Wer innerhalb von sieben Jahren eine Fusion und mehrere Firmenaufkäufe übersteht, muss eine funktionierende Unternehmenskultur haben. Wo Mitarbeiter bei einem solchen Szenario ansonsten in Scharen davonlaufen, hält sich die Fluktuation bei Unitymedia in Grenzen. Der Kabelnetzbetreiber aus Köln, der jetzt zum Konzern Liberty Global gehört, scheint in Sachen interner Kommunikation nach der Fusion jedenfalls vieles richtig gemacht zu machen. Ein Grund war die Implementierung eines E-Learning-Systems. "Das virtuelle Lernsystem hat den Kulturwandel unterstützt", erklärt Felix Schumann, Manager Organisationsentwicklung, das Erfolgsgeheimnis.
Besseres Feedback für Führungskräfte und Mitarbeiter
Die Mitarbeiter seien mit den angebotenen Weiterbildungsmöglichkeiten und ihren persönlichen Entwicklungschancen unzufrieden gewesen, erinnert sich Schumann. Eine Umfrage brachte ans Licht, dass lediglich 46 Prozent der Beschäftigten die aktuellen Angebote für gut befanden. Nach der schlechten Bewertung handelte der Telekommunikationsdienstleister und änderte die Feedback-Kultur für die 2500 Mitarbeiter. Kollegen und Vorgesetzte geben und bekommen heute 360-Grad-Rückmeldungen. Die Ergebnisse der Feedbacks werden zwischen Kollegen besprochen. Einen sich daraus ergebenden Schulungsbedarf klären wiederum Führungskräfte und Mitarbeiter miteinander.
IT-Training, Desktop- und Produktschulung online
Mit diesem Schritt ist eine neue Kommunikationskultur entstanden. Mitarbeiter können im Gespräch vereinbaren, welche Schulungen und Kurse sie besuchen wollen. Parallel dazu nutzt Unitymedia die Online-Lernplattform Skillport. 420 Kurse sind dort aufrufbar, von IT-Trainings über Desktop-Schulungen bis hin zu eigens erstellten Unitymedia-Produktschulungen. Letztere sieht Schumann als Hauptgrund, warum sich E-Learning binnen eines Jahres nach Projektstart im Unternehmen etabliert hat. Innerhalb dieser Zeit wurden rund 250 Mitarbeiter zu Dauernutzern des Lernportals. Sie absolvieren die Trainings komplett bis zum Ende.
Lernen "on the Job" und ohne Google
Die Anzahl der punktuell Lernenden sei aber, so Schumann, ebenso vielversprechend. Dabei handelt es sich um User, die gezielt in einen Kurs klicken, um dort konkrete Informationen abzurufen. Dieses Lernen "on the Job" ersetzt oftmals das Googeln. Mit dem Vorteil, dass die Informationen in den Kursen geprüft und validiert sind - was bei Suchergebnissen aus dem Netz nicht der Fall ist. Auch wächst das Vertrauen in E-Learning-Inhalt mit jeder schnell gefundenen Information. So werden Schumann zufolge aus punktuellen Schülern rasch Fans der virtuellen Lernwelt. Wichtig sei in diesem Zusammenhang der strategische Nutzen des virtuellen Lernens, betont der Psychologe. Unitymedia will mit der Einführung von E-Learning als Bildungsmittel den digitalen Wandel nutzen. Zudem sollen Kosten von Trainern, Reisen und Seminarräumen sinken.
- Pro: Prozesse optimieren
Fachbereiche können durch Online-Schulungen die Einführung neuer Geschäftsprozesse forcieren oder bereits bestehende optimieren. - Pro: Verfügbarkeit der Lerninhalte
Einer der größten Vorteile des E-Learning besteht in der ständigen Verfügbarkeit und Wiederholbarkeit des Lernstoffes. Jeder Mitarbeiter kann sein Lernpensum nach Bedarf realisieren. Ein weiterer Vorteil liegt in der Möglichkeit, eine Vielzahl von Mitarbeitern an verschiedensten Arbeitsplätzen und Außendienststellen gleichzeitig zu neuen Produkten, Konditionen, Gesetzmäßigkeiten zu schulen. - Kontra: Teure Anschaffung
Die meisten kleinen und mittelständischen Betriebe scheuen die Investition in E-Learning-Systeme, weil auf sie zugeschnittene Individuallösungen sehr kostspielig sind. - Kontra: Motivation
Die Akzeptanz und Motivation von Mitarbeitern lässt in Sachen E-Learning oft zu wünschen übrig. - Kontra: Selbstlernkompetenz
Viele Personal-Manager bezweifeln die Selbstlernkompetenz der einzelnen Mitarbeiter.
Firmenspezifischer E-Laerning-Kurs
Vor diesem Hintergrund hat Unitymedia mit Hilfe von Hersteller Skillsoft einen eigenen, firmenspezifischen E-Learning-Kurs mit folgenden Zielen erstellt:
die Lernkultur zu verändern,
die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern, und
einen strategischen Nutzen zu erzielen.
