Was ist S/4HANA?

24.01.2023
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Christian Olausson ist Management Berater bei der Transfourm GmbH. In dieser Funktion ist er verantwortlich für die Geschäftsbereiche S/4HANA und Digitale Transformation. Im Vordergrund steht dabei mittelständische Unternehmen bei der Migration zu S/4HANA zu begleiten und Prozessautomatisierungen mittels RPA und KI voranzutreiben. Im Fokus dabei steht immer, das Beste aus der bestehenden IT-Infrastruktur herauszuholen und um sinnvolle Erweiterungen zu ergänzen.
S/4HANA kann Unternehmensmodelle und -prozesse neu ausrichten und transformieren. Das müssen Sie über die SAP Software wissen.
S/4HANA ist die vierte Generation der Business Suite von SAP. Das müssen Sie zum Thema wissen.
S/4HANA ist die vierte Generation der Business Suite von SAP. Das müssen Sie zum Thema wissen.
Foto: Panchenko Vladimir - shutterstock.com

Das Kürzel S/4HANA klingt kryptisch, jedoch ordnet es sich in die Reihe seiner Vorgängerversionen nahtlos ein. In den 1970er Jahren entwickelten fünf ehemalige IBM-Mitarbeiter Programme, die Lohnabrechnung und Buchhaltung per Großrechner ermöglichten. Anstatt die Daten mechanisch auf Lochkarten zu speichern, setzen sie auf den Dialog "online" per Tastatur und Bildschirm. Daher bezeichneten sie ihr System als Realtime-System, wofür das "R" in den Produktnamen stand. Das erste Produkt "SAP R/1" war als Standardsoftware konzipiert und konnte bei weiteren Unternehmen angeboten werden. 1979 kam das Nachfolgeprodukt "SAP R/2" auf den Markt. Dies lief ebenfalls nur auf Großrechnern und umfasste die folgenden Funktionsbereiche:

  • Finanzbuchhaltung

  • Kostenrechnung

  • Materialwirtschaft

  • Produktionsplanung und -steuerung

  • Instandhaltung

  • Personalwirtschaft

  • Vertrieb

Als SAP 1991 R/3 als Lösung für den Mittelstand und Ergänzung zu R/2 auf den Markt brachte, konzipierten sie die Lösung für die IBM AS/400 Systeme. Diese waren jedoch vom System überfordert, so dass SAP auf UNIX-Workstations und Oracle Datenbanken ausweichen musste. Dadurch arbeiteten sie nach dem Client-Server-Prinzip. Dieses Prinzip war so erfolgreich, dass R/3 das Softwarepaket R/2 nahezu vollständig ablöste.

2008 entwickelte SAP in Zusammenarbeit mit dem Hasso-Plattner-Institut und der Stanford University die Architektur von SAP HANA mit dem Ziel große Datenmengen in Echtzeit analysieren zu können. Im Jahre 2010 stellte die SAP die HANA-Datenbank vor. Fünf Jahre später wurde S/4HANA eingeführt, welches vollständig auf dem vereinfachten Datenmodell von SAP HANA basierte. "S" steht dabei für "simple", "4" für die vierte Produktgeneration und "HANA" für die selbstentwickelte relationale In-Memory-Datenbank, die Voraussetzung zur Nutzung von S/4HANA ist.

SAP S/4HANA - Funktionsweise

Während die Vorgängerversionen auch mit relationalen Datenbanken anderer Hersteller zusammenspielten, arbeitet S/4HANA ausschließlich auf der HANA-Datenbank. SAP HANA ist ein relationales Datenbank-System, das die Einträge nicht zeilenweise, sondern spaltenweise direkt im Arbeitsspeicher und dazugehörigen Pufferspeicher (Cache) speichert. Durch die Ablage der Daten im Arbeitsspeicher können Abfragen in sehr hoher Geschwindigkeit ("Echtzeit") ausgeführt werden. Der komplexere und langsamere Weg, dass über Abfragen zunächst die Daten aus mehreren Tabellen der Datenbank extrahiert und konsolidieren werden ehe dann das Ergebnis angezeigt wird, wie bei der Vorgängerversion, entfällt bei dieser Technologie.

Ein weiterer Vorteil des Datenmodells der HANA-Datenbank ist, dass die Daten nicht bei jeder Buchung zusammengeführt werden müssen. Dies ist bei den bisherigen festplattenorientierten, relationalen Datenbanken der Fall. Während bisher die Daten bei jeder Abfrage neu aggregiert werden mussten, kann im HANA-Datenmodell ein Dataset nach verschiedenen Kriterien ausgegeben werden. Dadurch gewinnt man einerseits an Flexibilität, andererseits an Durchsatzzeiten.

