In einer Studie der Europäischen Handelskammer in Peking zur Stimmung unter den Mitgliedern gaben 60 Prozent der befragten Firmen an, dass sie ihre chinesischen Konkurrenten mittlerweile als genauso innovativ wie sich selbst oder sogar innovativer wahrnehmen. Ein solches Ergebnis wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen. Schließlich nahm der wirtschaftliche Aufstieg Chinas erst Ende der 70-er Jahre seinen Anfang, als das kommunistisch regierte China an geeigneten Standorten im Land Sonderwirtschaftszonen einrichtete.
In den dortigen Industriezentren wurden seinerzeit Produkte für den Export gefertigt. Damit einher ging eine starke Urbanisierung des bis dato landwirtschaftlich geprägten Reichs. Die Landbevölkerung zog es in die Städte, weil die Verdienstmöglichkeiten besser waren und die industrielle Arbeit im Vergleich zur Landwirtschaft als angenehmer empfunden wurde. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und der fortschreitenden Globalisierung wurde auch China zu einem interessanten Wirtschaftsstandort. Westliche Industrienationen, allen voran der Automobilbranche, nahmen an, dort ständen günstige Produktionsmöglichkeiten und ein gigantischer Absatzmarkt offen.
Finckh machte 2001 erste Erfahrungen mit China, als er eine Roadshow für eine Softwarefirma organisierte. Diese führte ihn quer durch ein sich langsam der Welt öffnendes Land - von Hongkong bis an die Grenze zur Mongolei. Der damalige geschäftliche Erfolg, so Finckh, sei überschaubar gewesen. Doch gerade in China würden Menschen mit Menschen arbeiten, nicht nur Unternehmen mit Unternehmen. Oder wie ein chinesisches Sprichwort sagt: "Der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen ist ein Lächeln." Mit anderen Worten: Durch die gemeinsam mit chinesischen Partnern verbrachte Zeit konnte er frühzeitig viele Kontakte knüpfen, die sich später als wertvoll erwiesen. Er war sich deshalb sicher, wenn die Produktionsfähigkeiten eines chinesischen Unternehmens richtig genutzt und hierzulande zielgruppengerecht vermarktet würden, würde sich der Erfolg einstellen.
Ein Partner und ein Markt finden sich
Es sollte nur eine Frage der Zeit sein, wann er mit einem Hersteller aus dem Reich der Mitte in eine Geschäftsbeziehung treten würde. 2004 diskutierte er auf der CeBIT in einem beiläufigen Gespräch am Stand des chinesischen PC-Herstellers Giada Verbesserungsvorschläge zu einem existierenden Modell. Der Sales-Verantwortliche notierte eifrig mit. "Obwohl ich als Nobody den Stand besuchte und keinerlei Commitment machte, wurde das Produkt im darauffolgenden Jahr mit meinen verwirklichten Ideen ausgestellt. Diese fast schon leidenschaftliche Bereitschaft, Produkte und Produktideen für mich zu realisieren, war der Grundstein für eine erfolgreiche, langjährige Zusammenarbeit", erinnert sich der China-Spezialist.
Als diese Hardware die technischen Tests bestanden hatte, war er restlos überzeugt. Doch nicht nur das, er nahm auch eine weitere Anregung und Erfahrung aus den China-Reisen jener Zeit mit: Zum Beispiel wie weit fortgeschritten Digital Signage in China damals schon war. "Da kam dann eines zum anderen: Die kompakten PCs von Giada konnten zwar jeden PC auf einem Schreibtisch ersetzen, aber durch ihren kleinen Formfaktor waren sie auch prädestiniert, hinter Bildschirmen in Geschäften und öffentlichen Räumen montiert zu werden und die Anzeige von Informationen und Bildern zu steuern." Die Erfahrungen aus China mit Digital Signage halfen, die Entwicklung in unserem regionalen Markt besser vorhersehen zu können und einen Bedarf gezielt zu erfüllen, der anderen PC-Herstellern noch unbekannt war. Natürlich war es immer wieder nötig, Geräte den Ansprüchen des europäischen Markts anzupassen. beispielsweise bei einigen Modellen das Kunststoffgehäuse mit einem wertigen Metallgehäuse zu ersetzen, zusätzliche Schnittstellen oder einen höherklassigen Chipsatz anzubieten oder bestimmte Zertifizierungen einzufordern.
