Es ist Freitag 17:20 Uhr. Ich habe meinen PC bereits ausgemacht und freue mich auf ein entspanntes Wochenende. Plötzlich höre ich ein Handyklingeln. Hm, wo ist mein Handy? Bis ich es endlich in Händen halte, ist es bereits verstummt. Nach weiteren 10 Minuten klingelt es ein zweites Mal. Ich überlege: Vielleicht ist es ja Sandra Bullock, die sich mit mir treffen will? Meine Neugier siegt und ich nehme das Gespräch an.
Zwei Minuten Bedenkzeit für den Freiberufler
Es ist leider nicht Sandra Bullock, sondern eine etwa 20 Jahre jüngere Ausgabe von Sandra mit einer sehr energischen Stimme. Sie stellt sich kurz als Recruiterin eines großen Personalvermittlers vor. Sie kommt gleich zur Sache und fragt mich im schneidigen Kasernenton: "Haben Sie schon meine E-Mail gelesen?"
Ich wollte Klein-Sandra noch darauf hinweisen, dass ich trotz meines fortgeschrittenen Alters noch ganz gut höre. Ich lasse es dann aber und halte stattdessen den Telefonhörer etwas weiter weg.
"Nein, habe ich nicht."
"Ich habe Ihnen vor 20 Minuten eine E-Mail geschickt. Ich suche für eine Versicherung einen Projektleiter."
"Ich habe meinen PC schon ausgemacht." sage ich schon fast entschuldigend.
"Dann lesen Sie sich die Ausschreibung durch. Ich habe dem Kunden zugesagt, dass ich ihm bis 18:00 Uhr drei Kandidaten präsentiere."
Sie hat dem Endkunden eine Zusage gegeben, ohne vorher mit mir zu reden. Und ich soll mich jetzt in zwei Minuten mit ihr einigen? Höflich, wie ich bin, bitte ich sie dennoch, mir kurz die Projektbeschreibung zu erläutern.
Sie führt aus: "Eine Versicherung in Nordrhein-Westfalen sucht einen Projektleiter. Die Laufzeit beträgt drei Monate. Es gibt aber eine hohe Wahrscheinlichkeit auf Verlängerung."
"Nun ja, Sie sagen Nordrhein-Westfalen. Ich finde es schon einen Unterschied, ob ich nach Bonn oder Münster fahren muss. Können Sie da etwas konkreter werden?"
"Der Projektstandort spielt keine Rolle. Mir läuft die Zeit davon. Sie wissen, was Sie wissen müssen. Mehr kann und will ich nicht sagen. Wie hoch ist Ihr Stundensatz?"
Langsam glaube ich, ich bin im falschen Film und fange an sauer zu werden. Dann atme ich zwei Mal tief durch und lasse mein Chi fließen. Ruhig und bestimmt gebe ich als Antwort: "Ich schaue mir Ihre Ausschreibung in Ruhe an. Wenn ich Interesse daran habe, werde ich mich am Montag bei Ihnen melden."
Etwas patzig antwortet Klein-Sandra: "Dann sind Sie raus und ich werde einen anderen Kandidaten präsentieren."
Personalvermittlung im Eiltempo: Wer fragt da nach Qualität?
In dem guten Gefühl das Richtige getan zu haben, verabschiede ich mich höflich und lege auf. Kopfschüttelnd frage ich mich, was das Ganze sollte. Aus über 20 Jahren Erfahrung in Versicherungsprojekten weiß ich, dass in einer Versicherung am Freitag ab 16:00 Uhr eh nichts passiert. Dass sich um diese Uhrzeit der IT-Einkauf ein Profil anschaut und etwas entscheidet, ist in etwa so wahrscheinlich wie ein Meteoriten-Einschlag vor dem Kölner Dom.
Was ist schief gelaufen? Der Personalvermittler verspricht dem Einkauf, die vakante Stelle sehr schnell, auf Neudeutsch ASAP zu besetzen. Bei dem Bemühen um Schnelligkeit bleibt dann die Qualität auf der Strecke. Es gibt kein persönliches Kennenlernen, kein Assessment-Center und keine Überprüfung der Angaben im Profil. Es gibt nur Hopp oder Top.
So schnappe ich mir meine Zeitung und träume wieder. Vielleicht ruft beim nächsten Mal doch die richtige Sandra an? Oder vielleicht eine Personalvermittlerin mit etwas mehr Zeit?
Der Text erschien im IT-Freelancer-Magazin.
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