Zukunft der Arbeit ist hybrid

Warum Home-Office nicht zum Karriereknick führen darf

Kommentar  31.05.2023
Von 
Uwe Peter ist General Manager Cisco Germany.
Viele Unternehmen setzen alles daran, ihre Beschäftigten nach der langen Corona-Pause zurück in die Büros zu beordern. Unser Kommentar zeigt, warum sich Unternehmen damit keinen Gefallen tun.
Uwe Peter, Geschäftsführer von Cisco in Deutschland, warnt: Wer Büropräsenz verordnet, sorgt für schlechte Stimmung und bringt sich um Chancen am Arbeitsmarkt.
Uwe Peter, Geschäftsführer von Cisco in Deutschland, warnt: Wer Büropräsenz verordnet, sorgt für schlechte Stimmung und bringt sich um Chancen am Arbeitsmarkt.
Foto: Cisco

Vor kurzem sagte IBM-Chef Arvind Krishna, dass seine Beschäftigten mit Nachteilen für ihre Karriere rechnen müssten, wenn sie zu häufig von zu Hause aus arbeiteten. Mindestens drei Mal pro Woche sollten sie sich in den Firmenbüros einfinden. Auch bei Amazon sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichtet, die "meiste Zeit" im Büro zu verbringen - also mindestens drei Tage pro Woche, gerne mehr.

Ich verstehe die Motivation hinter diesen Ansätzen: Um ein persönliches Netzwerk zu pflegen, kann Präsenz im Büro grundsätzlich hilfreich sein. Andererseits ist es aber eben auch eine Realität, dass viele Beschäftigte schlichtweg größtmögliche Flexibilität von ihrem Arbeitgeber erwarten - auch weil sie lange Arbeitswege als Zeitverschwendung empfinden.

Fachkräfte sind nun Mal rar, wir brauchen also Lösungen, um den Menschen entgegenzukommen, ihnen Karrierechancen einzuräumen und gleichzeitig die Produktivität zu erhöhen. Home-Office darf kein Karrierekiller sein! Vielmehr sollten Unternehmen durch eine Vertrauenskultur und den Einsatz moderner Arbeitsplatztechniken Karrieren unabhängig vom Arbeitsort ermöglichen.

Hybrid Work funktioniert, wenn man es denn will

Warum denke ich das? Weil wir bei Cisco schon seit mehr als zehn Jahren - also schon weit vor der Corona-Krise - auf Hybrid Work setzen. Fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten schon lange auch im Home-Office, mal mehr, mal weniger häufig. Wir haben in dieser Zeit Hunderte von Beförderungen gefeiert.

Theoretisch ist das in jedem Unternehmen möglich, was aber oft fehlt, ist das Vertrauen in die Menschen, manchmal aber auch die kompromisslose Implementierung der dafür notwendigen Technik inklusive geeigneter Cybersecurity-Maßnahmen.

Eine von Cisco beauftragte Studie aus Deutschland zeigt, dass hierzulande Entscheider und Personalchefs dem Personal Pflichttage im Büro vorschreiben möchten. Andere locken mit Serviceangeboten wie Kinderbetreuung und Fitnessräumen, damit die Büros sich wieder füllen. Einigkeit herrscht jedenfalls darin, dass die Büros nicht leer stehen dürfen. Kein Konsens gibt es in den deutschen Chefetagen, welcher weg ans Ziel führen soll.

Im internationalen Vergleich sind deutsche Führungskräfte besonders misstrauisch. So zeigt eine weltweite Umfrage von MIT Sloan Management Review (SMR) aus dem letzten Jahr: Mehr als 70 Prozent der Führungskräfte auf dem C-Level und einer Ebene darunter glauben, dass ihre Angestellten im Home-Office gute Arbeit leisten. Insgesamt sagen sogar mehr als 90 Prozent, dass sich Remote Work positiv auf ihre Unternehmenskultur auswirke. Die Zusammenarbeit gelingt dort übrigens nicht schlechter als in Deutschland.

