Preiswirkung ist ein wichtiges Thema im Marketing. Wenn wir ein Produkt in Händen halten, das uns gefällt, kommen im Gehirn eine ganze Menge unterschiedlicher Prozesse in Gang. Idealerweise werden unsere Emotionsnetzwerke aktiv, da uns das, was wir sehen, anspricht. Gleichzeitig sucht unser Gedächtnis nach bisherigen Erfahrungen mit dem Produkt und unser medialer Präfrotalkortex versucht all diese paralel ablaufenden Prozesse zu intergrieren. Und dann fällt der Blick auf den Preis.
Es ist mittlerweile bekannt, dass hohe Preise zu erhöhter Aktivität im vorderen Teil der Insula führen können, einer Hirnregion, die unter anderem auch bei der Wahrnehmung von Schmerzen verstärkte Aktivität zeigt, weshalb populärwissenschaftlich auch gern vom "Verlustschmerz" beim Bezahlen gesprochen wird.
Nun sind die meisten Preise aber nicht unverschämt hoch, und vor allem ist unser Gehirn sehr sensibel, was den Kontext angeht. Ein hoher Preis kann wehtun, er kann aber nachweislich auch als Hinweis auf Qualität interpretiert werden. Eine erst kürzlich im Journal of Marketing Research erschienene Studie untersuchte daher mögliche Unterschiede in Bezug auf die neuronale Preiswirkung. Die Autoren fragten sich: Macht es einen Unterschied, ob wir erst das Produkt und dann Preis sehen im Vergleich zur umgekehrten Reihenfolge?
Oder anders formuliert: Gibt es einen "price-primacy" Effekt?
Preiswirkung aus Neuromarketing Sicht
Um zu untersuchen, wie das Gehirn auf Reihenfolgen bei der Produkt/Preis-Präsentation reagiert, entwickelten Karmarkar, Shiv und Knutson (2014) ein simples Untersuchungsdesign (ein interessantes Interview mit den Autoren zu ihrer Studie findet sich hier).
Sie legten Probanden in ein fMRT und zeigten ihnen verschiedene Produkte zu unterschiedlichen Preisen. Manchmal wurde zuerst das Produkt (product-primacy) gezeigt und dann erst Produkt und Preis zusammen, in anderen Durchgängen wurde zuerst der Preis (price-primacy) gezeigt, ehe dann das Produkt ergänzt wurde. Jeder Proband bekam also mal zuerst den Preis, mal zuerst das Produkt zu sehen. Dann mussten die Probanden entscheiden, ob sie das gezeigte Produkt zum angegebenen Preis kaufen würden oder nicht.
Zudem wurden zum Schluss des Experiments zwei zufällig gewählte Entscheidungen tatsächlich in die Tat umgesetzt. Hatten sie entschieden, ein Produkt kaufen zu wollen, mussten sie dieses bezahlen und es wurde ihnen ausgehändigt. So wurde sichergestellt, dass die Probanden die Entscheidungen auch ernst nahmen.
Im Anschluss an die fMRT Scans wurden die Probanden noch gefragt, wie sehr sie die einzelnen gezeigten Produkte mochten und wie viel sie bereit wären, dafür auszugeben. Dies geschah, um mögliche Störeinflüsse durch besonders (un-)beliebte oder besonders preiswerte oder besonders teure Produkte auszuschließen. Dann wurde gerechnet.
- 57 Prozent
Die Versandkosten waren mir zu hoch. - 53 Prozent
Es gab keine passende Zahlmethode. - 39 Prozent
Ich musste ein umfassendes Kundenkonto anlegen, das war mir zu aufwendig. - 33 Prozent
Das Produkt war anderswo billiger. - 25 Prozent
Mir fehlte die letzte Kaufmotivation, denn so dringend brauchte ich das Produkt nicht. - 23 Prozent
Die angegebene Versanddauer war zu lang. - 23 Prozent
Der Kaufprozess im Shop war zu lang und umständlich. - 21 Prozent
Der Shop war nicht vertrauenserweckend. - 21 Prozent
Die Shopseite funktionierte technisch nicht. - 15 Prozent
Der Shop bot mir nicht ausreichend Produktinformationen. - 13 Prozent
Ich wollte zuerst schauen, ob ich online einen Rabattcode finde. - 11 Prozent
Der ganze Shop und die Produktdarstellung haben mich einfach nicht zum Kauf inspiriert. - 8 Prozent
Ich habe mich im Shop nicht zurechtgefunden.
Wie erwartet war der im Experiment gezeigte Preis bei Durchgängen, die zu einer "kaufen"-Entscheidung führten, im Durchschnitt niedriger, als der im Anschluss an das Experiment erfragte maximal akzeptierte Preis. Dies war sowohl bei price-primacy als auch bei product-primacy der Fall, allerdings deutlicher bei product-primacy. Ebenso waren die "Liking" Ratings höher für Produkte, die zu einer Kaufentscheidung führten - unabhängig von der primacy Bedingung.So weit, so vorhersehbar.
Auf neuronaler Ebene lassen sich diese Befunde aber durch einige interessante weitere Ergebnisse ergänzen. Wie schon in einer früheren Studie nachgewiesen, schien der mediale präfrontale Kortex immer dann aktiv zu werden, wenn Preis und Produkt zeitgleich zu sehen waren. Dies bestätigt die Funktion des MPFC - so die gängige Abkürzung für diese Struktur - als Intergrationsstelle für verschiedene Informationen mit Entscheidungsrelevanz.