Nicht nur der Name S/4HANA zeigt die enge Verzahnung des neuen ERP-Systems mit der Datenbank. Die gesamte Architektur von S/4HANA ist softwaretechnisch eng miteinander verzahnt und aufeinander abgestimmt. Nicht nur das Datenmodell wurde vereinfacht, sondern auch die Benutzeroberfläche (GUI), über die der Nutzer auf die Prozesse zugreift, neugestaltet. Anstelle der für die Transaktionsverarbeitung optimierte SAP GUI wurde das rollenbasierte SAP Fiori eingeführt. Damit wurde die Anzahl der Bildschirme und Bildschirmwechsel und damit auch die Anzahl der Felder, die für eine Rolle bzw. die Ausführung eines Prozesses notwendig sind, reduziert. Mit SAP Fiori wird den Endanwendern unabhängig vom genutzten Endgerät die gleiche Oberfläche angezeigt, wodurch das Arbeiten an verschiedenen Endgeräten vereinfacht werden soll.

Durch die vollständige Veränderung der zugrunde liegenden Architektur, der In-Memory-Datenbank, einem intelligenten Datenmodell und einer vereinfachten Oberfläche hat SAP mit S/4HANA eine, wie das Unternehmen sie selbst bezeichnet, "Echtzeit-ERP-Suite für das digitale Geschäft" geschaffen.

S/4HANA - die Business Technology Platform

Die SAP Business Technology Platform ist ein integriertes Angebot, das vier Technologieportfolios umfasst:

  • Datenbank- und Datenmanagement,

  • Anwendungsentwicklung und -integration,

  • Analysen und

  • intelligente Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), Internet der Dinge (IoT) oder Blockchain.

Dabei greift SAP den Trend auf, den schon Salesforce und Microsoft Azure vorgelebt haben: der Application Server aus der Cloud, der nicht mehr fixiert ist auf "die eine Installation", sondern auf Daten und Apps, um Daten anzuzeigen und zu verarbeiten. Die SAP Business Technology Platform bietet dafür In-Memory-Verarbeitung, agile Services zur Datenintegration und Anwendungserweiterung sowie eingebettete Analysen und intelligente Technologien. Die offene Architektur (Open-API) ermöglicht Partnern und Kunden zudem die flexible und kontinuierliche Erweiterung der IT-Landschaft.

Den Anwendern sollen dadurch flexible Möglichkeiten unterbreitet werden, um ein Verständnis in die Daten und Prozesse in den Anwendungen zu bekommen und mit den angebotenen Services ihre Daten in Geschäftswert bzw. geschäftlichen Nutzen umzuwandeln. Dafür werden zum einen operative Daten wie z.B. Kosten, Klicks und Umsatze; zum anderen erfahrungsbasierte Daten wie Kundenzufriedenheit aufgegriffen und in Verbindung gesetzt. Die Ergebnisse und Erkenntnisse aus den darauf aufbauenden Analysen sollen dann direkt in Maßnahmen überführt oder in die Prozesse zurückgespielt werden. So wird es Unternehmen ermöglicht Prozesse und erfahrungsbasierte Daten zu verbinden und Optimierungen und Innovation voranzutreiben.

Mit S/4HANA ist SAP auch beim Betriebsmodell einen neuen Weg gegangen. So kann S/4HANA nicht nur On Premises-betrieben, sondern auch als Cloud-Version gemietet werden.

S/4HANA Cloud

Die S/4HANA Cloud Edition wird als Software-as-a-Service angeboten. Eigene Programmierungen sind in dieser Variante nicht möglich. Kunden sind also gezwungen, die von SAP bereitgestellten Prozesse zu nutzen und danach zu arbeiten. Auf der anderen Seite müssen sich Kunden keine Gedanken um das Thema Serverkapazität oder Wartung machen. Zudem kann die Implementierung von S/4HANA in der Cloud wesentlich schneller durchgeführt werden als bei der On-Premises-Version, da die Cloud-Variante als vorkonfiguriertes System in einer Standardvariante bereitgestellt wird. Zudem verspricht die S/4HANA Cloud Edition schnelleren Zugriff auf Innovationen, da SAP hierfür einen vierteljährigen Innovationszyklus gegenüber einem einjährigen Innovationszyklus bei der On-Premises-Version etabliert hat.

