KI-Rechner in der Klemme

Verbockt Microsoft den AI PC?

Kommentar  14.03.2024
Von 
Chris Hoffman schreibt für unsere US-Schwesterpublikation Computerworld.com.
Geht es um den AI PC, driften Marketing-Versprechen und Realität noch gehörig auseinander. Schuld daran ist in erster Linie Microsoft.
Der AI PC kann (bislang) nicht halten, was seine Hardware verspricht. Den Hochglanz-Werbekampagnen von Samsung und Co. zum Trotz. Damit sich das ändert, muss Microsoft handeln.
Der AI PC kann (bislang) nicht halten, was seine Hardware verspricht. Den Hochglanz-Werbekampagnen von Samsung und Co. zum Trotz. Damit sich das ändert, muss Microsoft handeln.
Foto: Samsung

Die aktuell von diversen Herstellern fleißig beworbenen KI-PCs sind die Hardware von morgen - sowohl im Guten wie im Schlechten:

  • Positiv ist, dass die Beteiligten auf Hardwareseite solide abliefern: Intel hat Neural Processing Units (NPUs) entwickelt, um KI-Tasks energieeffizient zu beschleunigen. AMD hat ganz ähnliche Hardware entwickelt und Nvidia liefert mit seinen leistungsstarken GPUs die performanteste Lösung, um KI-Modelle auf der eigenen Hardware auszuführen.

  • Auf der Negativ-Seite steht die Software, respektive Windows. Microsofts Betriebssystem ist aktuell nicht darauf ausgelegt, den AI PC zum Erfolg zu machen. Im Gegenteil: Man könnte fast den Eindruck gewinnen, der Konzern wäre von der KI-PC-Welle völlig überrollt worden.

Der Ball liegt also bei Microsoft: Die Redmonder müssen rechzeitig überzeugende Software liefern, um den AI PC als das "next big thing" zu etablieren. Passiert das nicht, werden die PR-Profis der Hardwarehersteller weiterhin überzeugende Narrative wiedergeben, zu was eine NPU imstande ist - und verstummen, sobald es um Praxisbeispiele geht.

AI PCs ohne KI?

Ich durfte in den letzten Monaten für die PC World diverse AI PCs mit NPUs testen - beispielsweise Lenovos ThinkPad X1 Carbon oder Alienwares m16 R2. In der Praxis können Sie damit mit "Windows Studio Effects" Ihren Webcam-Hintergrund mit Unschärfe versehen oder Fake-Augenkontakt in Meeting-Sessions herstellen. Das sind durchaus nette Funktionen - allerdings ist es für die Branche ein Unding, um diese Features, die Microsoft 2022 für einige ausgewählte Surface-Modelle vorgestellt hat, eine riesige AI-PC-Marketingkampagne aufzubauen.

"Windows Studio Effects" ist derzeit das wesentliche Alleinstellungsmerkmal von AI PCs.
"Windows Studio Effects" ist derzeit das wesentliche Alleinstellungsmerkmal von AI PCs.
Foto: Chris Hoffman | IDG

Denn Microsoft konzentriert sich vorwiegend auf Generative-AI-Tasks, die in seiner Cloud oder auf seinen Servern laufen - unabhängig davon, ob Sie einen Windows-PC, einen Mac oder ein iPad verwenden. Darüber hinaus hat Microsoft mit Copilot Pro auch GenAI-Tools für seine Office-Apps veröffentlicht. Ein AI PC respektive eine NPU ist dafür allerdings nicht erforderlich.

Der PC-Branche gehen die Argumente für On-Device-KI zunehmend aus. Dabei ist es in der Theorie durchaus ein beeindruckendes Szenario, KI-Tasks auf dem eigenen Rechner lokal zu erledigen - schon alleine mit Blick auf Datenschutz und Kontrollmöglichkeiten. Aber die Hersteller bringen den Nutzwert aktuell einfach nicht auf die Straße. Was nutzt es, einen AI PC im Bundle mit einer kostenlosen Testversion für KI-gestützte Software zu vertreiben, wenn das Tool auch im Browser läuft oder als App zur Verfügung steht? Wenn das schon alles ist, was AI PCs zu bieten haben, dann dürfte es schwierig werden, die Kunden dafür zu begeistern.

