Mit der Corona Pandemie erfahren wir Umstände geprägt von dynamischen Interdependenzen über verschiedenen Ebenen hinweg deren Auswirkungen nicht vorhersehbar sind (Komplexität). Informationen, Erkenntnisse und Zusammenhänge, die wir dabei erfahren, sind oft widersprüchlich oder mehrdeutig (Ambiguität). Aussagen zu weiteren Entwicklungen können schwierig sein, da mit Überraschungen zu rechnen ist (Unsicherheit). Zudem erleben wir starke und schnelle Schwankungen in unterschiedlichen Bereichen, welche nur schwer einschätzbar sind (Volatilität).
Die VUCA-Welt
Das Akronym VUCA steht für Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity und dient als Rahmenkonzept, um aktuelle wie auch zukünftige Umstände mit seinen spezifischen Parametern einzuordnen und zu beschreiben. Es unterstützt Führungskräfte VUCA-Situationen aus unterschiedlichen Perspektiven transparenter zu erfassen und zu verstehen, hieraus Handlungsalternativen zu erarbeiten, um bestmögliche Entscheidungen treffen zu können und Chancen zu nutzen. Entscheidungen unterliegen dabei ständig eines Abgleichs mit der aktuellen Situation, einer flexiblen Anpassung und einer kurzfristigen Umplanung, wenn die Situation neu bewertet werden muss.
Die Corona-Pandemie bietet eine fast perfekte Vorlage für die bestehende VUCA-Welt. Jedes Unternehmen erlebt mit seinen Mitarbeitern seit einigen Monaten VUCA in seinem spezifischen Umfeld in unterschiedlichen Situationen ganz individuell und sehr bewusst. Dabei befinden sich die Unternehmen durch die Globalisierung und Digitalisierung schon seit langem in der VUCA-Welt, es wurde nur nicht in allen Bereichen so deutlich. Durch das Erleben der Auswirkungen durch die Corona-Pandemie, entsteht bei Führungskräften wie Mitarbeitern ein erhöhtes Bewusstsein für VUCA. Mit der damit verbundenen erhöhten Bereitschaft für Veränderung, eröffnet sich die Chance zu beschleunigten innovativen Entwicklungen im gesamten Unternehmen.
Um diese Veränderungsbereitschaft vorteilhaft zu nutzen, spielen Führungskräfte im Umgang mit bestehenden wie zukünftigen VUCA-Situationen sowie der Faktor Zeit eine maßgebliche Rolle. Unternehmen, die diese Gegebenheit nicht erblicken und notwendige Entscheidungen nicht beizeiten treffen, können die Chance versäumen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.
Akzeptieren und Annehmen
Das Erfassen von VUCA-Situationen und den proaktiven Umgang mit ihnen im Sinne von VUCA Excellence zu praktizieren, gehört wahrscheinlich zu den größten Herausforderungen für Führungskräfte. Denn für sie bedeutet es, ihre Rolle und ihr Verhalten perspektivisch neu zu betrachten.
Um VUCA als Rahmenkonzept unterstützend nutzen zu können, ist es für Führungskräfte bedeutsam es mit seinen ständigen Veränderungen bei zunehmender Dynamik als gegeben zu akzeptieren und anzunehmen. Diese Einstellung dient als Voraussetzung, um VUCA-Situationen aus der Metaebene mit seinen Wechselwirkungen "objektiv" zu beobachten, um für das bestehende System eine erhöhte Transparenz zu schaffen und unterschiedliche Szenarien zu betrachten. Führungskräfte schaffen damit für sich die notwendige Distanz und Ruhe, um die Perspektiven der Mitarbeiter einzubeziehen, bestehende Ressourcen sowie Informationen zu berücksichtigen sowie mögliche Handlungsalternativen abzuwägen und reflektiert (Team-) Entscheidungen zu treffen.