Produktanpassung am selben Tag
Eine solche Anpassung der Produktwelt klingt schwierig oder gar unerreichbar, wenn man sie sich in der Zusammenarbeit mit westlichen Technologieherstellern vorstellt. Laut Finckh sei es aber die besondere Mentalität vieler Chinesen, die für eine erstaunlich schnelle Umsetzung von Ideen und Projekten sorge. Gerade bei der Entwicklung neuer Lösungen, wie etwa neuer PC-Modelle, lägen zwischen der von Finckhs europäischen Kunden gewünschten Funktionalität und dem ersten Modell nur wenige Tage: "In Fernost musste nicht erst jemand Schlagworte wie Design Thinking erfinden." Auch die Serienproduktion kann meist mit nur wenigen Tagen Vorlaufzeit angeschoben werden. Eine derartige Geschwindigkeit gleicht locker einen längeren Lieferweg aus und hilft Partnern und Kunden sowohl bei der Umsetzung neuer Projekte als auch beim Anbieten neuer Produkte.
Shenzhen - Hardwaremetropole und Startup-Mekka
Insbesondere die Mega-City Shenzhen zeige, wie stark die chinesische Hands-on-Mentalität die enorme wirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen Jahren geprägt hat. Ein Zufallsprodukt war die rasante Entwicklung Shenzhens zum mittlerweile vielseitig gerühmten "Silicon Valley der Hardware" keineswegs. Sie wurde von der Regierung seit Jahrzehnten gezielt gefördert.
Mobile Payment beim Straßenhändler
Im Zuge des raschen Stadt- und Bevölkerungswachstums hat sich auch die Digitalisierung in China auf eine Art und Weise entwickelt, die die westliche Welt in Erstaunen versetzt. So ist bargeldloses Bezahlen nicht nur weit verbreitet, es ist bereits die wichtigste Zahlungsmethode. "Selbst Straßenhändler, die von ihrem Fahrrad aus kandierte Früchte verkaufen, akzeptieren die Bezahlung mit Alipay oder WeChat, den allgegenwärtigen Apps, womit man so gut wie alle alltäglichen Dinge erledigen kann." Diese von den chinesischen Unternehmen Alibaba und Tencent entwickelten Technologien und Services gelten gegenwärtig als Trendbarometer für Unternehmen weltweit.
Ebenso ist Shenzhen zu einem Mekka für Hardware-Startups avanciert, berichtet Finckh: Mitten in der Stadt können Unternehmensgründer in Maker Spaces zusammen mit Tüftlern einen Prototyp ihrer Idee entwickeln, der nahezu im Handumdrehen in den umliegenden Fabriken in Serie gehen kann. Durch den kurzen Weg von der Idee zum fertigen Produkt ist eine vielseitige und bunte Makers Culture entstanden, von der sich nicht nur digitale Vordenker, sondern auch Künstler und Kreative aus aller Welt inspirieren lassen. Von diesem Geist wurde auch Finckh inspiriert, als er sich nach 15 Jahren Tätigkeit im PC-Markt vornahm, eine Marktlücke zu füllen und den Windows-Design-PC Modinice entwickelte. Komplett in Deutschland designt, lässt der Modinice den PC in einem eleganten Monitor-Standfuß verschwinden, macht Schluss mit Kabelsalat und bietet zusätzlich eine Ladefläche für Smartphones. "Ein solches ambitioniertes Projekt kann man nur realisieren, wenn man in jahrelange Beziehungsarbeit in China investiert hat."
