Was ist Systemische Beratung?

25.03.2024
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Stefanie Krauss ist Inhaberin von Tech Mediation, einem Unternehmen, das Organisationen dabei unterstützt, die virtuelle Zusammenarbeit durch digitale Konfliktlösung und Teamentwicklung zu meistern .
Komplexe Probleme erfordern komplexe Lösungsansätze. Oder nicht? Erfahren Sie, wie Sie mit Systemischer Beratung Herausforderungen meistern.
Der Weg zur Lösung eines Problems scheint oft nicht sichtbar. Systemische Beratung bringt Sie mit System voran.
Der Weg zur Lösung eines Problems scheint oft nicht sichtbar. Systemische Beratung bringt Sie mit System voran.
Foto: solarseven - shutterstock.com

Weder der Markt noch die Konkurrenz oder die Mitarbeiter bremsen die meisten Unternehmen aus, sondern ein immer gleicher Blickwinkel auf die Dinge. Die Bedeutung eines Strategiewechsels für den Erfolg erkannte bereits Albert Einstein: “Wenn du immer wieder das tust, was du immer schon getan hast, dann wirst du immer wieder das bekommen, was du immer schon bekommen hast. Wenn du etwas anderes haben willst, musst du etwas anderes tun". Systemische Beratung hilft Herausforderungen anders anzugehen.

Systemische Beratung – Definition

Die Systemische Beratung bezeichnet die Beratung von einzelnen Personen, Gruppen oder gar Organisationen, indem auf den jeweiligen Kontext eingegangen wird. Man geht davon aus, dass alle einzelnen Elemente eines Systems (zum Beispiel Team, Abteilung, Unternehmen) zusammenhängen und daher auch in Zusammenhang betrachtet werden müssen. Das Verhalten eines Menschen lässt sich demnach nicht isoliert betrachten, sondern erklärt sich durch die Beziehungen und Interaktionen mit anderen und mit der Systemumwelt.

Die Wurzeln der Systemischen Beratung reichen zurück bis in der Familientherapie der 50er-Jahre. Die damals innovative Idee, eine ganze Familie zu therapieren statt nur eine einzelne Person, legte das Fundament. Über die Zeit hinweg entwickelten zahlreiche Vertreter den Ansatz weiter. Darunter finden sich Niklas Luhmann, Salvador Minuchin, Steve de Shazer, Friedemann Schulz von Thun und Paul Watzlawick.
Die Einflüsse kommen vor allem aus den Bereichen Systemtheorie, Kommunikationstheorien, Kybernetik und auch dem Konstruktivismus. So gibt es keine einheitliche systemische Theorie, sondern vielmehr eine Verflechtung systemtheoretischer Ansätze aus unterschiedlichen Disziplinen, die sich ergänzen.

Systemische Beratung - Methoden und Ziele

Überlebensfähige Systeme sind Systeme, die sich weiterentwickeln. Eingefahrene Strukturen und einschränkende Sichtweisen oder Regeln können sie daran hindern. Systemische Beratung hilft, Zusammenhänge sichtbar zu machen, hinderliche Faktoren zu identifizieren und sie aus dem Weg zu räumen. Sie unterstützt Menschen, Teams als auch Organisationen, Veränderungen zu initiieren und durchzuführen.

Doch Systemische Beratung hat auch Grenzen. Unklare Zielsetzungen zwingen diesen Ansatz in die Knie. Ihre Stärke ist der Umgang mit komplexen Themen. Doch ohne eine klare Zieldefinition läuft man Gefahr, sich in einem Irrgarten aus Zusammenhängen, Wechselwirkungen und Hypothesen zu verlaufen. Somit eignet sich dieser Ansatz nicht, um sich auf die Suche nach Optimierungsmöglichkeiten zu machen.

Insbesondere im Wirtschaftskontext kann es hilfreich sein, wenn der Berater über zusätzliches Fachwissen verfügt. Zwar fällt die Systemische Beratung in die Kategorie der Prozessberatung, doch in der Praxis verschwimmen die Grenzen zur Fachberatung. Abhängig von der Thematik kann ein fachlich kompetenter Sparringspartner für das Management vorteilhaft sein.

Systemische Beratung - im Business-Umfeld

Ein Problem zu lösen, indem man statt eines einzelnen Elementes das ganze System unter die Lupe nimmt, ist eine Herangehensweise, die auch in der Wirtschaft Anklang findet. Großes Interesse findet der systemische Ansatz vor allem in den Bereichen:

  • Organisationsentwicklung,

  • Change Management,

  • Teamentwicklung,

  • Gesprächsführung und

  • Prozessoptimierung.

Das Ziel Systemischer Teamberatung ist es, die Kommunikations- und Arbeitsprozesse zu optimieren. So kann sie dabei helfen, Prozesse effizienter zu gestalten, den Kommunikationsfluss bei abteilungsübergreifenden Projekten zu verbessern, die Produktivität zu erhöhen und die Selbstorganisation von Teams zu fördern.

Weit verbreitet ist auch die Systemische Organisationsberatung. Der Grund dafür ist einfach: Veränderung ist für Organisationen ein Dauerthema. Doch nur wer ein System versteht, kann es ändern. Systemische Organisationsberatung hilft ein System zu verstehen, Veränderungen zu initiieren und zu begleiten.

Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich auch die Methoden der systemischen Gesprächsführung. Mit ihnen gelingt ein lösungsorientierter Austausch mit Geschäftspartnern, Kunden und Mitarbeitern. Eines der wichtigsten Instrumente sind dabei systemische Fragen. Auf den ersten Blick können diese Fragen irritierend oder provozierend wirken, wie beispielsweise: Wodurch könnten Sie das Projekt endgültig zum Scheitern bringen? Doch genau diese Reaktion ist beabsichtigt, um Denkräume für neue Lösungsideen zu öffnen.

Systemische Beratung ist ein Oberbegriff für verschiedene systemische Beratungsformate. Systemisches Coaching ist eines dieser Formate für die Wirtschaft. In der Praxis sind die Begriffe keinesfalls trennscharf. Ein Systemischer Coach greift auf Methoden der Systemischen Beratung zurück. Viele Systemische Berater sind auch Coaches. Eine weitere Unschärfe kommt hinzu durch die inflationäre Nutzung der Begriffe “systemisch” und "Coaching". Entscheidend für den Erfolg ist daher weniger die Frage, ob Coaching oder Beratung, sondern vielmehr die Wahl des Experten.

Lesetipp: Change-Management-Beratung 8 Mythen vom Business-Wandel

Ein Beispiel aus der Praxis

Nehmen wir an, ein Kundenprojekt steht kurz vor dem Aus, obwohl jede Menge hochkompetenter Mitarbeiter im Team sind. Dem Team fällt es schwer, Entscheidungen zu treffen und voranzukommen, obwohl sich die Teammitglieder persönlich gut verstehen. Hinzu kommen zunehmend unzufriedenere Kunden. Im Team breitet sich Frust aus und beim Projektleiter Ratlosigkeit. Er schaltet einen Systemischen Coach ein. Das Vorgehen des Coaches orientiert sich an der Systemischen Schleife, ein häufig genutztes Prozessmodell in der systemischen Arbeit. Es gliedert den Beratungsprozess in vier Schritte:

1. Informationen sammeln: In dieser Phase macht sich der Systemische Coach ein Bild von der Situation. Er beobachtet und sammelt Informationen beispielsweise durch Interviews.

2. Hypothesen bilden: Auf Basis der gesammelten Informationen bildet der Systemische Coach Hypothesen über Wirkungszusammenhänge:

  • Wo tragen die Beteiligten selbst zum Problem bei?

  • Welche Faktoren halten das Problem aufrecht?

  • Welche Muster sind erkennbar?

Hypothesen sind Annahme. Diese können zutreffend sein oder auch nicht. Das Team entscheidet, welche Hypothesen hilfreich sind und in Phase 3 genommen werden.

3. Interventionen planen: In dieser Phase werden konkrete Interventionen geplant. Die zentrale Frage in dieser Phase lautet: "Wie können alte destruktive Denk- und Verhaltensmuster unterbrochen und neue förderliche Muster initiiert werden, um das Projekt zu retten?" Der Systemische Coach unterstützt das Team eine Antwort zu finden durch ein breites Repertoire an systemischen Methoden.

4. Interventionen setzen: In der Phase 4 wird zur Tat geschritten und die Maßnahmen umgesetzt.Mit dem Abschluss der Phase 4 schließt sich der Kreis und verwandelt sich in eine Schleife, indem die Wirkungen der Maßnahmen beobachtet werden (Phase 1). Der Prozess kann dann so oft durchlaufen werden, bis das gewünschte Endergebnis erzielt wird.

Die Systemische Schleife ähnelt dem iterativen Vorgehen in der Software- und Produktentwicklung. Ständiges Feedback und neue Informationen treiben auch dort die kontinuierliche Verbesserung voran. Welcher Erfolg damit erzielt werden kann, wird sichtbar, wenn man sein jetziges Smartphone mit dem vor fünf Jahren vergleicht. Systemische Ansätze machen diese technische Erfolgsgeschichte auch für soziale Systeme möglich, wie für das Team aus unserem Beispiel.

Systemische Schleife (in Anlehnung an Königswieser & Exner 2019)
Systemische Schleife (in Anlehnung an Königswieser & Exner 2019)
Foto: Stefanie Krauss

Systemischer Berater werden - Aus- und Weiterbildung

Der Begriff des Systemischen Beraters ist kein geschützter Beruf, ähnlich wie der eines Coaches. Selbstredend gibt es auch verschiedene Möglichkeiten, sich dahingehend weiterzubilden. Es gibt verschiedene Institutionen, die Ausbildungsstandards setzen, wie beispielsweise die DGSF (Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie) und die SG (Systemische Gesellschaft).
Dieser klassische Weg zum Berater führt über eine mindestens zweijährige Ausbildung. Diese kann auch als Basis genutzt werden für eine anschließende Spezialisierung auf Systemisches Coaching oder Systemische Organisationsberatung. Ein psychologischer Hintergrund ist dabei prinzipiell von Vorteil, jedoch keine Voraussetzung. Entscheidend für den Erfolg eines Systemischen Beraters ist neben der Methodik somit auch das jeweilige Profil. Systemische Beratung ist also nicht immer Systemische Beratung.

Komplexe Herausforderungen fokussiert und lösungsorientiert zu meistern, kann mit Systemischer Beratung gelingen. Die Methoden können zum Teil recht ungewöhnlich erscheinen. Doch wie Albert Einstein schon erkannte, ist es oft genau das, was uns wirklich weiterbringt. (bw)