Agiles Arbeiten

Warum Dilettanten so gefährlich sind

06.03.2019
Von   
Oliver Laitenberger leitet bei der Managementberatung Horn & Company das Kompetenzzentrum Digitalisierung und Technologie.
Agile Methoden und Werkzeuge sind nur der Anfang einer großen Veränderung. Selbst große Unternehmen leben vor, dass eine solche Veränderung möglich und machbar ist - wenn diese handwerklich richtig gemacht wird, um den "bad"- und "ugly"-Part zu vermeiden.

Nach mehreren Jahren des digitalen Experimentierens wird es den meisten Verantwortlichen in Unter­nehmen zunehmend klar: Ein Wandel zum digitalen Business ist immer mit einer ganzheitlichen agilen Transformation verbunden. Dies betrifft nicht nur die Art und Weise, wie Projekte agil geplant und gesteuert werden. Es beginnt beim agilen Führen des Managements und setzt sich über liquide Netzwerkstrukturen, über agile Prozesse bis zu Geschäftsarchitekturen fort.

Hand aufs Herz: Alle wollen ein wenig "Agile" sein. Dies führt natürlich zu "Verwerfungen", die mit dem Ursprung nichts mehr zu tun haben. Wo Licht ist, ist deshalb auch Schatten. Deshalb gilt es zwischen zwischen the Good, the Bad und the Ugly Agile zu unterscheiden.

Unternehmen setzen verstärkt auf agiles Arbeiten, weil sie sich davon mehr Transparenz und eine schnellere Umsetzung von Projekten versprechen.
Unternehmen setzen verstärkt auf agiles Arbeiten, weil sie sich davon mehr Transparenz und eine schnellere Umsetzung von Projekten versprechen.
Foto: Elnur - shutterstock.com

Der Ursprung der agilen Bewegung ist das agile Manifest aus dem Jahre 2001 (http://agilemanifesto.org/). Dieses entspringt einer Zeit, in der große "Gläubigkeit" an den Erfolg von standardisierten Abläufen und Prozessen in der Software-Entwicklung herrschte. Interessanterweise war zum damaligen Zeitpunkt wirklich noch keinem klar, welche wirtschaftliche Bedeutung dem Thema einmal zukommen würde.

Aus dieser Zeit stammen vier Formulierungen im agilen Manifest in einer Form "A over B". Es ist wichtig zu beachten, dass hier nicht steht "A instead of B". Trotzdem werden zwei Seiten einander gegenübergestellt. Dies bietet in der Praxis viel Spielraum für Interpretation, um eher zur einen oder eher zur anderen Seite zu tendieren. Insofern ist es wichtig, die vier Statements genauer unter die Lupe zu nehmen.

Die erste Aussage reflektiert, den Wert von Menschen/Kommunikation über Prozesse/Werkzeuge. Wenn man die Optimierungsprogramme aller Unternehmen in den letzten Jahren analysieren könnte, würde sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zeigen, dass sich viele mit "Prozessoptimierung" befasst haben. Die Wichtigkeit von qualifiziertem Personal hat erst in den letzten beiden Jahre an Interesse gewonnen. Dennoch: Unternehmen tun sich schwer damit ihre festgemauerten und zementierten Silostrukturen aufzubrechen und diese durch autonome, interdisziplinäre Teams zu ersetzen. Genau das ist allerdings ebenfalls in dieser Aussage reflektiert.

Die zweite Aussage beschäftigt sich mit funktionierenden Lösungen und deren Dokumentation. Anders ausgedrückt: "Die Landkarte ist nicht das Gebiet". Viele Unternehmen investieren viel Zeit und Geld in die Erstellung immer neuer Landkarten. Der "Klassiker" der digitalen Transformation besteht darin, mit bester Absicht an einer Digitalisierungsstrategie (=Dokumentation) zu arbeiten und dafür Millionenbudgets einzusetzen.

Genauso gut könnten diese Unternehmen ihr Geld einem sinnvollen Zweck spenden. Am Ende ist das Veränderungsportfolio so voll, dass viele Dinge angefangen werden und wenig fertiggebracht wird. Stattdessen wäre es hilfreicher, ein Stück einer funktionierenden Lösung umzusetzen, diese zu verproben und damit auf die Kunden zuzugehen.

Wenn die digitale Transformation eines gelehrt hat, dann ist es die Gnadenlosigkeit der Kundenorientierung. Die Ausrichtung am Kunden - obwohl auch in der Vergangenheit viel gepriesen - ist heute mehr denn je Realität. Wer dies aus den Augen verliert, wird im Markt oft gnadenlos disrupiert. Die Beispiele von Kodak oder Nokia sind bestens bekannt. Am Ende kommt es doch immer anders als geplant. Der sicher gemeinte Auftrag wird nicht erteilt. Dafür ergeben sich dann andere Chancen, die aber deshalb nicht genutzt werden, weil der Plan es nicht vorsieht. Willkommen im Zeitalter der Planwirtschaft!

