Das vergangene Jahr hat die Art und Weise wie wir arbeiten, massiv verändert. Vor der Pandemie verrichteten laut einer Studie von Pew Research etwa 20 Prozent der erwerbstätigen Erwachsenen ihre Arbeit von zu Hause aus. Heute sind es 71 Prozent - wovon es in wiederum 54 Prozent der Fälle auch dabei bleiben soll. Die Pandemie hat für eine massive Verlagerung hin zu dezentralen, verteilten Arbeitsplätzen gesorgt - wovon jeder der weltweit 1,25 Milliarden Wissensarbeiter betroffen ist.
Vor diesem Hintergrund müssen nicht nur Projektmanager neue Strategien entwickeln, um ihre Projekte auf Kurs und ihre Teams gesund und produktiv zu halten: Laut der Asana-Studie "Anatomy of Work" verbringen wir alle 60 Prozent unserer Zeit damit zu koordinieren, statt diese mit qualifizierten, strategischen Aufgaben zu füllen.
Wie verändern sich in diesem Zusammenhang die Regeln des Projektmanagements? Welche Fähigkeiten brauchen Projektmanager jetzt, um erfolgreich zu sein? Wir haben mit Projektmanagement-Experten gesprochen, um Antworten auf diese (und andere) Fragen zu bekommen.
1. Teure Klarheit
Eines ist im vergangenen Jahr deutlich geworden: Zusammenarbeit ohne räumliche Nähe erschwert eine klare Kommunikation. Laut der Asana-Studie wird jede vierte Deadline pro Woche wegen mangelnder Klarheit verpasst.
"Der schnelle Wechsel ins Home-Office hatte zur Folge, dass alle Mitarbeiter in isolierte Arbeitsbereiche wechselten, die nur über das Internet verbunden waren - eine gefährliche Situation, in der jedes Teammitglied schnell zu einem Informationssilo werden konnte. Zu Beginn der Pandemie waren Videokonferenzen noch ein willkommener Ersatz für persönliche Zusammenkünfte - ein Jahr später ist klar: Wir brauchen bessere Tools, um Klarheit darüber zu schaffen, wer wann was tut und wie das Gesamtbild aussieht", erklärt Alex Hood, Chief Product Officer bei Asana.
Laut der Studie wurden auch beiläufige Unterhaltungen im Büro (beispielsweise, um die Mitarbeiter schnell auf den neuesten Stand zu bringen) durch unnötige Videokonferenzen ersetzt - mit einem hohen Preis: Demnach fraßen Meetings im vergangenen Jahr 157 Stunden individuelle Produktivarbeit und führten dazu, dass die Mitarbeiter im Durchschnitt jeden Tag zwei Überstunden machten.
Projektmanager und CIOs suchen händeringend nach neuen Tools und Methoden, um sich abzustimmen, ohne einen solchen Preis aufzuwerfen. Schenkt man einer Untersuchung von IDC Glauben, sind die Unternehmen auch bereit, zu investieren.
2. Nicht ohne Source of Truth
Es gibt eine breite Palette von Methoden im Projektmanagement. Obwohl jede ihre spezifischen Vorteile besitzt, ist entscheidend, sich auf eine Methode zu konzentrieren und alles darauf auszurichten.
"Ich habe mit einem Team in Dubai, einem Team in Großbritannien und einem Team in Mississippi gesprochen. Sie alle forderten eine 'Single Source of Truth", erzählt Matt Burns, Leiter des Startup-Ökosystems bei monday.com.
Diese Quelle der Wahrheit kann ein zentrales Projektmanagement-Tool, ein Projektmanager in einer Führungsrolle oder eine Arbeitsphilosophie sein.
"Die alte Regel lautete: 'Erledige es, egal was es kostet'. Die neue Regel lautet: 'Einigen wir uns darauf, wie wir die Sache angehen, und bringen wir sie in einen Rahmen.'"
Burns vergleicht die Situation in vielen Unternehmen mit einem Land, in dem die verschiedenen Bundesländer völlig unterschiedlich agieren: "Die Leute wissen nichts voneinander oder darüber, was sie tun. Egal, ob es sich um ein Tool, eine Methodik oder was auch immer handelt - man wird nie alle glücklich machen können. Wählen Sie einfach eine aus und sorgen Sie dafür, dass sie funktioniert."
3. Asynchron ist Standard
Eine Sache, die uns das vergangene Jahr - oft auf die harte Tour in Form von verpassten Terminen und verlorengegangener Produktivität - gelehrt hat, ist, dass synchrone Kommunikation ein kostbares Gut ist. Denn in der neuen Arbeitswelt kann man sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Leute zur gleichen Zeit an ihren Schreibtischen sitzen.