Forschung auf Augenhöhe mit dem Westen
Dabei wäre es zu kurz gegriffen, die chinesische Hardwareindustrie auf Auftragsfertigung zu reduzieren. Die Forbes-Liste der 2000 größten Unternehmen weltweit nach Marktkapitalisierung wird mittlerweile nach den USA von China dominiert. Chinesische Konzerne platzieren zunehmend erfolgreich Consumer-Produkte unter eigenen Marken auf dem Weltmarkt. Doch über lange Zeit war es vor allem der B2B-Markt, der zu dem starken Wirtschaftswachstum und der sprunghaften Entwicklung des Know-hows beitrug. Die Forschung und Entwicklung wird in führenden chinesischen Unternehmen weiter vorangetrieben. Finckh ist sich sicher: "Was die Entwicklungen neuer Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI) angeht, befinden sich die Institute der Hochschulen auf Augenhöhe mit den Kollegen im Westen." Die eingangs erwähnte Innovationskraft wurde lange unterschätzt oder absichtlich kleingeredet.
Seit diesem Jahr hat das Land sich zudem weiter geöffnet. War für ausländische Unternehmen die Gründung einer Niederlassung in China zuvor nur als Joint Venture realisierbar, lockert sich nach und nach sowohl die Regulierung als auch die behördliche Handhabung für sogenannte WFOE (Wholly Foreign Owned Enterprise). Schon jetzt wird zwar bereits der Löwenanteil aller elektronischen Produkte weltweit in China gebaut, dennoch ist davon auszugehen, dass diese Regelung den chinesischen Markt noch weiter belebt.
- Gruppenfoto
Rund 20 IT-Manager waren mit nach China gereist - und besuchten unter anderem die Hafenstadt Tianjin. - Interkulturelles Training zu Beginn
China-Kennerin Astrid Oldekop vermittelte zu Beginn der Woche Einblicke in die chinesische Geschichte, Sprache und Geschäftskultur. - Networking am Abend
Vor allem abends ergaben sich zahlreiche Möglichkeiten zum beruflich-privaten Austausch. - Moderne Kunst
Ein Besuch im Pekinger Kunstviertel gehörte auch zum Programm - die westlichen Einflüsse gerade bei jüngeren chinesischen Künstlern waren unverkennbar. - Fahrradparade im Pekinger Straßenbild
Früher waren in Chinas Hauptstadt wesentlich mehr Räder als Autos unterwegs - das hat sich mittlerweile geändert. Im Gelegenheitsverkehr bieten heute unzählige Fahrradverleiher per App ihre Vehikel für kurze Strekken an. - Besuch beim Startup XCharge
XCharge baut Schnellladesäulen für Elektroautos. Hier erfuhren die IT-Manager viel über die Innovationskraft in China. - XCharge-Gründer Simon Hou
Der XCharge-Chef erklärte, dass der chinesische Markt rapide schnell wächst. - Bootsfahrt durch Tianjin
In der Hafenstadt stand eine Tour über Wasser an. Beeindruckend waren vor allem die zahlreichen Stilrichtungen der Gebäude, die in Tianjin seit den Achtziger Jahren entstanden sind. - Gruppenarbeit an einer Case Study
Zwischen den Unternehmensbesuchen bearbeiteten die Teilnehmer den realen Fall eines Unternehmens, das in China Fuß fassen will. - Virtual Reality fürs Business
Beim VR-Startup Noitom erfuhr die Gruppe, wie sich Virtual Reality nicht nur zu Unterhaltungs- und Freizeitzwecken, sondern auch im B2B-Geschäft einsetzen lässt. - Begeisterung im VR Experience Room
So bietet Noitom zunehmend Lösungen für den Bildungsbereich oder auch die Automobilindustrie an. - Inspiration in den Noitom-Büros
Kreativer Wandschmuck bei Noitom, der ins Auge sticht. - WeChat für alles
Als Whatsapp-Kopie für China gestartet, hat sich WeChat mittlerweile zum "Schweizer Taschenmesser" entwickelt - unter anderem ist WeChat Pay auf dem Bereich der Zahlung die klare Nummer eins. Die meisten Chinesen zahlen nur noch mit der App - unter anderem in automatisierten Lebensmittelgeschäften, die die Käufer per Gesichtserkennung einlassen und ohne menschliches Verkaufspersonal auskommen. - Spaziergang über den Platz des Himmlischen Friedens
Wer in Peking ist, sollte nicht ohne einen kurzen Besuch auf dem Tiannamen-Platz wieder abreisen. - Diskussion mit deutschen Unternehmern
Zum Abschluss der Woche gaben drei deutsche Unternehmer, die schon viele Jahre in China leben, einen Einblick in ihr Business. - Ausflug zur Chinesischen Mauer
Die mitgereisten IT-Manager ließen es sich nach Abschluss des "offiziellen" Programms nicht nehmen, auch noch einmal über ein kleines Stück der Chinesischen Mauer zu pilgern. Ein unvergessliches Erlebnis! - Get-Together am letzten Abend
Die Woche verging wie im Flug. Auf ein Neues beim nächsten Durchgang des "Leadership Excellence Program"!
