Es geht um nichts weniger als einen neuen Standard. Den Standard für autonomes Fahren. Die Google-Tochter Waymo, Apple oder Uber arbeiten auch daran - also Unternehmen mit deutlich mehr Finanzkraft als BMW. Damit die Bayerischen Motoren Werke diesen Wettbewerber überhaupt etwas entgegensetzen können, haben sich die BMW-Strategen Partner ins Haus geholt. Neben dem Kameraspezialisten Mobileye gehören die Zulieferer Continental und Delphi, der Autobauer Fiat Chrysler sowie auch der Chipkonzern Intel dazu.
Und seit Ende Februar ist klar: Auch Daimler - einer der ärgsten Wettbewerber aus Stuttgart - macht mit. Zunächst soll die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen, das automatisierten Fahren auf Autobahnen sowie automatisierte Parkfunktionen vorangetrieben werden. Mit einer strategisch langfristigen Kooperation wollen BMW und Daimler die nächste Technologiestufe vor 2025 verfügbar machen.
Bei BMW wettet man, dass das autonome Fahren zukünftig die individuelle Mobilität entscheidend prägen wird. Dass die Zukunft gar nicht mehr so fern ist, sieht man bereits an den aktuell erhältlichen BMWs. Die optionalen Fahrerassistenzsysteme sind längst da und Schritte auf dem Weg zum hochautomatisierten Fahren.
Keinen Schritt, sondern einen Sprung will BMW schon 2021 machen. Dann soll der neue BMW i5 - bislang unter dem Namen BMW Vision iNEXT bekannt - als erster BMW über ein Level-3-System verfügen. "Die Vision ist es, ohne Intervention von hier nach Hamburg zu fahren", sagt Richard Rau, Abteilungsleiter im BMW Group Autonomous Driving Campus in Unterschleißheim.
BMW wird den "Autobahnpiloten" ab 2021 als kostenpflichtige Sonderausstattung anbieten. "Der Kunde soll eine Funktion haben, die er nicht nur bei schönem Wetter einsetzen kann. Fast alle Sensoren werden eine aktive Reinigung haben", ergänzt Rau. Dieses System soll dem Fahrer auf der Autobahn erlauben, bis maximal 130 km/h das Fahren über einen längeren Zeitraum an den BMW zu übergeben.
Doch damit nicht genug: Zeitgleich wird eine Flotte von Testfahrzeugen Ende 2021 den Betrieb aufnehmen, die in definierten urbanen Umfeldern die Level-4-Funktion erproben wird.
Aktuell sind rund 80 Fahrzeuge der BMW-7er-Baureihe an der Westküste der USA, in Deutschland, Israel und China unterwegs. Die Fahrzeuge sammeln reale Fahrdaten, um die Technologie durch maschinelles Lernen und mit künstlicher Intelligenz in der virtuellen Simulation weiter zu verbessern. Dabei testen die BMW-Entwickler neue Funktionen von Level 2 bis Level 5 auf der Straße. Bis Ende 2019 soll die Flotte auf etwa 140 Fahrzeuge anwachsen.
Das Data Driven Development stellt nach Ansicht von BMW die Grundlage für die Entwicklung und Absicherung von hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktionen dar. Das Grundprinzip folgt der Annahme, dass die Komplexität und Vielzahl von Verkehrssituationen auf allen Kontinenten insbesondere über enorme Datenmengen abbildbar und damit letztlich beherrschbar sein wird. Dafür ist es erforderlich, dass die Algorithmen und die Gesamtfunktion des autonomen Fahrens auf einer breiten Datenbasis abgesichert werden.
Die Basis für den Prozess bildet das Sammeln von realen Fahrdaten auf einer Strecke von etwa fünf Millionen Kilometern mit Versuchsfahrzeugen der BMW-Testflotte. Davon erfolgt die Auswahl von zwei Millionen Kilometern mit besonders relevanten Fahrszenarien und Umfeld-Faktoren. "Videodaten sind 80 Prozent des Datenaufkommens", sagt BMW CIO Klaus Straub.