Man kann sich nicht darauf verlassen, dass sie sich in der gleichen Zeitzone befinden. Einige arbeiten vielleicht spät abends, andere früh morgens. Darüber hinaus könnten die Betreuung der Kinder oder andere Aufgaben zu berücksichtigen sein. All dies führt zu einer brutalen Erkenntnis in Sachen Teamwork: Es ist kostspielig, alle für ein Meeting zusammenzubringen und wird zwangsläufig zu Unannehmlichkeiten wie Überlastung und Burnout führen.
"Die Kosten für synchrone Kommunikation sind im Zuge des Remote-Work-Umschwungs in die Höhe geschnellt. Und diese Kosten werden nicht sinken, wenn wir uns in eine hybride Arbeitsumgebung bewegen", meint Asana-CPO Hood.
Projektmanager sollten daher auf Tools setzen, die nicht nur Klarheit schaffen, sondern auch asynchrone Kommunikation besser abbilden.
4. Projektplan-Debugging
Die Erstellung eines komplexen Projektplans ist eine Menge Arbeit. Dabei kann ein Fehler leicht ein ganzes Projekt oder einzelne Bestandteile in Schieflage bringen und ein Vermögen kosten. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand diesen Fehler bemerkt, bevor ein Termin verpasst wird oder alles aus dem Ruder läuft, liegt bei null - weil so gut wie niemand den Projektplan überprüft.
"Für einen Menschen ist es rein mathematisch nicht möglich, die Komplexität eines Großprojekts zu bewältigen, ohne kritische Fehler zu machen", weiß Mike Psenka, CEO von Moovila. "Unsere Untersuchungen zeigen, dass über 98 Prozent der Projektpläne - erstellt von erfahrenen Projektmanagern auf Senior-Level - kritische Fehler aufweisen. Das war schon immer so, denn Projektpläne werden nie auf Fehler untersucht."
Sobald ein Plan erstellt ist, wird er unter der Annahme befolgt, dass er fehlerfrei ist. Selbst dann, wenn er komplex und teuer ist und eine große Anzahl von beweglichen Teilen, Mitwirkenden, Meilensteinen und Ergebnissen beinhaltet.
"Jeder Programmierer auf dieser Welt debuggt seinen Code. Würden sie das nicht tun, würden sie Müll produzieren. Aber bei großen Projektplänen mit Tausenden von Aufgaben wird darauf vertraut, dass jeder es beim ersten Mal perfekt hinbekommt", ärgert sich Psenka.
- 1. Unklare Arbeitslast
Bryan Fagman vom Anbieter Micro Focus sagt, dass viele Projekte an einem nicht klar umrissenen Arbeitsaufwand scheitern. Schleichen sich hier Unschärfen ein, leidet das ganze Projekt. Im schlimmsten Fall bleibt undefiniert, wann es überhaupt abgeschlossen ist. Fagman mahnt deshalb an, Ziele im Dialog mit den Kunden klar zu benennen. - 2. Undefinierte Erwartungen
Alle Beteiligten müssen von Beginn an wissen, welche Anforderungen ein Projekt stellt und welche Erwartungen zu erfüllen sind – sonst droht ein Fiasko. Tim Garcia, CEO des Providers Apptricity, nennt zwei entscheidende Dinge, die alle Team-Mitglieder vorab wissen sollten: was getan wird und wie man weiß, wann das Projekt abgeschlossen ist. „Ohne eine dokumentierte Vereinbarung, die Antworten auf diese beiden Fragen liefert, ist ein Projekt von Anfang an in Gefahr“, sagt Garcia. - 3. Fehlende Management-Unterstützung
Die Unterstützung aus der Firmenspitze sollte unbedingt gesichert sein. Befindet man sich dahingehend mit der Chef-Etage nicht in Einklang, mindert das die Erfolgsaussichten beträchtlich, meint Brad Clark vom Provider Daptiv. - 4. Methodik nach Schema F
Im Projekt-Management wird gemeinhin mit standardisierten Schlüsselaufgaben und Leistungen gearbeitet. Darin lauert nach Einschätzung von Robert Longley, Consultant beim Beratungshaus Intuaction, aber auch eine Gefahr. Die Standard-Ansätze seien meist auf Projekte einer bestimmten Größe ausgerichtet. Sie passen möglicherweise nicht mehr, wenn man sich an größere Projekte als in der Vergangenheit wagt. - 5. Überlastete Mitarbeiter
„Team-Mitglieder sind keine Maschinen“, sagt Dan Schoenbaum, CEO der Projekt-Management-Firma Teambox. Projekte können auch daran scheitern, dass Mitarbeiter mit Arbeit überfrachtet werden. Vermeiden lässt sich das, indem man sich vorab ein klares Bild über die Stärken der Team-Mitglieder macht und auf eine sinnvolle Verteilung der Aufgaben achtet. - 6. Ungeteiltes Herrschaftswissen
