Die Beschleunigung im Bereich Digital Business setzt IT-Führungskräfte unter Druck. Sie müssen die Geschwindigkeit der Anwendungsbereitstellung drastisch erhöhen - und Low-Code-Tools tragen diesem Umstand Rechnung. Die steigende Nachfrage nach maßgeschneiderten Softwareprogrammen zur Unterstützung der digitalen Transformation hat zum Citizen-Developer-Trend geführt, der wiederum die Popularität der Low-Code-Tools getrieben hat.
Gartner hat prognostiziert, dass sich das weltweite Marktvolumen für Low-Code-Entwicklung im Jahr 2021 auf 13,8 Milliarden Dollar belaufen wird - gegenüber dem Vorjahr wäre das ein Anstieg von 23 Prozent. Der Pandemie-getriebene Remote-Work-Trend habe die Adoptionsrate von Low-Code weiter in die Höhe getrieben, so die Analysten. Die Entwicklung von Low-Code-Anwendungen sei zwar nicht neu, wie die Auguren schreiben, aber "digitale Umwälzungen, Hyperautomatisierung und der Aufstieg des Composable Business" hätten die Entwicklung neuer Tools und eine steigende Nachfrage befeuert. Gartner geht davon aus, dass Low-Code als soziale und technologische Bewegung weiterhin stark wachsen wird.
Der Markt umfasst Produkte wie:
Low-Code-Anwendungsplattformen,
intelligente Business-Process-Management-Suiten,
Citizen-Automation- und Entwicklungsplattformen.
Auch beim Einsatz von Low-Code-Produkten und -Prozessen gilt es jedoch einige Fallstricke zu beachten. Wir haben sieben Fehler im Bereich Low-Code zusammengetragen, die Sie tunlichst vermeiden sollten.
1. Grundlagenverzicht
"Die größten Probleme, die ich erlebt habe, beruhen auf einem Missverständnis darüber, was eine Low-Code-Strategie tatsächlich bietet", meint Mandy Andress, CISO bei Elastic. "Viele Unternehmen führen eine Low-Code-Strategie ein, um Geld zu sparen oder die Entwicklung zu beschleunigen. Das ist aber nur dann erfolgreich, wenn sie verstehen, welche Kosten eine Low-Code-Strategie optimieren kann."
Eine Low-Code-Strategie könne dazu beitragen, die Kosten für die Entwicklungsarbeit zu senken, indem weniger erfahrene Entwickler in die Lage versetzt werden, fortgeschrittene Funktionen zu erstellen, sagt Andress. Auch hinsichtlich der Entwicklungsgeschwindigkeit ließen sich Vorteile erschließen, insbesondere wenn Komponenten anwendungsübergreifend wiederverwendet würden, so die CISO. "Was vielen aber fehlt, sind umfassende Business- und Governance-Prozesse. Die sind notwendig, um sicherzustellen, dass eine Anwendung so entwickelt wird, dass sie den Geschäftsanforderungen entspricht", weiß die Managerin.
In einer früheren Funktion wurde Andress zur Unterstützung bei einem Low-Code-Projekt hinzugezogen, weil Bedenken bestanden, dass die Applikation wichtige Geschäftskontrollen vermissen lässt. Nach einer Überprüfung stellte sie fest, dass dem tatsächlich so war: "Weil das Team es nicht für nötig hielt, den definierten Software-Development-Lifecycle-Prozess für Low-Code-Entwicklungen zu befolgen. Außerdem wurden die Geschäftsanforderungen nicht vollständig dokumentiert und überprüft", erinnert sich Andress. "Durch die erneute Überarbeitung verdreifachte sich die für die Fertigstellung benötigte Zeit, wodurch alle Kosteneinsparungen, die das Team durch die Einführung eines Low-Code-Entwicklungsansatzes erzielte, zunichte gemacht wurden."
2. Fähigkeitenverfehlung
Einer der Vorteile von Low-Code-Tools besteht darin, dass sie den Bedarf an erfahrenen Entwicklern in Projekten verringern können. Das bedeutet jedoch nicht, dass man gar keine Experten mehr braucht.
"Teams, die mit Low-Code arbeiten, müssen die jeweiligen Plattformen sehr gut beherrschen, über entsprechende Produktzertifizierungen verfügen und wissen, was zu tun und was zu lassen ist", meint Vinay Mummigatti, Vice President und Chief Automation Officer bei LexisNexis Legal & Professional. "Meiner Erfahrung nach ist es ein Fehler, Softwareingenieure, die maßgeschneiderte, kodierungsintensive Softwareanwendungen schreiben können, für die Entwicklung von Low-Code-Lösungen einzusetzen. Meistens schreiben sie Tausende von Codezeilen und haben am Ende hochgradig angepasste Anwendungen, die schwer zu warten oder zu skalieren sind. Und das ist nicht das, was eine Low-Code-Plattform am besten kann."
