Viele Unternehmen, die ein Lean Management in ihrer Organisation einführen möchten, lassen die ergriffenen Initiativen nach einiger Zeit wieder einschlafen - mit der Folge, dass erneut hohe Qualitätsschwankungen auftreten und die Verschwendung wieder steigt. Eine Ursache hierfür ist: Die Unternehmen führen Lean-Methoden und -Tools zum Schaffen effizienter Prozesse ein, noch bevor in ihrer Organisation die erforderliche Kultur besteht. Entsprechend instabil sind die Verbesserungsprozesse.
Vor diesem Hintergrund hat die Unternehmensberatung Kudernatsch Consulting & Solutions in Straßlach bei München untersucht, inwieweit in den Unternehmen, die bereits Lean-Management-Projekte begonnen oder betrieben haben, schon eine Lean-Leadership-Kultur besteht und wie hoch der Lean-Reifegrad ihrer Organisation ist.
Wie reif die Lean-Kultur ist, wurde analysiert auf den Ebenen
"Vision, Strategie, Ziele, Kundenfokus",
"Prozesse und kontinuierliche Verbesserung" sowie
"Leadership und Problemlösung".
Bezogen auf diese Handlungsebenen sollten die Unternehmen anhand von 15 Fragen mittels einer Fünfer-Skala selbst einschätzen, inwieweit in ihrer Organisation verglichen mit dem angestrebten Idealzustand zum Beispiel noch kleine, größere oder (erfolgs-)kritische Lücken bestehen. Außerdem wurden sie gebeten, in einem Kommentarfeld ihre Bewertung zu begründen.
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An der Befragung nahmen branchenübergreifend 732 Führungskräfte und (Lean-)ProjektManager aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teil. Von ihnen bewerteten
knapp 40 Prozent ein Unternehmen oder eine Unternehmenseinheit mit 200 bis 999 Mitarbeitern,
20 Prozent mit 1000 bis 4999 Mitarbeitern,
sieben Prozent mit über 5000 Mitarbeitern.
Die meisten an der Studie teilnehmenden Firmen waren bereits recht "Lean-erfahren". 30 Prozent von ihnen sind seit zwei bis vier Jahren in diesem Bereich aktiv, 32 Prozent sogar seit fünf bis neun Jahren.
Trotzdem haben die meisten Unternehmen, wenn es um das Etablieren einer Lean-Kultur geht, auf allen drei Handlungsebenen mehr oder minder große Probleme. Am geringsten sind diese noch auf der Ebene "Vision, Strategie, Ziele, Kundenfokus". So konstatieren die Unternehmen zum Beispiel beim Entwickeln einer klaren Vision nur vergleichsweise kleine Soll-Ist-Abweichungen. Groß und damit ernst zu nehmend werden die Lücken, was das konsequente Verfolgen einer langfristigen Strategie und das durchgängige Abstimmen der Ziele betrifft. Das liegt unter anderem daran, dass im betrieblichen Alltagshandeln meist die kurzfristigen Ziele im Vordergrund stehen, während die langfristigen in Vergessenheit geraten.
Weitere Ursachen sind: Ziele werden nicht durchgängig abgestimmt, außerdem ist die Kundenorientierung nur unzureichend in der Organisation verankert. Am häufigsten konstatieren Unternehmen eine "kritische Lücke" bei den Zielen, die unternehmensweit, top-down und cross-funktional, abgestimmt werden müssten.
Große Probleme haben Unternehmen auf der Ebene "Prozesse und kontinuierliche Verbesserung" - und hier vor allem, wenn es um die wertstromorientierte Prozessgestaltung, die Anwendung des PDCA-Zyklus und die Umsetzung des Shopfloor-Managements geht.
Viele Unternehmen stehen mit der flussorientierten Prozessgestaltung noch am Anfang. Auch der PDCA-Zyklus als Basis für strukturierte Problemlösung und kontinuierliche Verbesserung ist noch kaum etabliert. Einige Unternehmen haben zwar bereits mit einem Shopfloor-Management begonnen, doch wesentliche damit verbundene Problemlösungsmethoden (zum Beispiel A3-Report, Abweichungsanalysen) kommen nur selten zum Einsatz. Standards sind zwar meistens definiert, es mangelt aber am Verständnis, dass sie keine Kontrollinstrumente sind, sondern die Basis für eine kontinuierliche Verbesserung schaffen.
Auch auf der Ebene "Leadership und Problemlösung" gestehen viele Unternehmen "ernste" und "große" Soll-Ist-Abweichungen ein. So existiert in den meisten Fällen kein klar definiertes Führungsverständnis und einheitliches Führungsverhalten. Zudem leben die Führungskräfte Unternehmenswerte wie permanente Selbstreflexion oder Veränderungsbereitschaft nicht vor.
Eine konsequente Vor-Ort-Präsenz der Führungskräfte ist meist nicht gegeben. Zudem verstehen sich die Verantwortlichen zu wenig als Coaches, die ihre Mitarbeiter beim Entwickeln ihrer Problemlösungsfähigkeiten unterstützen. Nur selten erfolgt auch eine Problemlösung auf Basis des PDCA-Zyklus sowie weiterer Problemlösungsmethoden (zum Beispiel A3-Report) durch die Führungskräfte.
Eine Ursache für diese Defizite ist: Bei der Auswahl des Führungsnachwuchses spielt im Betriebsalltag die Frage, inwieweit die Kandidaten über das für den Auf- und Ausbau einer Lean-Kultur nötige Führungsverständnis und -verhalten verfügen, nur eine geringe Rolle.
Auf Grundlage der Selbstbeurteilung der Unternehmen wurde in der Studie auch ihr Lean-Reifegrad ermittelt. Dabei wurden fünf Reifegrad-Stufen unterschieden:
Das Unternehmen befindet sich am Anfang der Lean-Reise.
Die Verankerung einer KVP- und Lean-Kultur weist noch größere Lücken auf.
Es gibt noch einige Lücken auf dem Weg zu einer KVP- und Lean-Kultur.
Die Organisation ist auf dem besten Weg zu einer KVP- und Lean-Kultur.
Dem Unternehmen kann Best Practice bescheinigt werden.
Die Einstufung ergab: Zirka 38 Prozent der Unternehmen befinden sich, wenn es um den Aufbau einer Lean-Kultur geht, noch immer am Anfang der Entwicklung (Reifegrad 1 oder 2). Etwa 57 Prozent haben, bezogen auf den angestrebten Kulturwandel, bereits eine beachtliche Wegstrecke zurückgelegt (Reifegrad 3 oder 4). Und nur fünf Prozent sind bereits am Entwicklungsziel, dem Reifegrad 5, angekommen und können eine vorbildliche Lean-Kultur vorweisen. (hv)