Dieser Kurs lehrt den komplexen Vorgang von der Bestellung bis zum Warenversand. Bei mehr als sieben Millionen Kunden ist dieser Prozess einer der wichtigsten Bausteine im Arbeitsalltag der Unitymedia-Mitarbeiter. Wer ihn perfekt beherrscht, arbeitet effektiver und steigert somit Umsatz und Gewinn. Darüber hinaus sorgt dieses Ergebnis für mehr Zufriedenheit im Job. Denn TV- oder Telefonie-Abos wollen verkauft, und Daten etwa nach Umzug oder Tarifwechsel rasch und reibungslos gepflegt werden. Schulungen sind demnach essentiell. "E-Learning hilft uns bei der schnellen Umsetzung", verdeutlicht Schumann. Anstelle von zwei Trainern, die zwischen Villingen-Schwenningen und Kassel 600 Kollegen aufwendig schulen, wird das Training vom Online-Kurs übernommen. Vorteil für die Lernenden: sie sind nicht an Seminarorte und -zeiten gebunden. Vielmehr kann jeder nach seinem individuellen Lernbedürfnis und in seinem persönlichen Lerntempo die Inhalte verinnerlichen.
Viel Lernstoff häppchenweise verdauen
Textreiche Kurse, so die Erfahrung von Schumann, werden hingegen von den Mitarbeitern nur ungern geklickt. Gerade Compliance-Kurse, die wichtig sind, seien aber oft mit viel Text und Stoff versehen. Wenn man das nicht ändern kann, ist der Rat des HR-Experten "in Häppchen zu lernen". Damit das Lernen angenommen wird, hat er über einfache Regeln und intelligente Hilfestellungen nachgedacht, die zum Lernen animieren. Zunächst hat das Unternehmen mit dem Betriebsrat vereinbart, dass die Lernzeit zur Arbeitszeit gehört. Um ungestört lernen zu können, empfiehlt Schumann, die Zeit mit einem Outlook-Termin zu blocken. Und Stopp-Schildchen am Arbeitsplatz können den Kollegen signalisieren, beim E-Learning nicht zu stören.
- E-Mails, Fernseher und ...
... andere Aufmerksamkeitsfresser lenken ab. Am besten alle Störer ausschalten. - Lernort und -zeit ...
... sollten möglichst immer gleich sein. Eine Ritualisierung verkürzt und erleichtert die Eingewöhnung. Der Lerner ist schneller produktiv. - Prüfungsangst...
... schwächt sich ab, wenn Lerner glauben, den Stoff gut bewältigen zu können. - Kurztests ...
... innerhalb eines Lernmoduls erhöhen die Aufmerksamkeit und steigern die Merkfähigkeit.
Wichtig sei zudem, dass eigenverantwortlich gelernt wird. "Das Portal ist offen", sagt Schumann. Alle Kurse stehen allen Mitarbeitern zu Verfügung. Jeder Mitarbeiter kann Trainings aller Hierarchien buchen. So sieht der Sachbearbeiter, welche Kurse etwa zum Thema Mitarbeitergespräch oder Motivation seinem Chef zur Verfügung stehen und kann diese ebenso absolvieren. "Wir wollen diese Transparenz", erklärt Schumann. Sie sei Pfeiler der Firmenkultur. Auf ihr würden die Prinzipien der eingeführten Lernsoftware fußen, nämlich Akzeptanz, Integration und Qualität. Sie seien die Basis für erfolgreiches E-Learning.
E-Learning mit Blended Learning verknüpfen
In Bezug auf die Qualität ist wichtig, so die Erfahrung Schumanns, die Lerneinheiten vorab einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. Ebenfalls unerlässlich sei Abfrage von Fachbereichsthemen. Dadurch werde sichergestellt, dass Kompetenzen und Fähigkeiten abgedeckt würden. "Bezüglich Reporting haben wir uns vorab mit dem Betriebsrat abgestimmt", sagt der HR-Experte. Damit kann Unitymedia umfassende und qualitativ hochwertige Daten erheben. Ein weiteres Qualitätsmerkmal entstehe beim Verknüpfen von E-Learning mit Präsenzschulungen - also Blended Learning.
Jährlich sechs Kurse pro Mitarbeiter
Eine Webinar-Reihe mit Skillsoft, eine HR-Infoveranstaltung für Führungskräfte und eine interne Roadshow sorgen außerdem dafür, dass die entscheidenden Zielgruppen früh über das Lernprogramm informiert sind. Im Schnitt absolviert jeder Kollege im Jahr bislang sechs Trainings.
Bereits nach knapp einem Jahr sind die Ergebnisse durchweg positiv. "Die Nachfrage nach E-Learning aus den Fachabteilungen steigt an. Gleiches gilt für die Transparenz der Online-Tools im Unternehmen", bilanziert Schumann. Gleichzeitig konnte Unitymedia Einsparungen im unteren fünfstelligen Bereich erzielen. Und schlussendlich wurde auch die Mitarbeiterzufriedenheit um 18 Prozent deutlich verbessert. Mit heute 64 Prozent gilt sie unter Personalern als Spitzenwert. "Die Kollegen wertschätzen vor allem die Eigenverantwortung für das Online-Lernen", verdeutlicht Schumann. Für ihn eine Folge des Dreiklangs: Lernkultur - Mitarbeiterzufriedenheit - strategischer Nutzen. (pg)