Wenn es darum geht, dass Veränderung wichtiger ist, als einen Plan zu haben, wird dies oft so interpretiert, dass man keinen Plan benötigt. Dies führt dazu, dass Teams nicht einmal versuchen, eine Vision zu entwickeln. Ohne eine solche, wissen sie nicht, in welche Richtung sie gehen und wie sie priorisieren sollen.

Agilität = Chaos? Mitnichten. Agiles Vorgehen ist von solcher Transparenz bezüglich Einzelleistung geprägt, dass den Mitarbeitern oft schwindelig wird. Alle zwei bis drei Wochen ist ein Ergebnis abzuliefern. Das Verfehlen dieses Zieles ist unmittelbar transparent und nicht, wie früher, am Ende mehrerer Jahre. Wegducken geht nicht. Basierend auf diesen Betrachtungen kann man die linke Seite des agilen Manifests als "Good Agile" titulieren - wohingegen die Rechte Seite für "Bad" Agile - oder besser gesagt "Bad Everything" steht.

Die Steigerung von "Bad" Agile ist "Ugly" Agile

Dem nicht genug - es geht auch noch schlimmer. Denn die Steigerung von "Bad" Agile ist nicht "Wasserfall", wie man glauben können mag. Vieles kommt heute im Deckmantel von "Agilität" daher. Eine Anekdote macht den Unterschied zwischen "Bad" und "Ugly" deutlich. Vor einigen Jahren saß in einem Kick-off eines IT-Umsetzungsprojekts ein externer Projektleiter.

Auf die Frage nach einem Zeitplan, hat er auf das agile Manifest gezeigt, welches er auf die erste Seite seines Notizbuchs geklebt hatte. Seine profane Antwort: "Warum Zeitplan? Wir führen das Projekt "agile" durch. Herzlichen Glückwunsch - alles falsch verstanden. Glücklicherweise wurde dieser Projektleiter bald ausgetauscht.

Dies reflektiert nur die Spitze eines Eisbergs, in dem "agil" als Generalabsolution für unstrukturiertes und undiszipliniertes Vorgehen herangezogen wird. Da der Hype um die die digitale Transformation ihren Höhepunkt überschritten hat, werden wir wohl in naher Zukunft weitere Beispiele von gescheiterten, agilen Großprojekten hören. Lidl reiht sich hier nur in eine Reihe von vielen ein.

Agile Transformation jenseits aller Mythen

Agile Transformation bedeutet am Ende mehr als ein Projekt mit Hilfe von "SCRUM" oder einer sonstigen agilen Methodik durchzuführen. Immer stärker am Endkunden ausgerichtete Geschäftsmodelle benötigen mehr als nur schicke Frontends auf mobilen Endgeräten. Sowohl Skalierbarkeit von Lösungen als auch nachhaltige Betreuung von Kundenlösungen führen dazu, dass die heutigen Silos und die strukturelle Trennungen etwa in Geschäft und IT ihre Gültigkeit verlieren. Unternehmen mit hybriden Netzwerkstrukturen dominieren monolithische und traditionelle Organisationsformen. All das sind Bausteine, die am Ende den agilen Transformationserfolg ausmachen.

Wie so oft müssen Führungskräfte im Unternehmen den Anfang machen. In einem Unternehmen, das nach wahrer Agilität strebt, erklären Führungskräfte, wohin die Reise geht und was zu tun ist. Sie verlassen sich dann auf ihr Team, das sich im Kern selbst organisiert. Das Team gestaltet nicht nur den Prozess, sondern wird aktiv ermutigt, diesen weiterzuentwickeln und zu verändern.

Ron Jeffries sagt: "Im Gegensatz zu dem, was wir oft denken, ist das Management nicht dumm. Sie tun das Beste, was sie können, mit den Informationen, die sie haben. Wenn wir ihnen bessere Informationen in Form von funktionsfähigen Lösungen geben, können sie anfangen, diese Informationen zu nutzen". Leider bekommt das Management in vielen Unternehmen nur Powerpoints oder handgestrickte Excel-Berichte zu sehen - es erfordert einen kulturellen Wandel, dass sich die Führungskräfte Prototypen, MVPs oder Lösungen bei den Teams ansehen und gemeinsam mit dem Team in eine Diskussion einsteigen.

Dies setzt auch voraus, dass eine andere Art der Kollaboration mit Kunden erfolgt. Es gibt nur eine Art von Kunden, die Produkte/Dienstleistungen kauft und somit zum Wachstum und Erfolg des Unternehmens beiträgt. In vielen Unternehmen ist es so, dass der einzige Kontaktpunkt zum Kunden der Vertrieb ist. Wie soll eine Marketing- oder eine IT-Einheit einen guten Job machen, die nie den wirklichen Kunden sieht, geschweige denn mit diesem spricht. Insofern sind hier im "Kleinen" entsprechende Möglichkeiten zu schaffen.

Die Interaktion mit Kunden wird dann wieder vereinfacht, wenn es ein kleines Team gibt, das sich um die Kundenerfahrung kümmert. Jedes dieser Teams muss sich mit dem Kunden verbinden und verstehen, was passiert. Es muss ein ständiges, interdisziplinäres Gespräch stattfinden, um das Kundenerlebnis permanent zu verbessern und zu optimieren.