Re-Processing
Die Relevanz der gesammelten Informationen erhöht BMW kontinuierlich durch die Selektion qualitativer Daten. Daraufhin erfolgt ein Re-Processing dieser zwei Millionen Kilometer, insbesondere wenn eine neue Integrationsstufe (I-Stufe) der Steuergeräte verfügbar ist, um die Leistungssteigerung der I-Stufe bewerten zu können.
Fortlaufend erfolgt eine Ergänzung dieser qualifizierten zwei Millionen Kilometer durch per Simulation generierte 240 Millionen Kilometer, welche insbesondere auf relevanten Fahrszenarien basieren und sicherstellen, dass die Verschiedenartigkeit der Realität bei der Entwicklung vollumfänglich berücksichtigt wird.
Für das Re-Processing der zwei Millionen realen Kilometer und die Simulation der 240 Millionen virtuellen Kilometer setzt BMW auf eine hoch performante Daten-Plattform mit über 230 Petabyte Speicherkapazität sowie eine äußerst leistungsfähige Compute Plattform mit mehr als 100.000 Prozessorkernen und über 200 GPUs (Graphics Processing Units).
BMW muss riesige Datenmengen sammeln und auswerten
Für die Verbindung zwischen der BMW-High-Performance-D3-Plattform und den "Hardware in the Loop (HiL)" Stationen am BMW Autonomous Driving Campus stehen 96 x 100 Gbps Glasfaserleitungen zur Verfügung. Die resultierende nutzbare Datenrate liegt damit bei rund 3,75 Terabit/s.
Einige Daten zur Veranschaulichung der Leistungsfähigkeit der BMW High Performance D3 Plattform:
- Täglich werden über 1.500 TB neue Rohdaten gesammelt
- D3 Platform Kapazität > 230 Petabyte
- Compute: > 100.000 Cores und >200 GPUs
- HiL Stationen reprozessieren bis zu 50 Petabyte in 14 Tagen
Um einen Eindruck zu bekommen, welche Datenmengen in dem Zusammenhang bewegt werden: 1.500 TB neue Daten entsprechen etwa 23.000 iPhone X, 230 Petabyte entsprechen einem Volumen von 45 Wohnungen (rund 80 m², Raumhöhe 3 m) gefüllt mit CDs.
Die Bandbreite von 3,75 Terabit/s entspricht rund einer Million HDTV Programmen, die gleichzeitig übertragen werden können - oder rund eine Million Haushalte die parallel ein HD-Fernsehprogramm sehen.
Daten in Sekundenschnelle selektieren
Die BMW High Performance D3 Plattform wurde BMW zufolge innerhalb weniger Monate von DXC "in function, on time und in budget" realisiert. Sie befindet sich wenige Kilometer entfernt vom BMW Autonomous Driving Campus in Unterschleißheim. Die räumliche Nähe war eine Anforderung, um u.a. die enormen Datenmengen vom Campus zur Plattform latenzfrei transportieren zu können.
So sind die BMW-Entwickler in der Lage, Daten von Fahrzeugsensoren nicht in Tagen oder Wochen, sondern in Sekundenschnelle zu selektieren, zu speichern, zu verwalten und für die notwendigen Datenaufbereitungs- und Verarbeitungsschritte sowie Simulationen und KI-Trainings bereitzustellen.
Das System ist vor Ort, in einer On-Premises-Cloud-Umgebung verfügbar, so dass Arbeitslasten leicht verschoben werden können. Ingenieure sollen so agil zusammenarbeiten können.
Die Nutzung einer einzigen Plattform für Speicherung, Verarbeitung und KI-Training reduziert laut BMW die Hard- und Software-Anforderungen und damit Kosten und Komplexität. Daten lassen sich BMW zufolge global sammeln, aber zentral bearbeiten.