Mummigatti spricht aus Erfahrung - bei LexisNexis wurde ein J2EE-Entwicklungsteam auf einer Low-Code-Automatisierungsplattform geschult, um eine Legal-Order-Processing-Applikation zu entwickeln, wie er erzählt: "Anstatt die Anwendung gemäß der Methodik und den Best Practices des Plattformanbieters zu entwickeln, um die Out-of-Box-Funktionen zu nutzen, nutzte das Team die Plattform nur zur Orchestrierung des Workflows als Back-End-Engine, schrieb aber einen komplexen Code für alle Funktionen."
Durch die benutzerdefinierte Programmierung hätten sich die ursprünglich veranschlagten Kosten und der anfängliche Zeitrahmen verdreifacht. Außerdem habe es zu schwerwiegenden Leistungs- und Wartungsproblemen geführt, so der Chief Automation Officer. "Letztlich musste die Applikation komplett neu geschrieben werden - mit Unterstützung des Anbieters."
3. Mangelnde Geschäftsorientierung
Low-Code-Plattformen ermöglichten in erster Linie Citizen Developern eine schnelle Anwendungsbereitstellung. Deswegen sei es keine gute Idee, Business-Anwender aus dem frühen Entscheidungsprozess auszuschließen, meint Mummigatti: "Bei einer Low-Code-Plattform mit modellbasierter Entwicklung ist die früher Einbindung der Geschäftsanwender der Schlüssel zum Erfolg. Geschieht das nicht, kann das zu größeren Umstrukturierungen sowie Budget- und Zeitplanabweichungen führen. Low-Code-Projekte sollten eine enge Abstimmung zwischen Unternehmen und IT beinhalten."
Als Beispiel nennt der Experte eine Onboarding-Plattform für Kunden, die mit minimaler Beteiligung des Unternehmens konzipiert und entwickelt wurde. Als die Plattform ausgeliefert wurde, hätten die Geschäftsanwender die Prozesslogik, die Entscheidungsregeln, die Berichterstellung und die Benutzeroberflächen abgelehnt und ein komplexes Change Management eingefordert.
"Wenn man es richtig anstellt, bezieht man die Business User vom ersten Sprint an mit ein", meint Mummigatti. "So können sie bei jedem Schritt sehen, wie die Prozessmodelle auf der Low-Code-Plattform entworfen, die Geschäftslogik definiert, die UI-Formulare/-Schnittstellen erstellt und die Datenelemente transformiert werden. Das Ergebnis ist eine Anwendung, die genau den Vorstellungen des Unternehmens entspricht."
4. Kultur-Update fehlgeschlagen
"Low- und No-Code-Technologien sind hervorragende Werkzeuge, um den Übergang zu business-managed Applications und Citizen Development zu gestalten - wenn sie richtig eingesetzt werden", sagt Andrew Kum-Seun, Senior Research Analyst bei der Info-Tech Research Group. "Viele Unternehmen vergessen, dass dafür auch erhebliche Veränderungen hinsichtlich Unternehmenskultur, Software, Risk-Ownership-Strukturen und IT-Betriebsmodellen erforderlich sind. Leider schränken traditionelle Softwarebereitstellungspraktiken, isolierte Geschäfts- und IT-Teams und eine schlechte Qualität der Unternehmenssysteme das wahre Potenzial von Low- und No-Code-Technologien ein und treiben die Kosten für Implementierung und langfristige Wartung in die Höhe."
Die IT müsse sich vom Betreiber und Lösungsimplementierer zu einem vertrauenswürdigen Partner, Coach und Plattformunterstützer entwickeln, so Kum-Suen. "Das jeweilige Unternehmen ist für seine Software-Implementierungs- und Entwicklungsentscheidungen verantwortlich und sollte transparent machen, welche Änderungen an der Umgebung es vornimmt. Schließlich zeigt sich der wahre Wert von Low- und No-Code-Technologien erst dann, wenn wir bereit sind, unsere Arbeitsweise zu optimieren, um die Vorteile ihrer Funktionen voll auszuschöpfen."
5. Zu ehrgeizig
Low-Code-Plattformen können wertvolle Werkzeuge zur Verbesserung der Entwicklung sein. Aber sie sind nicht perfekt. "Ein weiterer wesentlicher Fehler beim Einsatz von Low-Code-Plattformen besteht darin, technische Einschränkungen nicht zu berücksichtigen", weiß Mummigatti.