Kontextgerecht Führen in VUCA
Um die Chancen durch VUCA und die Potenziale der Mitarbeiter zu nutzen, muss sich die Führung entsprechend dem Kontext der jeweiligen Situation anpassen. Führungskräfte sind gefordert ein Repertoire an Führungsstilen von direktiv und transaktional, bis hin zur transformationalen Führung einzusetzen und damit Ambidextrie zu leben. In der Umsetzung schwankt dies von Mitarbeitern den Rahmen zur Autonomie und Entwicklung der eigenen Kompetenzen und Selbstwirksamkeit zu geben, bis hin bei Bedarf durch klare Entscheidungen Orientierung und Sicherheit zu vermitteln.
Lesetipp: Neuer Führungsstil - COVID-19 erzwingt Digital Leadership
Akzeptanz findet diese Art der Führung allerdings nur, durch wertschätzenden Umgang und Begegnung auf Augenhöhe zwischen Führungskraft und Mitarbeitern. Findet sich die Akzeptanz, dann entwickelt sich Führung in der Interaktion und im Zusammenwirken mit den Mitarbeitern zu einem Lernprozess welcher enorme Potenziale der Veränderungen und Innovation für die Organisation freisetzt.
Vision, Strategie, Sinn und Ziele
Die Vision dient dazu die Zukunft vorauszudenken und einen Rahmen zu schaffen, um Schlüsselprioritäten zu identifizieren und daraus Strategien zu entwickeln. Strategien sind für VUCA bedeutsam, denn sie helfen, so formuliert H.R. Yarger in seinem Buch Strategic Theory for the 21st Century - The little book on big strategy (2006), "unser Denken zu disziplinieren, um mit der Komplexität und Volatilität des strategischen Umfelds und den damit verbundenen Veränderungen und Kontinuitäten, Problemen, Chancen und Bedrohungen umzugehen". Strategien unterstützen den Blick aus der Metaebene und dienen Führungskräften als Leitlinie zur Reflexion bei ihren Entscheidungen, dem Entwickeln von Zielen und Mitnehmen von Mitarbeitern.
Bewusst eingesetzt, erwirken Ziele als Träger bei Mitarbeitern Potenziale, wie:
Veränderungsbereitschaft,
hohes Engagement,
Planungskompetenz,
Lernbereitschaft,
autonomes Agieren und
Übernehmen von Verantwortung.
Mit dem Verständnis für Sinnhaftigkeit und die Wirksamkeiten im Rahmen des High Perfomance Circle bieten Ziele dann eine Trägerfunktion für die notwendige Agilität im Umgang von VUCA-Situationen.
- Klar definieren, wer jetzt was zu tun hat
Mit dem Change geraten Zuständigkeiten und Rollen ins Fließen. Von Tag Eins an muss jeder Mitarbeiter wissen, was er jetzt im Moment zu tun hat. Bis sich das ändert und eine neue Ansage kommt. - Die Aufgaben nur skizzieren
Wer seine Mitarbeiter mitgestalten lässt, erreicht mehr. Deshalb ist es ratsam, eine grobe Skizze des Veränderungsprojektes zu zeichnen und das Team Vorschläge zur Ausarbeitung machen zu lassen, als einen schon komplett ausgereiften Plan zu präsentieren. - Die Team-Perspektive einnehmen
Wie betrifft der Change die Team-Mitglieder, was bedeutet die Initiative aus ihrer Sicht – wer diese Perspektive einnimmt, hat die Mitarbeiter auf seiner Seite. - Erfahrungen teilen
Erfahrungen teilen: Soweit möglich, sollten Mitarbeiter an konkreten Aktivitäten wie etwa Besuchen beim Kunden teilnehmen. Je näher sie den Change miterleben, umso besser. - Fragen zulassen
Fragen, die aus dem Team kommen, dürfen nie als Widerstand gelten. Ganz im Gegenteil. Ein Chef, der Fragen zulässt und sie beantwortet, kann schneller Teilverantwortungen an die Mitarbeiter übertragen. - Die Wirtschaftlichkeit darstellen
Neben viel Kommunikation mit dem Team geht es auch darum, Metriken und Kennzahlen für das Veränderungsprojekt zu entwickeln und diese deutlich zu machen. - Wissen, wo der Fokus ist
