Ergonomie

Was eine Arbeitsplatzsoftware leisten muss

18.01.2019
Von 
André Meixner ist Leiter User Centered Test bei T-Systems Multimedia Solutions. Die Hauptaufgabe seines Bereichs ist der Test von Anwendungen auf Usability und Barrierefreiheit sowie die Beratung in diesen Themengebieten.
Falsche oder gar fehlerhaft programmierte Softwarelösungen können Überforderung und Stress bei den Mitarbeitern auslösen. Grund genug also Anwendungen auf ihre Ergonomie und Usability zu prüfen.

Die Belastungen, denen Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt sind, fallen in der Regel sehr umfangreich aus. Kollegen, Lärm, Licht, Mobiliar und eben auch die genutzten Programme spielen eine entscheidende Rolle. Die Benutzerfreundlichkeit der Softwareoberflächen wird somit immer mehr auch zum Entscheidungskriterium für oder gegen ein Produkt. Wer Software entwickelt, muss sich daher mit dem Thema beschäftigen. Es gilt, keine Zeit zu verlieren, um nicht den Anschluss zu verpassen.

Eine an die Anforderungen des Betriebs oder der Bediener angepasste Software kann die Belastung am Arbeitsplatz verringern.
Eine an die Anforderungen des Betriebs oder der Bediener angepasste Software kann die Belastung am Arbeitsplatz verringern.
Foto: everything possible - shutterstock.com

Woran sich Software orientieren muss

Mithilfe ergonomischer Software werden Standardsysteme individuell an die Anforderungen des Betriebs oder der Bediener angepasst. So können Eingabefelder beispielsweise übersichtlicher gestaltet und ungenutzte Felder ausgeblendet werden. Doch gibt es Software-Ergonomie nur selten von der "Stange", vielmehr spielt hier die dauerhafte Qualitätssicherung eine entscheidende Rolle, um die Produktivität zu sichern.

Die Arbeitsstättenverordnung verpflichtet Unternehmen, auch bei Bildschirmarbeitsplätzen auf optimale Arbeitsbedingungen zu achten. Das beinhaltet auch die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung. Das bedeutet, dass ein Unternehmen bei allen Bildschirmarbeitsplätzen darauf achten muss, dass die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter nicht gefährdet ist. Bei der Beurteilung fließen vor allem die Anforderungen an die Augen sowie mögliche körperliche und psychische Belastungen mit ein. Daher ist es wichtig, dass Arbeitgeber sich an die DIN EN ISO 9241 Norm halten, die beispielsweise von der Benutzeroberfläche bis hin zur Zeichenanordnung eine Reihe von Regeln festlegt.

Folgende Punkte sollten Arbeitgeber unter anderem gemäß DIN EN ISO 9241 beachten:

  • Scharfe Bilddarstellung: Das Bild auf dem Bildschirm muss klar und deutlich erscheinen und groß genug sein. Zudem ist es wichtig das Arbeitnehmer den Kontrast sowie die Helligkeit einstellen können und die Zeichen- und Zeilenabstände angemessen sind.

  • Steuerbarkeit der Programme: Die Arbeitsabläufe müssen in frei wählbarer Reihenfolge gesteuert und die verschiedenen Programme untereinander kommunizieren und Arbeitsschritte rückgängig gemacht werden können.

  • Individualisierbarkeit: Die Programme müssen dem Wissensstand und den Erwartungen der Nutzer entsprechen. Ist das Programm in der Lage, direktes Feedback auf Eingaben zu geben und kann die Programmoberfläche individuell auf den Nutzer zugeschnitten werden, ist dies besonders positiv.

  • Aufgabenangemessenheit: Die Programme müssen Funktionen darbieten, welche besonders zeitaufwendige Prozesse automatisieren können. Zudem sind auf der Programmoberfläche Begriffe und Symbole leicht verständlich darzustellen.