"Wir haben festgestellt, dass Low-Code-Plattformen in Situationen, in denen es um die Integration von Daten oder die Orchestrierung von Diensten über mehrere Systeme oder komplexe Datenstrukturen hinweg geht, nicht gut skalieren und funktionieren", konstatiert Mummigatti. Sein Unternehmen setzte Low-Code-Plattformen für Applikationen in den Bereichen Hypothekenmanagement und Geldwäschebekämpfung ein, die die Stapelverarbeitung von Dokumenten und Daten aus Transaktionsverarbeitungsanwendungen in großen Mengen umfassten.
In beiden Anwendungsfällen habe das Unternehmen festgestellt, dass die Low-Code-Plattformen nicht die erforderliche Geschwindigkeit und Qualität liefern konnten: "Die Anwendungen fielen mitten im Prozess aus. Wir waren nicht in der Lage, mit Low-Code-Plattformen eine einhundertprozentige Verarbeitung großer Datenmengen im Batch-Modus zu gewährleisten. Das war eine enorme betriebliche und regulatorische Herausforderung, die sich außerdem stark auf die Customer Experience auswirkte", erzählt Mummigatti.
6. Zu viele Tools
Zu viel des Guten ist auch im Fall von Low-Code- und No-Code-Tools keine gute Idee, insbesondere dann, wenn die nicht gut zusammenarbeiten. Das Softwareunternehmen Nutanix hatte mit einem solchen Problem zu kämpfen, das CIO Wendy Pfeiffer als "Turm von Babel" bezeichnet: "Durch die Implementierung zahlreicher Tools, die nicht dieselbe Sprache sprechen, wird ein hoher Automatisierungsgrad verhindert", so die Managerin.
"In meinem Team haben wir erst echte Fortschritte in Sachen Autonomous Operations gemacht, nachdem wir alle Teammitglieder auf ein einzelnes Tool geschult hatten. Vor drei Jahren wurden nur etwa 15 Prozent unserer Services autonom erbracht. Heute liegt dieser Anteil bei 85 Prozent - wobei die ersten Schritte auf diesem Weg von Teammitgliedern unternommen wurden, die zuvor noch keine Erfahrungen mit Automatisierungscode hatten, aber Experten in puncto IT-Betrieb waren."
Darüber hinaus sei die Low-Code-Technologie möglicherweise nicht so einfach zu implementieren, wie von etlichen Anbietern angepriesen, gibt Info-Tech-Analyst Kum-Seun zu bedenken: "Der wahre Vorteil liegt in der Fähigkeit, die verschiedenen Dienste und Daten in Ihren Unternehmensanwendungen, Data Warehouses und Systemen zu nutzen und zu integrieren. Viele Unternehmen sind aber an ihre Legacy-Architektur gebunden - ihnen fehlen einheitliche Datendefinitionen und ihre Applikationen sind durch technische Schulden belastet."
API-Gateways, Data Lakes, Cloud-Plattformen und andere Integrations- und Aggregations-Tools könnten die Systemkompatibilität mit Low-Code-Technologien verbessern, so der Analyst: "Sie gehen jedoch nicht auf die grundlegenden Herausforderungen in Sachen Architektur und Datenmanagement ein."
7. Schlechte Prozesskultur
"Das Potenzial von Low-Code-Tools ist enorm", resümiert CIO Pfeiffer. "Mit ein wenig Training kann jedes Mitglied des IT-Teams Schlüsselelemente seiner spezialisierten Arbeitsabläufe automatisieren und so die Genauigkeit und Effizienz verbessern. Alles zu automatisieren ist allerdings kein Allheilmittel. Ein schlechter Prozess bleibt ein schlechter Prozess, auch wenn er maschinell, schnell und genau abläuft."
Dagegen gebe es auch keine Wundermittel, so Pfeiffer: "Mein Team muss im ersten Schritt die Kandidaten-Prozesse in einfacher Sprache darlegen. Es trägt zu besseren Workflows bei, schwarz auf weiß zu sehen, wie die zu erledigenden Aufgaben aussehen und wo die Probleme liegen. Sobald das Dokument einen Sinn ergibt, ist der Prozess bereit für die Übersetzung in Programmcode durch das Low-Code-Tool."
Automatisierung lasse sich am besten schrittweise einführen, empfiehlt die Managerin: "IT-Teams glauben oft, dass sie einen problematischen, komplexen Prozess durchgängig automatisieren müssen, um Wirkung zu erzielen. Mein Team und ich haben gelernt, dass wir uns auf die Automatisierung der fehleranfälligsten Schritte unserer Prozesse konzentrieren müssen, um die Vorteile dieser Tools wirklich zu nutzen." (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.