Innerhalb eines Changes ist viel Kleinteiliges zu klären und zu organisieren. Der Fokus darf darüber nicht vergessen werden. Regelmäßige Treffen müssen sich immer wieder auf diesen Fokus beziehen, eindeutige Metriken müssen deutlich machen, wo das Team gerade steht. - Teilziele updaten
Nicht jeder Meilenstein wird so zu erreichen sein wie ursprünglich geplant. Es ist daher wichtig, gemeinsam mit dem Team Teilziele regelmäßig auf den aktuellen Stand zu bringen. - Sich abstimmen
Gemeinsame Kalender für das Veränderungsprojekt und gemeinsam entwickelte Guidelines, die die Prioritäten festlegen: Das sind gute Wege, um die Arbeit der einzelnen Team-Mitglieder immer wieder aufeinander abzustimmen. - Commitment organisieren
Wer übernimmt die Verantwortung wofür und wie regelt das Team, dass diese Verantwortlichkeiten auch konkret ausgeführt werden? Solche Fragen sind gemeinsam zu klären. Die einzelnen Mitarbeiter müssen wissen, welchen Teil sie übernehmen, und sie müssen konkret formulieren können, was sie dafür von ihrem Chef brauchen. - Den Change in seine Geschichte einbinden
Das Team muss wissen, an welche früheren Punkte im Unternehmen der jetzige Change anknüpft und welche zukünftige Richtung sich damit abzeichnet.
Selbstführung, Reflexion und Entwicklung
Führen beginnt immer bei sich selbst und verbindet sich stark mit Verantwortung und Klarheit über sich selbst. "Um diese Klarheit zu erhalten, bedarf es einer ausgiebigen Selbstanalyse und eines ausgeprägten Bewusstseins darüber, warum Sie eine Führungskraft geworden sind, was Sie motiviert und ausbremst und wie Sie sich verändern möchten." meint B. Fuhrmann dazu in ihrem Buch Stark Führen (2018).
Der eigene Umgang mit VUCA und wie Führungskräfte dies Vorleben wirkt sich auf die Haltung der Mitarbeiter und deren Handeln unmittelbar aus. Denn, ob man es will oder nicht, Führungskräfte werden von Mitarbeitern in der einen oder anderen Art als Vorbild angesehen. "Die Vorbildfunktion von Führungskräften ändert sich: Vom Alles-Wissenden zum vorbildlichen Lernenden, der Mitarbeiter ermutigt, sich auch immer wieder auf die Lerntreppe zu begeben und Neues kennen zu lernen. Vom inhaltlich stets kompetenten Vorgesetzten zu jemandem, der als Lernbegleiter mit den Mitarbeitern gemeinsam das neue Terrain erkundet und dabei hilfreiche Reflexions- und Lernschleifen anbietet. Von jemandem, der durch scheinbare Souveränität und Sicherheit die Mitarbeiter entmutigt, eigene Unsicherheiten und Schwächen einzugestehen, zu einem Ermutiger, sich aktiv den Unsicherheiten und Risiken der VUKA-Welt zu stellen." wie A. Freyth & G. Baltes im Buch Veränderungsintelligenz beschreiben.
Führen im Kontext des VUCA-Umfelds als Prozess gesehen, verbunden mit Selbstreflexion und Selbsterkenntnis, ermöglicht das Entwickeln weiterer Fähigkeiten, erhöht dabei die Selbstwirksamkeit wie auch die persönliche Resilienz und macht schnelle Entscheidungen möglich.
Lesetipp: Resilienztraining - Wie Führungskräfte Widerstandskraft entwickeln
Um VUCA Excellence zu erreichen wird Zeit benötigt und das persönliche Bekenntnis von Führungskräften, die dabei entstehenden Herausforderungen anzunehmen. Es bedarf zudem der bewussten Entscheidung seitens der Geschäftsleitung, Führungskräfte bei diesem Entwicklungs- und Lernprozess aktiv zu fördern. Starke und krisenerfahrene Führungskräfte können dabei unterstützen, diese Prozesse zu beschleunigen. Die aktuellen Zeiten bieten die besten Chancen mit bisher unerfahrenen Führungskräften für den Umgang mit VUCA schnelle Erfolge zu erzielen und gestärkt aus der Krise herauszukommen. (bw)