Als Variante bietet SAP die HANA Enterprise Cloud (HEC) an. Dies entspricht im Wesentlichen einem Hosting-Prinzip, bei dem jeder Kunde seinen eigenen Server mit eigenem System bei der SAP hat, diese jedoch nicht selbst wartet. Die HEC entspricht damit dem Modell einer Private Cloud. Im Vergleich zur Public Cloud stellt die SAP hier die Infrastruktur-As-A-Service an, d.h. SAP stellt die komplette Systemlandschaft inklusive aller Anwendungen auf Basis einer SAP-Referenzarchitektur zur Verfügung. Da es sich bei der HEC um eine Private Cloud handelt, kann das System mittels Programmierungen an die Bedürfnisse eines Kunden angepasst werden.

Mit dem SAP-Angebot RISE with SAP bietet der Hersteller seinen Kunden einen schnellen Wechsel in die Cloud an. Dazu wurden ein Angebot aus SAP S/4HANA Cloud und ergänzend SAP Services erstellt, um Unternehmen bei der digitalen Transformation zu unterstützen. Diese erfolgt in den drei Schritten: Neugestaltung der Prozesse, technische Migration und Aufbau des intelligenten Unternehmens.

S/4HANA On-Premise

Mit SAP S/4HANA On-Premise verwaltet der Kunde vor Ort das S/4HANA-System, die HANA-Datenbank, Anwendungen, Rechenzentrum, Betriebssysteme, Middleware und Netzwerk. Das Unternehmen ist außerdem selbst verantwortlich für die Wartung und Entwicklung. Dadurch wird jedoch eine maximale Flexibilität ermöglicht. Anpassung der Software an unternehmensspezifische Anforderungen, die Steuerung der Häufigkeit und Zeitplanung von Upgrades sowie das Einspielen von Support-Packages übernimmt der Kunde in dieser Variante selbst.

S/4HANA Optionen und Betriebsmodelle
S/4HANA Optionen und Betriebsmodelle
Foto: Christian Olausson

S/4HANA Hybrid

Grundsätzlich ist auch eine Kombination von S/4HANA Cloud und S/4HANA On-Premise möglich. Dann spricht man vom hybriden Ansatz. Dabei können Unternehmen ausgewählte Prozesse, z.B. die Kernprozesse, mit SAP S/4HANA On-Premise lokal auf eigenen Servern betreiben. Andere Prozesse, die keiner individuellen Anpassung bedürfen, können in die Cloud ausgelagert werden.

Lesetipp: Tipps für die richtige SAP-Lizenzierung

SAP S/4HANA - Funktionen und Lösungen

Sprach man in der Vergangenheit beim SAP ERP immer von Modulen, die eingesetzt werden, spricht SAP selbst bei SAP S/4HANA von Prozessen, die das gesamte Geschäft abdecken und aufeinander abgestimmt sind. Die aktuelle Version SAP S/4HANA deckt dabei folgende Funktionsbereiche ab:

  • S/4HANA Sales & Marketing

  • S/4HANA Finance

  • S/4HANA Manufacturing

  • S/4HANA Supply Chain

  • S/4HANA Service

  • S/4HANA Asset Management

  • S/4HANA R&D / Engineering

  • S/4HANA Scouring & Procurement

  • S/4HANA Human Ressources

Mit dem neuen Aufbau von S/4HANA hat der Hersteller auch ein in Teilen neues Lizenzmodell veröffentlicht. Funktionen, die im sogenannten Digital Core, dem "SAP S/4HANA Enterprise Management", enthalten sind, werden über User lizenziert. Hingegen sind die Funktionalitäten, die in den SAP S/4HANA Line-of-Business Solutions bzw. den Suite LoB Solutions enthaltenen sind, separat zu lizenzieren. Die Suite LoB Solutions unterscheiden sich zu den S/4HANA LoB Solutions ansonsten darin, dass sie separat zu S/4HANA installiert werden. Die "doppelte" Lizenzierung von Lösungen, bei der für die LoB Solutions ein Nutzer eine SAP-Userlizenz und zusätzlich die Lösung lizenziert werden muss, entfällt im neuen Lizenzmodell.

SAP hat für verschiedene Branchen bereits Best-Pratice-Lösungen vorgedacht. Unter S/4HANA bietet der Hersteller auf intelligenten Technologien basierende Lösungen für Best-Practice-Geschäftsprozesse für folgende Branchen:

