Der Werkstattmeister hält sein iPad über den Motorraum des neuen Autos und scannt ihn mit der Kamera. Für den Einbau eines Ersatzteils bekommt er via App detaillierte Anweisungen. Zeitgleich wird zuhause am Smartphone von seiner Frau das neue Wohnzimmer geplant. Regalsysteme, Esstische und Sofas werden in den Raum projiziert, ausgewählt, verworfen, bestellt. Ein neuer Teppich muss ebenfalls noch her. Ein Klick und die Möbel werden passend miteinander kombiniert. Im Zimmer nebenan sitzt der Sohn mit dem Tablet und bereitet seine Klassenarbeit vor. Dazu scannt er mit der Kamera sein Lehrbuch und erlebt mittels Augmented Reality ein völlig neues Lese- und Lernerlebnis. Der längst ausgestorbene Tyrannosaurus Rex wird in 3D-Simulationen lebendig und Sohnemann hat wieder Spaß am Lernen. Die 18-jährige Tochter des Paares kommt gerade aus der Uni und blättert in der U-Bahn in einem Lifestyle-Magazin. Während sie den Artikel über die FashionWeek in Berlin liest, schaut sie sich zusätzlich auf ihrem Smartphone die auf den Magazinseiten integrierten Interview-Videos mit den Designern an.
Die "erweiterte Realität" ist in der Gegenwart angekommen
Das sind keine Szenarien aus der Zukunft. Bereits heute ist es möglich, die virtuelle Welt mit der Realität zu verknüpfen und live erfahrbar zu machen. Die Methodik heißt Augmented Reality (AR), was so viel wie "erweiterte Realität" bedeutet und zugegebenermaßen etwas futuristisch klingt. Die Technologie ist aber nicht neu. Bereits in den 1960er Jahren wurden erste Konzepte dazu vorgelegt, die freilich noch sehr viel mit Vision zu tun hatten. Noch vor der Einführung des iPhones im Jahre 2007 haben Unternehmen, meistens aus dem Automobilbereich, auf dem Gebiet der Augmented Reality (AR) geforscht. In dieser Zeit hat man noch mit großen PC's, externen Bildschirmen und Kameras gearbeitet. Ringsherum machte sich überall Kabelsalat breit. Mit den Smartphones beginnt eine echte Revolution für Augmented Reality. Nicht nur, weil die Geräte in jede Hosentasche passen, sondern vor allem, weil man auf eine komplexe Sensorik zurückgreifen kann.
Bei der Augmented Reality können heute mittels Livebild der Kamera eines Smartphones, oder aber auch eines Tablets oder einer Datenbrille zusätzliche virtuelle Daten auf Printprodukten, realen Gegenständen bzw. in der tatsächlichen Umgebung des Nutzers angezeigt werden. Die physische Welt wird so crossmedial mit der digitalen verknüpft und neue emtionale Erlebniswelten können geschaffen werden. Das kann zum einen viel Spaß machen wie im Bereich Games, Entertainment oder im Marketing. Es gibt heute aber bereits durchaus "ernste" Applikationen: Zum Beispiel die App eines bekannten PKW-Herstellers mit der man bis zu 300 unterschiedliche Komponenten im Cockpit oder im Motorraum scannen kann und dazu nützliche Informationen erhält. Oder die Katalog App eines bekannten Einrichtungshauses, die es dem Nutzer ermöglicht virtuelle Möbelstücke in den eigenen realen Räumen auszuprobieren.
Eine hohe Nachfrage nach AR-Anwendungen kommt mittlerweile aus der Industrie. Hier hat man den Mehrwert der Technologie für Service- und Wartungsanwendungen und vor allem für Schulungsszenarien entdeckt. Dabei ist es übrigens egal, welche Branche. Die Vorteile von Augmented Reality liegen auf der Hand: das Interagieren mit der Realität und das Abrufen von Informationen in Echtzeit - da wo man sie braucht. Wer die Technologie einmal ausprobiert hat, ist meistens auch von seinem Nutzen angetan.
"AR" bietet enorme Erleichterungen für die Arbeitswelt
Unternehmen, die heute gutes Marketing betreiben und ihre Kunden zufriedenstellen möchten, lassen sie interaktiv an ihren Produkten teilhaben. In Zeiten, in denen es in Unternehmen hauptsächlich um Kostenoptimierung, Effizienzsteigerung, Potenzialanalyse und Aufwandsminimierung geht, möchte keiner mehr ein Risiko eingehen. Gerade in der Industrie, in der immer komplexere Maschinen und Bauteile produziert werden und die für ihre Instandhaltung immer mehr technisches Knowhow erfordern, wird es zunehmend wichtig, sich interaktive Hilfe zu holen.
