Auf die Klauseln kommt es an

Was Arbeitsverträge über Kultur verraten

Kommentar  01.06.2022
Von  und
Nane Nebel ist Karriereberaterin und -coach. Sie unterstützt Führungskräfte beim Newplacement und ist u.a. Autorin des Buches „Die CEO-Auswahl. Die drei Hürden zur neuen Verantwortung und wie Sie diese meistern.” (Campus 2020).
Jürgen Nebel ist Berater, Coach und Rechtsanwalt auf die Zielgruppe der oberen Führungskräfte spezialisiert.
Arbeitsverträge und ihre Klauseln verraten viel über ein Unternehmen, seine Kultur und Werte.
Es empfiehlt sich, Arbeitsverträge samt ihrer Klauseln und des Kleingedruckten genau zu lesen, um in und zwischen den Zeilen mögliche Rückschlüsse auf die Firmenkultur ziehen zu können.
Es empfiehlt sich, Arbeitsverträge samt ihrer Klauseln und des Kleingedruckten genau zu lesen, um in und zwischen den Zeilen mögliche Rückschlüsse auf die Firmenkultur ziehen zu können.
Foto: kan_chana - shutterstock.com

Der Arbeitsvertrag markiert das Ende jedes erfolgreichen Auswahlprozesses. Im besten Fall spiegelt er all das wider, was vorab bereits besprochen wurde. Häufig hält er jedoch auch Überraschungen bereit und sollte deshalb mit genügend Aufmerksamkeit studiert werden. Mit jedem Karriereschritt wird es wichtiger, ihn sorgfältig zu prüfen. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Rechte und Pflichten, die er regelt, sondern auch hinsichtlich dessen, was er über die Unternehmens- und Führungskultur des Arbeitgebers verrät. Der Vertrag kann Hinweise auf die wichtigste aller Fragen liefern, nämlich ob Unternehmen und Position wirklich zum Bewerber passen. Denn ein Fehlgriff, gerade auf C-Level-, Director- oder Bereichsleiterebene, kann sich schlimmstenfalls als echter Karrierekiller entpuppen.

Vorher herausfinden, was einen nachher erwartet

So kann man einen Vertrag nicht nur lesen, sondern ihn auch interpretieren, ihn wie einen Grundriss betrachten und versuchen, die Struktur, die dahinterstehende Idee, das Leitmotiv sozusagen zu verstehen. Juristisches Fachwissen ist für Letzteres nicht entscheidend, allerdings einiges an Erfahrung mit unterschiedlichen Führungsstilen, Unternehmenskulturen und -phasen, sowie mit den typischen Eigenheiten der verschiedenen Unternehmenseigentümer oder der Phasen, in denen sich ein Unternehmen befindet. Die Spannbreite vom Family-Office bis zum Konzern und vom Startup bis zum Weltmarktführer ist groß.

Ein Beispiel: Ein Abschnitt im Vertrag ist besonders kleinteilig und detailliert ausgeführt und ausformuliert. Das ist ziemlich sicher ein Hinweis darauf, dass im Unternehmen in der Vergangenheit genau an diesem Punkt Probleme aufgetreten sind oder es sogar zu Rechtsstreitigkeiten kam, für die man sich nun zukünftig absichern will. Es verrät also etwas über die Vertragshistorie und wie mit einzelnen Punkten umgegangen wurde.

Die Vertragsentwürfe mancher Firmen schränken Führungskräfte in ihrer Bewegungsfreiheit übermäßig ein, beispielsweise in Bezug auf eine nebenberufliche Tätigkeit oder durch die Pflicht zur sofortigen Vorlage von Krankheitsnachweisen. Solche einseitig restriktiven Vertragsentwürfe setzen gezielt auf ein Über- beziehungsweise Unterordnungsverhältnis, das vermutlich im Unternehmen generell gelebt wird.

Vorsicht bei einseitig restriktiven Verträgen

Oft ist durch die Zeilen hindurch zu spüren, durch die Wortwahl zu schlussfolgern, anhand der Reihenfolge der Abschnitte zu sehen und erst recht natürlich durch den Inhalt der einzelnen Klauseln selbst zu erkennen, wes Geistes Kind die Verfasser, genauer deren Auftraggeber sind. In der Zusammenarbeit mit unseren Klienten haben wir schon Entwürfe geprüft, die zu lesen reine Freude waren. Äußerst wertschätzend der einzustellenden Führungskraft gegenüber.

