Munde: Es soll eine flächendeckende digitale Infrastruktur und das Recht auf Zugang zu schnellem Internet geben, in Frankreich ab 2022 und in Deutschland ab 2025. Dabei werden die ländlichen Regionen sowie bisher nicht berücksichtigte Altersgruppen explizit erwähnt. Nach dem 4G-Standard kommt nun also 5G, ein Bereich in dem die Koalition Deutschland zum "Leitmarkt" entwickeln will, wie es im Koalitionsvertrag formuliert wurde.

Die Planungen zur IT-Sicherheit und E-Privacy sind in beiden Ländern nahezu identisch, wobei in Deutschland der Datenschutz eine größere Rolle spielt als im Nachbarland. Diese Bedeutung wird unter anderem verkörpert durch Jan-Philipp Albrecht, einem Vordenker des Datenschutzes, der bei der Umsetzung der europäischen Datenschutzverordnung (DSGVO) eine zentrale Rolle spielte.

Der deutsch-französische Politiker der Grünen saß neun Jahre lang im Europäischen Parlament und ist heute Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein.

Startups in Europa gezielter fördern

Ebenso sind beide Nationen bemüht, ein unternehmerfreundliches Ökosystem zu schaffen. Während Deutschland insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen sowie die Vernetzung von Gründern und Mittelstand in den Fokus nimmt, steht in Frankreich die Förderung von - auch europäischen - Startups im Mittelpunkt. "I want France to be a Startup nation", kündigte Macron bei der VivaTech Conference an. Mit der Fortführung des French Tech Visum und erleichterten Visarichtlinien will Frankreich für Gründer aus der ganzen Welt attraktiver werden - eine von vielen startup-freundlichen Maßnahmen.

Hiervon sollte sich auch Deutschland inspirieren lassen, um den brain drain europäischer Talente Richtung Silicon Valley umzukehren. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist, dass beide Länder an einer einheitlichen europäischen Definition von Startups arbeiten wollen, um die Förderung so zielgerichteter zu betreiben.

Die digitale Verwaltung: Die Agenda steht, Investitionen fließen

Über die Marktwirtschaft hinaus heißt es auf beiden Seiten: Die moderne Verwaltung von morgen wird digital sein. Sie soll über eine "vollständig elektronische Vorgangsbearbeitung" sowie ein digitales Portal für Bürgerinnen mit Zugang zu allen Verwaltungsdienstleistungen verfügen. In Deutschland soll weiterhin eine elektronische ID umgesetzt werden.

Einer landesweiten Datenbank in Frankreich und dem Once-Only-Prinzip in Deutschland, sprich der einmaligen Erlaubnis zur Datennutzung für verschiedene Behörden und Zwecke, werden ebenfalls große Bedeutung beigemessen. Immerhin sind heute europaweit zwei von drei Behördendienstleistungen online verfügbar, wie der eGovernment Benchmark 2018 der EU-Kommission kürzlich ermittelte.

E-Justice, E-Health, Smart City und Digital Educcation

E-Justice, E-Health, Smart City oder Digital Education sind weitere Punkte auf der Agenda. Im Rahmen nationaler Fonds stellt Frankreich beispielsweise erhebliche finanzielle Mittel hierfür zur Verfügung. Laut dem Grand Plan d'Investissement (Großer Investitionsplan) sollen etwa 4,9 Milliarden Euro zwischen 2018 und 2022 in die Digitalisierung des Gesundheitswesens fließen. Auch Deutschland legt mit dem Digitalpakt Schule (fünf Milliarden Euro laut Bundeshaushaltsplan), der Hightech Strategie oder dem Ziel eines Open University Netzwerkes konkrete Pläne vor - von der Grundschule bis hin zurzeit nach dem Studium.

Fazit: Ambitioniertes Projekt EU-Binnenmarkt

Die Digitalpolitik ist nicht nur für die Zukunft beider Staaten, sondern für ganz Europa entscheidend. Beide Länder sind bereits auf europäischer Ebene an dem ambitionierten Projekt eines europäischen digitalen Binnenmarktes beteiligt. Der französische Präsident Macron ist zudem zuletzt in vielerlei Hinsicht mit konzeptionellen Vorschlägen auf Deutschland zugegangen. Im Gegensatz zur oftmals vorherrschendenden Meinung ist es bei der Digitalpolitik nicht Deutschland, sondern Frankreich, das einen stärker europäisch ausgerichteten Fokus einnimmt - analog zum europa-zentrierten Wahlkampfs Macrons.

Viele Herausforderungen sind natürlich auch weiterhin auf nationaler Ebene zu bewältigen. Doch eine stärkere bilaterale und letztlich europäische Perspektive wäre nicht nur für die EU, sondern für Deutschland selbst von Vorteil. An welchen Stellschrauben dafür gedreht werden muss, wird Gegenstand des nächsten Beitrags zur deutsch-französischen Digitalpolitik sein.