Energie und natürliche Ressourcen

  • Baustoffe

  • Chemieindustrie

  • Metall-, Holz- und Papierindustrie

  • Bergbau

  • Öl- und Gasindustrie

  • Versorgungswirtschaft

Dienstleistungsbranche

  • Frachttransport und Logistik

  • Bauwirtschaft, Anlagen- und Schiffbau

  • Medien und Unterhaltung

  • Tourismus und Freizeitbranche

  • Dienstleistungen

  • Sport und Entertainment

  • Telekommunikation

Konsumgüterindustrie

  • Agrarindustrie

  • Konsumgüter

  • Mode

  • Life Sciences

  • Einzelhandel

  • Großhandel

Fertigungsindustrie

  • Luft- und Raumfahrtindustrie

  • Automobilindustrie

  • Hightech- und Elektronikindustrie

  • Maschinen-, Geräte- und Komponentenbau

Finanzdienstleistungen

  • Bankwesen

  • Versicherungen

Öffentlicher Dienst und Verwaltung

  • Innere und äußere Sicherheit

  • Städte der Zukunft

  • Gesundheitswesen

  • Hochschulen und Forschungseinrichtungen

  • Öffentlicher Sektor

S/4HANA - Migration

Da SAP angekündigt hat, die Wartung und die Weiterentwicklung von Altprodukten wie der Business Suite im Jahr 2027 einzustellen (Extended-Wartung gegen Aufpreis bis Ende 2030 möglich) einzustellen, steht für viele SAP-Kunden in den nächsten Jahren die Migration zu SAP S/4HANA an. Dabei stehen verschiedene technische und konzeptionelle Ansätze zur Migration zur Verfügung. Die Auswahl reicht von der kompletten Neuinstallation des Systems über die Konvertierung einzelner SAP-Systeme bis zur selektiven Migration. Welche Art der Migration am sinnvollsten ist, hängt von verschiedenen Kriterien ab, wie z.B.:

  • die Ausgangskonfiguration des Kunden

  • die vorhandene IT-Systemlandschaft

  • Betriebsmodell (Cloud oder On-Premises)

  • (IT-)strategische Zielsetzung

  • vorhandenes Know-how

  • organisatorische Strukturen.

Der grundlegende Neuaufbau der S/4HANA-Architektur und -Struktur macht die Migration bestehender SAP-Installationen zu einem sehr komplexen Prozess. Von SAP werden die zu berücksichtigenden Veränderungen in einer über 1000-seitigen Simplifizierungsliste im Detail beschrieben.

Greenfield-Ansatz

Der Greenfield-Ansatz beschreibt eine vollständige Neuimplementierung der SAP-Suite. Gemäß dem Titel auf der "grünen Wiese". Das Unternehmen gibt dabei die bereits vorhandenen Systeme auf und ersetzt sie durch SAP S/4HANA. Die Daten der existierenden SAP- oder Nicht-SAP-Systeme lassen sich mit entsprechenden Anpassungen und Konvertierungen schrittweise in das neue System überführen. Dem Unternehmen bietet der Greenfield-Ansatz den Vorteil, dass die über die Jahre individualisierten ERP-Systeme durch eine neue Standardversion von SAP S/4HANA abgelöst werden. Das Unternehmen startet mit seiner ERP-Suite mehr oder weniger neu und wird von Altlasten befreit.

Brownfield-Ansatz

Der Brownfield-Ansatz verfolgt das Konzept einer schrittweisen Konvertierung und Umstellung bestehender SAP-ERP-Systeme zu SAP S/4HANA. Die bestehenden Systeme erhalten eine Art Upgrade. Individualisierungen bleiben, falls gewünscht, erhalten. Zur technischen Unterstützung der Migration existieren Lösungen wie der Software-Update-Manager (SUM) und die Daten-Migrations-Option (DMO). Vorteile des Brownfield-Ansatzes sind die mögliche Beibehaltung individueller Prozesse und die Integration in die vorhandene Systemlandschaft bei gleichzeitiger Modernisierung, Standardisierung und Konsolidierung des Gesamtsystems.

Bluefield-Ansatz

Der Bluefield Ansatz entspricht einer Kombination aus Greenfield- und Brownfield-Ansatz. Gestartet wird mit dem Aufbau eines leeren Zielsystems - der Schale - ohne Daten. Anschließend werden Stamm- und Bewegungsdaten mit Tools verschiedener Anbieter gezielt selektiert und in das leere Zielsystem migriert. Historische Daten werden hingegen archiviert. Prozesse und Funktionen können aus dem Alt-System übernommen oder neu konzipiert werden.

Landscape-Transformation

Der Fokus bei der Umwandlung der SAP-Landschaft besteht nicht darin, das gesamte System zu konvertieren. Mit der Umwandlung der SAP-Landschaft sollen vielmehr ausgewählte Daten zu SAP S/4HANA migriert oder Geschäftsprozesse mit einem globalen System konsolidiert werden. Der Ansatz bedeutet damit auch, dass zunächst die Prozesse ausgewählt werden, die den größten und schnellsten ROI bei der Migration zu S/4HANA bieten, z.B. im Bereich S/4HANA Finance. (bw)