Ignorante Arbeitgeber

Warum Lohntransparenz so wichtig ist

07.12.2023
Von 
Federica Boarini ist Leiterin von Reverse Deutschland und Head of International Development.
Unternehmen meiden nach wie vor Gehaltsangaben in Stellenanzeigen. Dabei könnten beide Seiten – Arbeitgeber und Mitarbeiter – von einer transparenten Lohnpolitik profitieren.
Die EU will endlich Nägel mit Köpfen machen, wenn es um die ungleiche Bezahlung von männlichen und weiblichen Mitarbeitern geht und hat im Juni ein Gesetz zu mehr Gehaltstransparenz verabschiedet.
Die EU will endlich Nägel mit Köpfen machen, wenn es um die ungleiche Bezahlung von männlichen und weiblichen Mitarbeitern geht und hat im Juni ein Gesetz zu mehr Gehaltstransparenz verabschiedet.
Foto: Andrey_Popov - shutterstock.com

In den letzten Jahren hat die Entwicklung der europäischen Arbeitswelt die Frage der Lohngleichheit in den Mittelpunkt gerückt. Die im Juni eingeführte europäische Richtlinie zur Lohntransparenz hat bedeutende Änderungen in den Kriterien für die Veröffentlichung von Stellenanzeigen zur Folge - mit Schwerpunkt auf der Angabe des Bruttojahresgehalts. Besondere Beachtung bei der Ausarbeitung der Richtlinie galt dabei der geschlechtsspezifischen Lohnungleichheit: Frauen verdienen trotz dem Ausüben ähnlicher Positionen im Durchschnitt noch immer 13 Prozent weniger, was sich erheblich auf die Rentenzahlen auswirkt.

Zu viele Bedenken

Die neue Richtlinie zielt darauf ab, dieser Ungleichheit entgegenzutreten, indem sie Transparenz fördert und Unternehmen untersagt, während des Auswahlprozesses nach dem vorherigen Gehalt zu fragen. Die praktische Umsetzung der Unternehmen ist jedoch von Widerstand geprägt, was Raum für Überlegungen für die Faktoren schafft, die zu dieser Zurückhaltung beitragen.

Bereits einige Monate nach dem Inkrafttreten der Richtlinie zur Lohntransparenz zeigten sich jedoch bereits erste bemerkenswerte Resultate in den wichtigsten europäischen Ländern. Reverse hat 200 Stellenanzeigen aus den Ländern Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland auf der Plattform LinkedIn analysiert und miteinander verglichen, mit folgender Erkenntnis:

Gehaltsangaben in Stellenanzeigen: Fehlanzeige

In Italien und Spanien wird bei nur vier Prozent der Anzeigen das Bruttojahresgehalt angegeben, was auf eine erhebliche Ablehnung der Richtlinie hinweist. Auch in Frankreich, mit sechs Prozent minimal besser positioniert, ist die Lohntransparenz noch lange nicht die Norm. Deutschland hingegen stellt das Schlusslicht dar, da keine der analysierten Anzeigen Informationen zum Gehalt liefern.

Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass der Personalbereich in Deutschland in einigen Aspekten besonders konservativ ist und eine Zurückhaltung vorherrscht, bestimmte Daten wie Gehälter öffentlich zu machen. Dies steht auch im Zusammenhang mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt und der erheblichen Schwere, geeignete Mitarbeitende zu finden.

Kein Interesse an Transparenz

Die Gründe für den Vorbehalt bei der Gehaltsangabe in Deutschland sind vielfältig. Einerseits fürchten Unternehmen, von passenden Kandidaten mit höherem Startgehalt abgelehnt zu werden, obwohl sie in der Lage sind, eine attraktives Aufgabenfeld und Umfeld zur Verfügung zu stellen. Denn: In Zeiten von Fachkräftemangel, verringert die Veröffentlichung einer Stellenanzeige mit einem nicht am Markt orientierten Gehalt, die Chancen Personal zu finden.

Andererseits birgt die Angabe des Gehalts in einer Stellenanzeige das Risiko interner Konflikte mit Mitarbeitenden, die eine Diskrepanz in den Gehaltsstrukturen des Unternehmens erfahren könnten. So zeigt sich, dass die Lohntransparenz private Unternehmen vor Herausforderungen stellt, denn im Gegensatz zum öffentlichen Sektor legen sie Gehälter nicht nur auf Grundlage von Kompetenzen fest, sondern auch abhängig vom Marktgeschehen. Dennoch besteht die Notwendigkeit, sich entschlossen mit dem Phänomen der Lohnungleichheit auseinanderzusetzen, auch wenn dies bedeutet, ersten Hürden begegnen zu müssen.

Kann die Offenlegung des Gehalts zum Vorteil werden?

Anders ist die Situation in größeren Unternehmen. Das Gehalt nicht offenzulegen, um Geld zu sparen, wenn der Bewerbende eine niedrigere Benchmark hat, könnte sich als kontraproduktive Strategie erweisen.

Eine hohe Vergütung kann eine größere Anzahl von Interessenten anziehen, wodurch Positionen zügiger besetzt und auf diese Weise wiederrum Ausgaben an anderen Stellen vermieden werden. Wenn man zwei Stellenanzeigen veröffentlicht, eine mit und eine ohne Bruttojahresgehaltsangabe, kann das jeder empirisch nachprüfen. Bei erster erfolgen in kürzester Zeit deutlich mehr Bewerbungen und unnötiger Stress lässt sich im Voraus vermeiden.

Lohntransparenz wird ein Muss

Die neue europäische Richtlinie ist ein wichtiger Schritt zur Sicherung der Gleichheit bei der Bezahlung. Die Resultate der Untersuchung zeigen jedoch, dass Europa noch weit von einer vollständigen Lohntransparenz entfernt ist. Unternehmen haben allerdings noch zweieinhalb Jahre Zeit, die Richtlinie zu übernehmen, daher ist es ratsam, sich so früh wie möglich auf den Weg hin zu mehr Fairness zu begeben.

Länder wie Schweden und Norwegen, in denen die Lohntransparenz bereits etabliert ist, können bereits jetzt von konkreten Vorteilen in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit und Mitarbeiterzufriedenheit profitieren. Um die allgemeine Zurückhaltung in Europa anzugehen, bedarf es daher gemeinsamer Anstrengungen von den Gesetzgebern, Unternehmen und Mitarbeitenden, die wichtig sind, um die Zukunft der Arbeitswelt neu zu gestalten.

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