Projekte leben davon, dass Informationen nicht monopolisiert, sondern miteinander geteilt werden. Das geschieht oft dann nicht, wenn Ergebnisse erst nach langer Anlaufzeit geliefert werden müssen. Tim Garcia von Apptricity rät deshalb dazu, Projekt in kurze Phasen einzuteilen. An deren Ende sollte es jeweils Resultate geben, mit denen das ganze Team weiterarbeiten kann. - 7. Unklare Entscheidungsfindung
Im Verlauf eines Projektes sind Änderungen der ursprünglichen Roadmap oft unvermeidbar. Es sollte beim Change Management aber klar dokumentiert werden, wer wann was geändert hat und wie die neue Marschrichtung aussieht. - 8. Fehlende Software
Exel-Spreadsheets nötigen Projekt-Manager zu manuellen Korrekturen und führen oft zu Problemen bei der Status-Aktualisierung. Insofern ist es befreiend, mit Project Management Software zu arbeiten, die für automatische Updates sorgt und von lästigen manuellen Berichten entlastet. Dazu rät Brian Ahearne, CEO des Anbieters Evolphin Software. - 9. Gefahr des Ausuferns
Change Requests sind alltäglich im Projekt-Leben, aber sie haben leider oft einen unerfreulichen Nebeneffekt: den Hang, Fristen und Budget-Rahmen immer weiter auszudehnen und auf Dauer zu Demotivation und Frust auf allen Seiten zu führen. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, sind neben klaren Zielvorgaben auch tägliches Monitoring und ein definierter Prozess für gewünschte Veränderungen sinnvoll. Das empfiehlt in jedem Fall Sandeep Anand, der beim Software-Entwicklungshaus Nagarro für Project Governance verantwortlich ist. - 10. Nicht "Nein" sagen können
Im Sinne des Unternehmens sei es manchmal nötig, Anfragen abzulehnen, sagt Markus Remark vom Provider TOA Technologies. Gut sei es deshalb zu wissen, wie man "nein" sagt. Am besten habe man für solche Fälle auch gleich eine konstruktive alternative Lösung parat. - 11. Mangelnder Zusammenhalt
Projektarbeit ist Team-Arbeit. In der Praxis gerieren sich manche Projekt-Teams aber wie in Eifersüchteleien gefangene Sportmannschaften ohne Erfolg, beobachtet Berater Gordon Veniard. Der Fokus auf das eigentliche Ziel gehe verloren. Stattdessen beschuldigen sich Grüppchen gegenseitig, für Probleme und schlechte Leistungen verantwortlich zu sein. Um das zu verhindern, ist Führung durch den Projekt-Manager gefragt. Und der sollte es verstehen, sein Team mitzunehmen und in Entscheidungen einzubinden. Ohne Kommunikation sei das Desaster programmiert, so Hilary Atkinson vom Provider Force 3. - 12. Vergessener Arbeitsalltag
Hilary Atkinson hat nach noch einen weiteren Kommunikationstipp parat: Projekt-Manager sollten nicht vergessen, ihre alltäglichen Aufgaben zu erledigen. Wer als Verantwortlicher keine Meeting-Termine verkündet, Status-Berichte vergisst und E-Mails unbeantwortet lässt, riskiert unnötige Verzögerungen. - 13. Zu häufige Meetings
Meetings, in denen der Status Quo besprochen wird, können nerven – vor allem dann, wenn sie zu oft stattfinden oder zu lange dauern. Wichtige Informationen lassen sich durch Collaboration Tools häufig besser an die Team-Mitglieder bringen, meint Liz Pearce, CEO des Providers LiquidPlanner. Ihr Tipps: Meeting auf die Entscheidungsfindung beschränken. In ihrem Unternehmen gebe es lediglich zweimal in der Woche ein Treffen, um neue Aufgaben zu verteilen und Prioritäten zu definieren. - 14. Gut genug ist nicht immer gut
Sergio Loewenberg vom IT-Beratungshaus Neoris macht Nachlässigkeiten in der Qualitätssicherung als Problem aus. Es sei günstiger, Fehler zu vermeiden anstatt Geld und Zeit ins Ausmerzen ihrer negativen Folgen stecken zu müssen. Wer auf hohe Qualitäts-Standards achte, vermeide späteres Nacharbeiten und die Gefahr eines schlechten Rufes. - 15. Nicht aus Fehlern lernen
Liz Pearce mahnt außerdem an, mit Hilfe entsprechender Tools eine mehrstündige Analyse nach Ende des Projektes durchzuführen. Nur Teams, die sich des ständigen Lernens verschreiben, seien dazu in der Lage, die Fehler der Vergangenheit in der Zukunft zu vermeiden. - 15 Fehler beim Projektmanagement
Es gibt unzählige Wege, ein IT-Projekt an die Wand zu fahren. Unsere amerikanische Schwesterpublikation CIO.com hat 15 davon gesammelt – und verrät dankenswerterweise auch, wie man die Probleme beheben kann. Diese Tipps sind in der Bilderstrecke zu finden.
