Dezentrales Internet?

Web3 - nichts als heiße Luft!

Kommentar  16.02.2022
Von 
Mike Elgan schreibt als Kolumnist für unsere US-Schwesterpublikation Computerworld und weitere Tech-Portale.
Das Web3 ist nur das Funkeln in den Augen einiger Investoren und Krypto-Diehards. Und mehr wird auch nicht daraus. Ein Kommentar.
Web3 verspricht ein weltweites Netz, das den Usern die Kontrolle zurückgeben will. Geht es nach unserem Autor, wird daraus nichts.
Web3 verspricht ein weltweites Netz, das den Usern die Kontrolle zurückgeben will. Geht es nach unserem Autor, wird daraus nichts.
Foto: Black Salmon - shutterstock.com

Unter Tech-Visionären sorgt das Thema Web3 für Zündstoff. Ex-Twitter-CEO Jack Dorsey lieferte sich vor kurzem eine öffentlich ausgetragene "Fehde" mit Investor Marc Andreesen (dessen Venture-Capital-Gesellschaft maßgeblich an Web3-Plattformen beteiligt ist):

Auch Tesla-Guru Elon Musk ist vom Web3 nur mäßig überzeugt:

Die Skepsis hat ihren Grund: Das Konzept von Web3 ist bestenfalls vage und verwirrend. Selbst die Anhänger dieser Idee sind sich nicht einig, was Web3 eigentlich ist. Ein Blockchain-Experte hat Ende 2021 versucht, die Zusammenhänge dem US-Kongress verständlich zu machen:

Web3 ist also ein mögliches, zukünftiges Internet, in dem alle Daten und Inhalte auf Blockchains registriert, tokenisiert oder über verteilte Peer-to-Peer-Netzwerke verwaltet und abgerufen werden. Das Ziel: Die Demokratisierung des Internets. Die Nutzer haben die Macht über die Inhalte, nicht mehr Regierungen oder Großkonzerne.

Kommt Ihnen diese Vision bekannt vor? Das sollte sie auch. Genau das war die Idee hinter dem ursprünglichen World Wide Web und dem Domain Name System. Das dezentralisierte Netz sollte Grenzen auflösen und die Macht in die Hände der Nutzer legen. Hier noch einmal nachzulesen im Konzept von John Perry Barlow aus dem Jahr 1996.

Zugegeben, Web3 klingt nach einer großartigen Idee. In der Realität ist sie das aber nur für Krypto-Enthusiasten, Techno-Libertäre und Risikokapitalgeber auf der Suche nach der nächsten Superwette.

Warum Sie Web3 vergessen können

Die derzeit heißesten Tech-Buzzwords- Web3 und Metaverse beschreiben Plattformen, die nicht existieren und von denen auch die meisten Enthusiasten nicht wirklich erwarten, dass es dazu in den nächsten zehn Jahren kommen wird. Meine Meinung: Es wird nie dazu kommen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Blockchains, NFTs, verteilte Netzwerke, Kryptowährungen und ähnliche Konzepte sind wichtig. Aber Web3 ist es nicht. Web3 ist ja nicht deshalb gerade ein Thema, weil hier heute oder in naher Zukunft wirklich etwas passiert. Vielmehr verschafft sich gerade eine lautstarke Minderheit Gehör, die sich ideologisch der Blockchain oder dem Web3 zugeneigt fühlt - oder die hofft, damit möglichst schnell sehr viel Geld zu scheffeln.

Weil Technologieunternehmen, die frühzeitig auf das richtige Pferd setzen, Bewertungen in Milliardenhöhe erreichen können, ist ein intensiver Wettbewerb darüber entstanden, wer denn nun tatsächlich das "next big thing" aus der Taufe hebt. Das Web3 ist es nicht. Eine allgemeine Zustimmung von Nutzern, Unternehmen und allen anderen Beteiligten zu einem Internet auf Blockchain-Basis, wird es schlicht niemals geben. Man sollte hier nicht in Wunschdenken abdriften, sondern sich die tatsächlichen Vorlieben der Internetnutzer vergegenwärtigen: Es gibt bereits dezentralisierte, soziale Netzwerke wie Mastodon, die den Nutzern eine Alternative bieten. Dennoch verbringt der Mainstream weiterhin seine Zeit auf Facebook, Instagram, YouTube oder Tiktok.

Dass ausgerechnet die Blockchain für den Mainstream attraktiv wird und all die Probleme löst, die das heutige Internet plagen (Stichwort Fake News und Desinformationskampagnen), ist höchst unwahrscheinlich. Schließlich ist auch diese Technologie nur ein Werkzeug, das in den falschen Händen problemlos zweckentfremdet werden kann. Und die großen Technologiekonzerne Facebook, Google, Apple und Amazon werden wenig Neigung zeigen, durch Web3-Anwendungen und -Services substituiert zu werden.

Web3-Enthusiasten verfolgen alle möglichen, übermäßig optimistischen Ideen. Decentralized Autonomous Organizations (DAOs) etwa verteilen die Besitzanteile an die gründenden Nutzer. Die Beteiligten hier prahlen regelmäßig mit massiven Investitionen. Vielleicht ist ihnen nicht klar, dass Investoren Geld ausgeben, um mehr Geld zu verdienen. Das gelingt ihnen nur, wenn Unternehmen Geld verdienen können, nicht wenn User die Kontrolle übernehmen.

Dass das Web3 nach dem Vorbild der Bitcoin-Welt gestaltet werden soll, macht die Sache auch nicht besser. Im Gegenteil. Eine Studie von Baystreet kommt zu dem Ergebnis, dass etwa 0,01 Prozent der Bitcoin-Inhaber 27 Prozent aller im Umlauf befindlichen Werte kontrollieren. Mit anderen Worten: Die Bitcoin-Wirtschaft ist Kapitalismus pur und weit weniger egalitär als die Dollar-Wirtschaft.

Es ist eine Sache, Blockchain-basierte und tokenisierte Dienste im Web laufen zu lassen. Eine andere Sache ist es, die bestehende Infrastruktur ersetzen zu wollen. Ersteres ist unvermeidlich. Letzteres ist unwahrscheinlich. Ich will die Ziele von Web3 und die zugrundeliegenden Technologien weder angreifen noch verteidigen. Meiner Meinung sind sie nur einfach unrealistisch. Zudem ist das Web3 in meinen Augen für normale Nutzer nicht attraktiv. So bleibt zum Beispiel völlig unklar, wie User im Web3 beispielsweise vor Cybercrime, Hassrede oder Belästigungen geschützt werden sollen. Fazit: Web3 wird nicht stattfinden. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.com.