Auch in China macht sich der starke Wettbewerb im IT-Sektor bemerkbar und das Anbieterfeld hat sich in den vergangenen Jahren konsolidiert. Finckh begegnet auf den einschlägigen internationalen IT-Messen nur noch wenigen neuen chinesischen Herstellern: "Viele kleinere wurden aufgekauft, zusammengelegt oder sind einfach wieder verschwunden. Und die Übriggebliebenen sind durch einen längeren Selektierungsprozess gegangen und haben somit bewiesen, dass sie auf dem Markt bestehen können." Das sorgt für Vertrauen, wenn man mit einem neuen Partner oder einer neuen Marke zusammenarbeiten will. Dennoch wäre es seiner Meinung nach ein Trugschluss, dass die in den klassischen Industrienationen gewohnten Qualitätsstandards in China überall flächendeckend zu finden seien.
Bei der Auswahl eines geeigneten chinesischen Produktionspartners rät er daher, der Qualitätskontrolle weiterhin einen entscheidenden Stellenwert einzuräumen, und verweist darauf, dass es zahlreiche Hersteller in China gebe, die den westlichen Qualitätsanspruch teilen. Um die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern zu erleichtern, lassen sich manche von ihnen nach ISO-Standard 9001 zertifizieren. Diese Zertifizierung bezieht sich auf alle Unternehmensbereiche und stellt sicher, dass alle betrieblichen Vorgänge umfassend strukturiert und kontinuierlich beurteilt werden. Für Geschäftspartner aus dem Westen ist dies eine gute Gesprächsgrundlage. Damit ist gesichert, dass die Geschäfts- und Produktionsabläufe den erforderlichen Standards entsprechen - beispielsweise, dass alle notwendigen Arbeitsgrundlagen wie Formblätter und Checklisten korrekt weitergeleitet werden und intern allen für den Fertigungsprozess zuständigen Stellen zur Verfügung stehen.
Für die weitere Zusammenarbeit empfiehlt Finckh, "einerseits klar zu kommunizieren und andererseits im Bewusstsein zu behalten, dass am anderen Ende der Welt manche Dinge dennoch anders laufen". Darin liege eine Chance: "Das Feedback meiner Geschäftspartner hat mich oft dazu gebracht, Dinge von einer neuen Perspektive zu betrachten und out-of-the-Box zu denken. Nicht nur die anderen, auch wir müssen für den Austausch offen sein."
Verweigerung hat keine Aussicht auf Erfolg
Finckh ist überzeugt: Das Interesse an Kultur, Land und Leuten, der persönliche Austausch auf Reisen, auf Messen und Gesprächen über viele Jahre hinweg helfen dabei, mit chinesischen Partnern nicht nur günstige, sondern auch hochwertige Produkte zu entwickeln und erfolgreich anzubieten. Und die Umsetzungsgeschwindigkeit chinesischer Partner hilft, im harten Wettbewerb einen Schritt voraus zu bleiben. Die Welt rückt näher zusammen. Auch Kritik an diesem Prozess habe ihren Platz. "Aber wer China kennt, weiß: Eine Strategie, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen oder sich ihr zu verweigern, hat keine Erfolgsaussichten." Für die meisten größeren Unternehmen stelle sich nicht die Frage, ob sie mit China kooperieren wollten, sondern nur, mit welchem Partner sie es tun möchten. Hierzu sei ein langjähriger Vertrauens- und Kontaktaufbau und interkultureller Austausch vonnöten. Finden sich die richtigen Partner, sei der beiderseitige Erfolg programmiert. Oder, um ein weiteres chinesisches Sprichwort zu zitieren: "Mit einer Hand kann man nicht klatschen." Mit zweien aber schon.