IT-Produktivitätsparadoxon überwinden

Wege zur Produktivitätssteigerung

13.02.2016
Von 


Oliver Blüher ist Regional Managing Director bei Solera Inc.
Arbeits-Produktivität ist in Zeiten der Digitalisierung mehr denn je abhängig vom technologischen Fortschritt. Wäre da nicht das IT-Produktivitätsparadoxon. Um das zu überwinden, könnte ein simpler Weg der richtige sein.

Die gute Nachricht zuerst: Die Investitionen der hiesigen Unternehmen und die geleisteten Arbeitsstunden nehmen zu. Die deutsche Wirtschaft wuchs im Jahr 2014 um 1,5 Prozent und lag damit deutlich über dem der Jahre zuvor. Sie ist der Wohlstandsmotor in der europäischen Union. Doch wird gerade eine wichtige Kennzahl in der Wirtschaft so kritisch besprochen wie keine andere: die Arbeitsproduktivität, also das reale BIP pro Arbeitsstunde oder pro Erwerbstätigen. Im Manager Magazin oder in Die Zeit gibt es zu deren angeblichem Abwärtstrends eindringliche Kommentare. Denn schließlich sagt sie viel aus über die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft und ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Von komplexen Wechselwirkungen zwischen Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik gekennzeichnet, sind das Wachstum einer Volkswirtschaft und die damit unmittelbar verbundene Arbeitsproduktivität wesentlich abhängig vom technologischen Fortschritt - und genau dieser trägt nicht immer zum Optimum bei.

Im Zeitalter der Digitalisierung sorgen neue Technologien nicht immer für mehr Produktivität.
Im Zeitalter der Digitalisierung sorgen neue Technologien nicht immer für mehr Produktivität.
Foto: marekuliasz - shutterstock.com

Von der Masse übermannt

Die Frage, die wir uns mittlerweile stellen müssen, ist: Werden unser Leben und unsere Arbeitswelt durch jede neue Technologie tatsächlich einfacher - oder werden wir nicht schon längst von ihr übermannt? "The same technology that simplifies life by providing more functions in each device also complicates life by making the device harder to learn, harder to use. This is the paradox of technology", schreibt Donald Norman in "The Design of Everyday Things". Der mittlerweile emeritierte Professor der Kognitionswissenschaften und Informatik sowie ausgewiesene Usability-Spezialist schreibt dies im Jahr 1988 - als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, das Smartphone längst nicht massenmarkttauglich war und die heute so omnipräsenten Trends wie Internet of Things, BYOD oder Cloud Computing wie Vokabeln aus einem Science Fiction-Roman klangen.

Es ist bezeichnend: In den 27 Jahren, die zwischen Normans Beobachtung und dem Hier und Jetzt liegen, hat sie rein gar nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt. Und das obwohl (oder gerade weil?) das Innovationstempo in den vergangenen zwei Jahrzehnten so rasant zugenommen hat wie niemals zuvor in der Technologiegeschichte. Wir sind heute von Tausenden von Typen an Geräten und Dateien, von Hunderten an Kommunikationskanälen und von endlosen Sicherheitskontrollen und Zugriffsebenen umgeben. Täglich werden auf der ganzen Welt rund 200 Milliarden E-Mails, fast 3 Milliarden Direktnachrichten und 800 Milliarden Fotos verschickt und empfangen, schätzt das IT-Marktforschungsunternehmen The Radicati Group.

Mehr hilft nicht automatisch mehr

Nur verwenden wir heute annähernd so viel Zeit für die Verwaltung von E-Mails, die Aktualisierung von Programmen, die Suche nach Informationen und den Kampf mit inkompatiblen Formaten wie mit unseren eigentlichen Aufgaben. Die Hälfte der Dokumente, die per E-Mail abgestimmt werden, wird vor deren endgültiger Finalisierung mindestens drei Mal hin und her geschickt. Schätzungen der Fachpresse zufolge gehen jährlich mehrere Millionen USB-Sticks weltweit verloren. All das ist nicht nur verlorene Zeit, sondern bedeutet auch verlorene Kreativität und verlorene Produktivität. Und während Technologieprodukte immer komplexer, smarter, agiler und flexibler werden, um mit der Konkurrenz, die niemals schläft, mitzuhalten, leben wir Nutzer von heute in einem Produktivitätsparadoxon: Mehr Gadgets, mehr Apps, mehr Features helfen uns eben grundsätzlich nicht mehr. Denn trotz zum Teil riesiger Investitionssummen und vielbeschworenen großen Potentials, konnten IT-Abteilungen oft keinerlei Produktivitätsschub bei der Implementierung von neuen Lösungen beobachten.

Verhältnis von Mensch und Maschine neu denken

Was also tun? Angesichts von gewaltigen Entwicklungen wie Ubiquitous Computing, Industrie 4.0 und Internet of Things müssen wir das Verhältnis von Mensch und Maschine neu denken. Denn so vernetzt wie Maschinen in Zukunft untereinander sein werden, so sehr wird die morgige Arbeitswelt mehr denn je von Teamwork bestimmt sein. Und beides zusammen schafft eine wahre Datenexplosion: nach Schätzungen der Analysten von IDC werden 2020 mehr als 50 Milliarden internetfähige Geräte und "Dinge" online sein, einhergehend mit einer Flut von 44 Trillionen Gigabyte oder 44 Zetabyte an Daten über Tausende von Systemen und Dateitypen hinweg. Technologieanbieter und IT-Entscheider in Unternehmen müssen daher bei Entwicklung und Einsatz von neuen Lösungen wieder zurück zum fundamentalen Input/Output-Prinzip:

1. Harmonieren sie mit den bestehenden Arbeitsprozessen oder entstehen Einschränkungen durch nicht kompatible Betriebssysteme oder Geräte?

2. Erhöhen sie das Potential für kreativen Freiraum, innovative Geschäftsideen und effizientes Arbeiten oder schaffen sie nur unnötige Komplexität?

3. Erlauben beispielsweise neue Collaboration-Tools tatsächlich uneingeschränkte Kommunikation von überall und zu jederzeit oder diktieren sie hingegen wer aus dem Team mit wem zusammenarbeiten kann - und wer nicht?

Um das Produktivitätsparadoxon zu entwirren, müssen wir aber zunächst unsere Daten aus den zunehmend fragmentierten und proprietären Computer-Plattformen befreien. Dokumente, Videos, Fotos, Präsentationen, Entwürfe oder völlig neue Formate müssen nahtlos und barrierefrei über verschiedene Betriebssysteme, Anwendungen oder Geräte hinweg abrufbar sein - damit Technologie nicht "Dictator" sondern "Enabler" ist. Das ist und wird auch in Zukunft die Hauptaufgabe unserer Branche sein: Lösungen zur Verfügungen stellen, die das positive Nutzererlebnis in den Fokus setzen, für die Bedürfnisse der Menschen entworfen sind und Informationen ohne überflüssiges Beiwerk "to the point" bereitstellen. Lösungen, die im besten Sinne simpel sind. Denn wie sagt Donald Norman ebenfalls: "It is the duty of machines and those who design them to understand people. It is not our duty to understand the arbitrary, meaningless dictates of machines." (fm)