5. Jeder ist jetzt PM
"Es ist ein Trend zu beobachten, dass Nicht-Projektmanager das Projektmanagement in die Hand nehmen", sagt Kausikram Krishnasayee, Director of Project Management bei Kissflow. "Diese Mitarbeiter kommen aus verschiedenen Bereichen und managen am Ende kleine oder interne Projekte. Dabei sind sie sich der alten Regeln des Projektmanagements entweder nicht bewusst oder rebellieren dagegen. Im Wesentlichen agieren sie auf der Basis von Gefühl und Erfahrung."
In der Vergangenheit bezogen Projektmanager Faktoren wie Budget, Ressourcen und grobe Schätzungen ein, um zu bestimmen, wie lange eine Aufgabe dauern würde. Diese neue Gruppe von Managern mit Fingerspitzengefühl stützt sich auf Erfahrung, Vertrautheit mit den Menschen, die die Arbeit erledigen, und das Wissen über die mentale Leistung, den jede Aufgabe fordert, um Dauer und Zeitrahmen zu bestimmen. Sind das vielleicht die besseren Maßnahmen in Sachen Projektmanagement?
"Sobald man anfängt, die Menschen zu verstehen und sie als Menschen und nicht als Ressourcen zu betrachten - und versucht, Wege zu finden, um Probleme und Unsicherheiten von Fall zu Fall zu umgehen - funktionieren die Dinge deutlich besser als mit alten Projektmanagement-Praktiken", zeigt sich Krishnasayee überzeugt.
6. Der PM als Negotiator
Projekte werden immer komplexer und Unternehmen konzentrieren sich mehr darauf, nachhaltiges Wachstum in einem neuen Klima zu schaffen. Der Projektmanager ist deshalb längst nicht mehr nur der, der die Pläne erstellt, sondern auch ein Verhandlungsführer. Dieser sollte in der Lage sein, konkurrierende Fraktionen, hybride Arbeitsteams, verteilte Stakeholder und Interessengruppen zusammenzubringen, um das Projekt voranzubringen.
"Die Rolle des Projektmanagers entwickelt sich weiter und Verhandlungsgeschick wird immer wichtiger", sagt Jill Lyons, Executive Vice President of Delivery bei Hawkeye. "Es gibt Teams, die mit Kunden zu tun haben, Teams, die intern arbeiten, und Projektmanager, die sich um technische Belange kümmern oder nach Vertriebskanälen oder Leistungen eingeteilt sind. Der Projektmanager wird mehr und mehr zum Schnittpunkt zwischen all diesen Teams."
7. Emotionale Intelligenz
Isoliertes Arbeiten im Home-Office kann zu einer unausgewogenen Work-Life-Balance führen. Und nicht jeder im Team fühlt sich in der neuen, verteilten Arbeitswelt wohl: Laut Pew Research tun sich vor allem jüngere Arbeitnehmer und Eltern schwer. Um Projekte wieder auf Kurs zu bringen, müssen Projektmanager deswegen zunehmend Neuland betreten.
"Emotionale Intelligenz ist eine wirklich wichtige Fähigkeit, die Projektmanager meiner Meinung nach jetzt brauchen", sagt Janetta Ekholm, Managerin bei Futurice. "Wenn wir uns selbst als Menschen verstehen und wissen, woher unsere Emotionen kommen, verstehen wir auch andere. Der Projektleiter muss dem Team psychologische Sicherheit vermitteln. Er muss ein Sicherheitsnetz schaffen, das den Leuten die Möglichkeit gibt, sich wohlzufühlen und ermöglicht, Ideen und unterschiedliche Standpunkte ohne Angst zu teilen."
Projektmanager müssen also als eine Art Therapeut agieren, der Stress erkennt und den Teammitgliedern dabei hilft, diesen zu verarbeiten, Prioritäten zu setzen und Ressourcen oder einen geeigneten Zeitplan zu finden, damit sie sich bei der Arbeit sicher fühlen und zur Arbeit kommen können.
"Indem sie diese Moderationsfähigkeiten einsetzen, können Führungskräfte erheblichen Einfluss ausüben", weiß Ekholm. (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.