Unter product-primacy-Bedingungen war der Aktivitätsunterschied im MPFC zwischen "kaufen"- und "nicht kaufen"-Entscheidungen zudem deutlich größer, als unter price-primacy-Bedingungen. Während bei nicht gekauften Produkten unter product-primacy-Bedingungen ein Abfall der Aktivität im MPFC zu beobachten war, blieb die Aktivität unter price-primacy-Bedingungen bei nicht gekauften Produkten weitgehend konstant. Dies ist ein erster Hinweis auf Unterschiede in der Preiswirkung, auf den ich gleich noch näher eingehen werde.
Zuvor möchte ich noch ein interessantes zweites Ergebnis vorstellen: Wie erwähnt wurden die Probanden im Anschluss an die Untersuchung gefragt, wie sehr sie die präsentierten Produkte mochten. Diese Einschätzungen korrelierten signifikant mit Aktivität im Nucleus Accumbens, bekannt als wichtigem Teil des Belohnungserwartungsnetzwerks. Auch das war zu erwarten.
Der Effekt trat allerdings nur dann auf, wenn das Produkt präsentiert wurde - also nicht während der Preispräsentation - und unterschied sich nicht zwischen price-primacy und product-primacy bei gekauften Produkten. Bei einer Betrachtung der nicht gekauften Produkte gab es jedoch einen Unterschied zwischen den Bedingungen: Unter price-primacy-Bedingungen führten nicht gekaufte Produkte zu einem geringeren Abfall der Aktivität im Nucleus Accumbens, verglichen mit der product-primacy-Bedingung. Ist dies der Nachweis, dass die Preiswirkung unsere Bewertung von Produkten verändern kann?
Preiswirkung und die Frage nach dem Wert
Die fMRT Daten von Karmarkar, Shiv und Knutson (2014) legen nahe, dass price-primacy und product-primacy tatsächlich zu unterschiedlichen Kaufentscheidungsprozessen führen. Sehen wir zuerst das Produkt und dann den Preis, kann es beim Zusammenführen der beiden Informationen zu einem starken Abfall der Aktivität im MPFC (Wert-Preis-Abgleich) und im Nucleus Accumbens (Liking) kommen. Dieser Abfall fällt deutlich geringer aus, wenn der Preis zuerst präsentiert wird.
Die Autoren mutmaßen daher, dass es bei price-primacy eher um die Frage geht: "Ist das Podukt diesen Preis auch wert?", während bei product-primacy die Frage "Was muss ich dafür zahlen" im Vordergrund steht. Im ersten Fall wird der Nutzen des Produkts betont, im zweiten der emotionale Wert.
Um diese Hypothese zu testen, führten sie ein zweites Online-Experiment durch. Die Hälfte der Probanen bekam einen Preis zu sehen und dann Preis und Produkt zusammen (price-primacy), die andere Hälfte bekam zuerst nur das Produkt und dann beide Informationen präsentiert (product-primacy). Bei den Produkten handelte es sich um alltägliche Gebrauchsgegenstände, wie Toilettenpapier.
Die Annahme war, dass price-primacy durch die Betonung des Nutzens besser geeignet wäre, um Gebrauchsgegenstände zu verkaufen, da der während product-primacy betonte Belohnungswert der Produkte kaum eine Rolle spielen sollte. Und genau das spiegelte sich auch in den Ergebnissen wider.
Was bedeutet dies für die Preiswirkung in der Praxis?
Unter price-primacy Bedingungen wurden deutlich mehr Produkte gekauft, als unter product-primacy Bedingungen. 79 Prozent der Produkte, die preiswerter waren als der später erfragte Maximalpreis, wurden "gekauft", wenn der Preis zuerst gezeigt wurde. Im Vergleich dazu landeten nur 52 Prozent der preiswerten Produkte im experimentellen Einkaufswagen, wenn das Produkt zuerst gezeigt wurde. Ein deutlicher Unterschied.
Diese Ergenisse zeigen, dass unser Gehirn Preisinformation unterschiedlich bewertet, je nachdem, wann der Preis präsentiert wird. Price-primacy betont die Frage nach dem monetären Wert des Produkts. Handelt es sich um Gebrauchsgüter, die wegen ihrer Funktion und nicht ihres Prestiges oder ihres emotionalen Wertes wegen gekauft werden, und ist der Preis darüber hinaus fair, macht es durchaus Sinn erst den Preis und dann das Produkt zu zeigen.
Luxus- und Genussgüter ziehen ihren Wert hingegen aus der emotionalen Komponente, die durch den Preis verringert wird. Hier ergibt es Sinn das Produkt in den Vordergurnd zu stellen.
Das Wichtigste in 50 Wörtern
Preiswirkung scheint in hohem Maße abhängig von Reihenfolgeeffekten. Sehen wir zuerst den Preis, dann das Produkt, achtet das menschliche Gehirn vor allem darauf, ob das Produkt den Preis wert ist. Gebrauchsgüter, vor allem zu fairen Preisen, können so besser abgesetzt werden. Bei Genussgütern sollte hingegen das Produkt im Vordergrund stehen. (bw)