  • Fehlertoleranz: Das Programm ermöglicht dem Nutzer trotz Erkennung eines Fehlers den Arbeitsprozess fortzuführen.

Benutzerzentrierte Software dank Usability-Tests

Mit individuellen Usability-Tests, die vor allem die Grundsätze der ISO-Reihe 9241 berücksichtigen, können Softwarehersteller die Ergonomie und somit die Bedienbarkeit ihrer Anwendungen auf deren Aufgabenangemessenheit, Selbstbeschreibungsfähigkeit, Erwartungskonformität, Steuerbarkeit, Fehlertoleranz, Individualisierbarkeit, Lernförderlichkeit und Übersichtlichkeit (Grundsätzen der Dialoggestaltung) überprüfen. Zunächst gilt es jedoch, den Nutzungskontext wie etwa Zielgruppen, Arbeitsaufgaben, Einarbeitungszeiten der Bediener oder Nutzungsumgebung, einzugrenzen. Auf Basis dessen wird jedes der oben genannten Kriterien einem Relevanzfaktor zugeordnet. In die Bewertung der Relevanzfaktoren fließt auch ein, wie häufig bestimmte Anwendungen oder Funktionen genutzt werden. Dementsprechend niedriger oder höher wird ihr Relevanzwert festgesetzt. Denn bei einer selten genutzten Funktion ist die Selbstbeschreibungsfähigkeit ungleich wichtiger, als bei einer Fachanwendung mit dreimonatiger Einarbeitungszeit und Intensivschulung; der Relevanzfaktor wäre größer.

Wird im Test nun ein Problem festgestellt, wird dies mit dem Relevanzwert multipliziert. Dieses Vorgehen findet bei jedem Problem statt und am Ende steht ein Gesamtwert fest, der in etwa wie eine Schulnote gelesen werden kann. Die Probleme werden dabei nach einem dreistufigen System gewichtet, wobei die Stufe drei die schwerwiegendsten Probleme und Stufe eins lediglich leichte Usability-Einschränkungen mit Auswirkungen auf die Nutzungseffizienz beschreiben. Durch die Einbeziehung des Nutzungskontexts in die Ergebnisberechnung können sogar vergleichende Analysen über verschiedene Anwendungstypen hinweg erfolgen. Ein solcher Testprozess lässt sich überall dort anwenden, wo Ergonomie und Usability wichtig sind und klassische Probandentests zu zeit- und kostenaufwendig sind.

Trotz der heute möglichen Testverfahren weisen betrieblich eingesetzte Software-Produkte viele ergonomische Mängel auf. So mancher Angestellter in Deutschland muss sich während seiner Arbeitszeit mit Bedienproblemen herumschlagen, weil die Software, mit der er arbeitet, nicht ergonomisch ist. Das führt am Ende zu Frustration und einer ineffizienten Arbeitsweise. Unternehmen müssen bereits während der Software-Auswahl oder auch -Eigenentwicklung die Ergonomie beziehungsweise die Usability berücksichtigen, da diese im Nachhinein nur schwer in bestehende Systeme implementiert werden kann. Die entsprechende Berücksichtigung in frühen Phasen hat auch weitere Vorteile: Denn so können hohe Kosten für Trainings und Dokumentationen eingespart werden.

Mag die Berücksichtigung von Software-Ergonomie für Unternehmen auch auf den ersten Blick arbeitsintensiv erscheinen, so ist sie doch ein langfristiges Investment. Egal ob App, SAP-System, Embedded-Device, Frontend einer Fertigungsstrecke oder VR/AR-Anwendungen - ergonomische Software trägt erheblich zur Vereinfachung der Arbeitsprozesse bei und verringert den Aufwand für Supportarbeiten. Softwarehersteller jeglicher Art müssen in Zukunft auf die Einhaltung der Richtlinien achten, denn bei der Auswahl des passenden Anbieters wird für ihre Kunden zunehmend die Ergonomie eine wichtige Rolle spielen.