Wo früher auf das Wissen im eigenen Kopf und auf umständliche Bedienungsanleitungen zurückgegriffen wurde, reicht heute ein Griff zum Tablet-PC oder Smartphone. Augmented Reality macht es möglich. Bisher lassen komplizierte Cockpits in modernen Fahrzeugen Autofahrer schier verzweifeln. Die Kurzinfo App der bekannten Automobilhersteller ist ein interaktives Handbuch, mit dem Elemente im Fahrzeugcockpit für die Smartphone-Kamera lesbar gemacht werden. Der Nutzer muss nur noch die Kamera auf ein Objekt halten und sofort erscheint die entsprechende interaktive Anleitung auf dem Handybildschirm. Ein weiterer bekannter Automobilhersteller nutzt das sogenannte MARTA-Tool (= Mobile Augmented Reality Technical Assistance), das mit einem Münchner Spezialisten für Augmented Reality-Lösungen über mehrere Jahre entwickelt wurde, um Servicemitarbeitern Schritt für Schritt auf dem Tablet Informationen über einzusetzende Werkzeuge und Arbeitsschritte liefern zu können.
Auch die Unterstützung aus der Ferne ist bereits möglich: Bei der sogenannten "Remote Maintenance" werden dem Techniker vor Ort von seinem Kollegen im Büro am PC die Stellen markiert, an denen der Techniker ansetzen muss. Dieser sieht die Information in Echtzeit auf dem Bildschirm seines Tablet-PC's beziehungsweise später direkt auf seiner Datenbrille. Für Servicearbeiten aus zahlreichen Themenfeldern bedeutet dies einen enormen Gewinn an Effizienz und geringere Fehleranfälligkeit. Natürlich verbunden mit Kosteneinsparungen auf beiden Seiten, beim Kunden und beim Serviceanbieter.
Die Chancen und Möglichkeiten, die Augmented Reality bietet, sind grundsätzlich unerschöpflich. Vor allem in der Aus- und Weiterbildung, in Trainings und Schulungen wird die Technologie eine große Rolle spielen. Demnächst werden in den Schulbüchern unserer Kinder interaktive Inhalte angezeigt und ihnen somit Zugang zu weiteren Bildungsmaterialien ermöglicht werden. Medizinisches Pflegepersonal und (angehende) Ärzte werden fikitive Behandlungen simulieren oder gar AR-Unterstützung während der Operation an Datenbrillen nutzen können.
Datenbrillenflut - jedoch gibt es immer noch drei Problemzonen zu bearbeiten
Wir wandeln uns zu Informationsjunkies, die immer und jederzeit wissen wollen, was um sie herum und am Ende der Welt passiert. Schon jetzt ist unser Leben so mobil wie nie zuvor: 40 Prozent aller deutschen Internetnutzer (Quelle: TNS Infratest "Initiative D21", 2013) lesen Inhalte auf ihren mobilen Endgeräten. Als Google 2012 die Produkteinführung der Google Glass bekanntgegeben hat, schien Augmented Reality endlich auch in der Welt der Endkunden angekommen zu sein. Mittlerweile sind eine ganze Reihe anderer Datenbrillen auf den Markt gekommen. Facebook sorgte mit dem Kauf von Occulus Rift für wilde Spekulationen. Microsoft präsentierte erst in diesem Jahr sein Hololens-Konzept, dass Virtual Reality mit Augmented Reality verbindet und damit noch einmal einen Meilenstein in der Technologieentwicklung markiert. Zusätzlich treten derzeit vielversprechende Kombinationen aus bestehenden Smartphones als AR-/VR-Brille auf den Markt. Gerade diese Smartphone-Lösungen einer Datenbrille sind qualitativ hochwertig, universell einsetzbar und gleichzeitig sehr günstig in der Anschaffung.
Bisher steht man jedoch noch den drei wichtigsten Problemen mobiler Endgeräte gegenüber: der hohe Energieverbrauch mit der ungenügenden Akkulaufzeit und die noch unzureichende Geschwindigkeit sowie gerade in Deutschland die ungenügende Netzanbindung, die AR einschränken. Sind diese Probleme behoben, wird die Vorstellung einer nahezu vollständig erweiterten Umwelt 24 Stunden am Tag, zum Greifen nah. Welche Endgeräte wir dann nutzen werden - vielleicht die AR-Kontaktlinse? - oder ob Endgeräte in Zukunft überhaupt noch notwendig sein werden, ist die große Frage, die momentan noch unbeantwortet bleibt. Die Zukunft wird auf jeden Fall spannend.