3 Mythen der Büro-Präsenz

Die Frage lautet also: Warum sind deutsche Manager so von der Büropräsent ihres Personals überzeugt? Meiner Ansicht liegt das an drei grundlegenden Fehleinschätzungen hierzuland:

  1. Manche Aufgaben können nur im Firmenbüro wirklich gut erledigt werden. Die Annahme, dass Brainstormings, Kreativarbeit und Personalgespräche ausschließlich in physischer Präsenz funktionieren, hält sich hartnäckig. Dabei gibt es Hunderte von digitalen Tools, darunter Mindmapping, Scrum Boards oder Videokonferenzsysteme, die genauso gut oder besser funktionieren. Sie zwingen zu Disziplin in den Meetings, außerdem schaffen neue Tools wie Deep Democracy ungeahnte Spielräume. In dieser Methode geht es darum, jede Person mit ihren Werten, Überzeugungen und auch Emotionen in den Gruppenprozess einzubringen. Kreativität setzt also keineswegs das Zusammensitzen in einem Raum voraus.

  2. Führungskräfte sind im Firmenbüro für ihr Team besser ansprechbar. Jede gute Führungskraft wird bestätigen, dass eine "offene Tür und schnelle Antworten" wichtig sind. Für beides ist aber der digitale Raum oft praktischer als ein Büro am Ende des Ganges, wo jeder sieht, wer sich gerade beim Chef aufhält. Gerade die Möglichkeit ein Gespräch mit der Führungskraft über einen Chat zu beginnen und dann situationsbedingt ad hoc in eine Videokonferenz zu wechseln, bietet eine hervorragende Möglichkeit für Personalgespräche mit geringer Eintrittsschwelle. Präsenz schafft man nicht durch Anwesenheit im Büro, sondern durch die Priorisierung von Zeiten für das Team - egal ob physisch oder digital.

  3. Netzwerke entstehen in der Kaffeküche, nicht im Chatroom. Auf diese These können sich viele Beschäftigten und Führungskräfte einigen, sie erscheint erst einmal einleuchtend. Im informellen Gespräch unter vier Augen wird der Kontext geschaffen, der zu Vertrauen und im Geschäftsleben zu besseren Entscheidungen führt. Fakt ist aber, dass auch im digitalen Leben sehr wohl ein informeller Austausch stattfinden kann. Das weißt jeder, der ein gutes Verhältnis zu Kollegen hat, die aus vielfältigen Gründen nicht so häufig im Büro sein können oder wollen.

    Voraussetzung ist allerdings, dass Routinen im Team ermöglicht werden, die den sozialen Austausch fördern und für eine Art 'Gleichbehandlung' sorgen. Wir nutzen dazu ein Tool (nicht von Cisco), über das sich Mitarbeiter und Chef einmal in der Woche zwanglos darüber austauschen, was ihnen in der letzten Woche Spaß gemacht hat und was sie in der kommenden Woche vorhaben. Wir nennen das den 'Wochen-Check-In'. Digital ist das eine Sache von 15 Minuten pro MitarbeiterIn. Mal ehrlich: Wer kann sich erinnern, ein solches Gespräch einmal in der Woche mit dem eigenen Chef im Firmenbüro gehabt zu haben?

Meiner Meinung nach beeinträchtigt Home-Office die Arbeit einer Führungskraft nicht. Aber es schafft Flexibilität und Vertrauen, was die Bindung der Beschäftigten und Führungskräfte ans Unternehmen stärkt und die Attraktivität als Arbeitgeber stark erhöht.

Home-Office nicht zu fördern, ist eine Fehlentscheidung

Hybrid Work ist heute ein zentraler Wettbewerbsvorteil im Kampf um die besten Talente - schon deswegen sollte kein Unternehmen darauf verzichten. Hybrid Work erweitert den geografischen Radius, in dem Personal eingestellt werden kann. Dem Unternehmen steht ein viel größerer und vielfältigerer Pool an Talenten zur Verfügung. Das Plus an Diversität in der Belegschaft allein erhöht schon die Innovationsfähigkeit.

Unternehmen sollten einfach akzeptieren, dass großzügig ausgelegte Hybrid Work heute erwartet wird. Sie bietet zudem einen klaren Wettbewerbsvorteil im Kampf um die besten Talente. Wenn Firmen allerdings Menschen, die das Home-Office bevorzugen, mit einem Karriereknick bestrafen, erweisen sie auch sich selbst einen Bärendienst. Dann werden ihre Top-Talente abwandern, anstatt die nächste Generation der eigenen Führungskräfte zu bilden. (hv)