Einen rechtssicheren und vollständigen Vertrag aufzusetzen, der Wertschätzung anstatt Misstrauen entgegenbringt, ist also keine unlösbare Aufgabe, wenn darauf im Unternehmen Wert gelegt wird. Dafür muss von Arbeitgeberseite natürlich erst einmal geklärt werden, welche Flexibilität er beispielsweise gewähren will, welches Vertrauen er seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entgegenbringt und welche Risiken er fürchtet. Im Anschluss ist es mit gutem Willen möglich, rechtssicher zu formulieren und einen wohlwollenden Ton anzuschlagen.

Warum ein zukünftiges Asset durch unnötig gefühllose, erkennbar einseitige, gar aggressiv anmutende Formulierungen verschrecken, wenn man doch die wichtigsten Interessen des Unternehmens vertreten kann, obwohl sich der Vertrag fast wie eine Werbeschrift liest? Allerdings ist diese Möglichkeit noch nicht zu allen Unternehmen durchgedrungen. Führungskräfte und Arbeitnehmer sollten also bei einem lediglich in der Wortwahl missglückten Vertragsentwurf keine allzu harten Urteile fällen. Mit "Das ist unser Standardvertrag, reine Formsache" sollte man sich dagegen nicht einfach abspeisen lassen, wenn sich vorher abgesprochene Punkte nicht im Vertrag festgehalten sind.

Der Vertrag als Auftakt der Vertragsverhandlung

Der Einfluss darauf, ob der Vertrag, den man am Ende vorgelegt bekommt, einseitig restriktiv oder besonders ausgewogen formuliert ist, ist gering. Auch die Vertragshistorie lässt sich nicht abändern, aber die Zukunft gestalten. Sich über beides im Klaren zu sein, bietet bereits einen Vorteil für die Verhandlung einzelner Vertragsbestandteile, die die Spiel- und Rahmenbedingungen für die zukünftige Zusammenarbeit festlegen.

Für Führungskräfte, die - durch eine aktive Bearbeitung des Marktes - gleich mehrere Angebote vorliegen haben, kann die Art des Vertrages aber auch bereits das Zünglein an der Waage bei der Entscheidung für die eine oder die andere Position sein. Was immer abschrecken sollte, ist eine kurz bemessene Frist zur Vertragsunterzeichnung - am besten noch mit dem Hinweis, dass das Unternehmen sonst vom Vertragsangebot zurücktreten würde. In diesem Fall kann man eigentlich gar nicht von einer Unternehmenskultur sprechen. Auf jeden Fall deutet das auf einen äußerst autoritären Führungsstil hin und ist nur etwas für Führungskräfte, denen ein solcher Stil zusagt. Unser Erfahrung nach sind das allerdings die wenigsten.

Die Spielregeln in Bezug auf den Vertragsentwurf bestimmen meist auch die Unternehmen. Vertragsnehmer können nur entscheiden, mitzuspielen oder eben nicht und sich ein anderes suchen, das besser zu ihnen passt. Jede Menge Spielraum gibt es in den meisten Fällen jedoch bei den Vertragsverhandlungen.

Die wichtigsten Vertragsinhalte ganz klar regeln

Leider offenbaren sich manchmal erst auf den letzten Metern Missverständnisse bezüglich des Verantwortungsumfangs, der Kündigungsfristen oder selbst der Gehaltshöhe, nämlich dann, wenn der Vertrag zur Unterschrift vorliegt. Das Gehalt ist beispielsweise plötzlich niedriger als vereinbart - wir haben in zwei Fällen aber auch schon höhere Gehälter als besprochen im Vertrag vorgefunden. Aus Mangel an Alternativen akzeptieren manche Manager auch Vertragsangebote, die plötzlich die vereinbarte Hierarchieebene nur noch in Aussicht stellen mit Klauseln wie "so bald die Voraussetzungen geschaffen sind" oder "nach einer Einarbeitungszeit".

Vorsicht ist außerdem geboten bei Vertragsklauseln zum Wohnsitz. Sie können enormen Einfluss auf das gesamte Leben ausüben. Die wenigen Unternehmen, die arbeitsvertraglich Vereinbarungen treffen, dass der Wohnsitz an ihren Sitz verlegt werden muss, nehmen dies in aller Regel sehr ernst. Als Unterzeichner sollte man nie blind darauf vertrauen, dass darauf am Ende schon niemand bestehen wird.

Obwohl der Bedarf an geeigneten Führungskräften immer weiter steigt, sind die Machtverhältnisse während der Auswahlprozesse häufig noch immer klar zugunsten der Unternehmen verteilt. Die beste Verhandlungstaktik für eine souveräne Karrieregestaltung ist daher: selbst aktiv den Markt bearbeiten statt auf Vakanzen zu warten. So haben Sie verschiedene Optionen zur Auswahl und damit eine Verhandlungsposition zumindest auf Augenhöhe. (pg)