Microsofts mysteriöse Pläne

Microsoft scheint Windows vor allem als Landschaft zu sehen, um seine mit Nachdruck beworbenen Online-Services und KI-Produkte an die Benutzer zu bringen. Mit einem in der Windows-Welt "gefangenen" Publikum lässt sich der Kundenstamm für Services wie Microsoft 365 oder OneDrive ausbauen. Auf ganz ähnliche Weise haben die Redmonder Windows auch genutzt, um die GenAI-Funktionen von Copilot anzupreisen. Sie können dem Tool Fragen stellen, damit Texte bearbeiten oder Bilder hochladen.

Davon abgesehen kann Copilot in seiner momentanen Form als Seitenleiste in Windows nicht wirklich etwas mit der Hardware eines AI PC anfangen. Ein weiteres Beispiel, das das Problem verdeutlicht, ist das kürzlich veröffentlichte Spotify-Plugin für Copilot. Damit können Sie Copilot anweisen, bestimmte Songs abzuspielen. Allerdings führt das nur dazu, dass Copilot Spotify im Browser öffnet, statt die App aufzurufen. Wenn wir also ehrlich sind, ist Copilot eher eine an Windows angeflanschte, webbasierte Technologie. Von einer sinnvollen und wirklich tiefen Integration in Windows kann bislang keine Rede sein. Und es gibt auch noch nicht wirklich viele gute Gründe, Copilot in Windows zu nutzen. Schließlich hebt sich dieses Erlebnis in keiner Weise von der auf einem Chromebook oder einem iPad ab.

Was die Sache nicht besser macht, ist, dass Microsoft seine Vision für das KI-gestützte Windows der Zukunft noch nicht wirklich spezifiziert hat. Natürlich gab es eine ganze Reihe vager Aussagen darüber, was Windows eines Tages können wird. Und für den Herbst 2024 ist ein umfassendes Update für das Betriebssystem der Redmonder angekündigt, das auf KI fokussieren soll. Aber die neuen KI-PCs stehen eben bereits in den Regalen - und Konkretes lässt Microsoft mit Blick auf besagtes Update bislang nicht verlauten.

Dafür brodelt die Gerüchteküche: Laut Windows Central soll im Laufe des Jahres ein "AI Explorer" für ein "bahnbrechendes KI-Erlebnis" in Windows 11 sorgen. Dabei soll es sich im Wesentlichen um ein erweitertes Copilot mit Verlaufsfunktion handeln, das Ihnen ermöglicht, die komplette Nutzungshistorie Ihres Rechners zu durchsuchen. Zudem soll das neue Feature auf Basis der Nutzung hilfreiche Vorschläge liefern. Das mag im ersten Moment nach Nutzwert klingen, ist aber im Moment nur ein Leak - der von Samsung weiter befeuert wird. Im Rahmen einer Werbekampagne für das kommende Galaxy Book4 preisen die Koreaner bereits einige, bislang nicht veröffentlichte Copilot-Funktionen an.

Samsung preist für sein Galaxy Book4 Copilot-Features an, die Microsoft noch nicht vorgestellt hat.
Samsung preist für sein Galaxy Book4 Copilot-Features an, die Microsoft noch nicht vorgestellt hat.
Foto: Chris Hoffman | IDG, Samsung

Bloß kein neues Windows 8 …

Es ist natürlich klar, dass es eine umfassende Aufgabe darstellt, künstliche Intelligenz ordentlich in Windows zu integrieren. Und es könnte noch eine ganze Zeit lang dauern, bis das richtig gelingt. Dennoch ist es vertretbar, Microsoft diesbezüglich zu kritisieren. Schließlich läuft der Marketing-Hype um den AI PC bereits seit Monaten auf Hochtouren. Weil Windows noch nicht so weit ist, bildet sich jetzt bereits ein Narrativ aus - nämlich, dass der AI PC eigentlich nichts kann. Um das aus den Köpfen der (potenziellen) Kunden wieder herauszubekommen, wird einiges an Kommunikationsarbeit auf die PC-Hersteller zukommen. Alles andere als ideale Voraussetzungen für einen ohnehin gebeutelten Markt.

Was für Microsoft auf geschäftlicher Ebene noch wichtiger ist: Die Redmonder laufen Gefahr, mit dem AI PC eine große Chance zu verpassen. Unterdessen arbeitet Google fleißig daran, Gemini weiter zu optimieren und Chrome um KI-Funktionen zu erweitern. Auch von Apple ist in Sachen Generative AI demnächst vermutlich etwas Großes zu erwarten. Microsoft wäre also gut damit beraten, bald etwas Nützliches und Überzeugendes zu liefern - und die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Mit Windows 8 wurde das Betriebssystem schon einmal halbgar umgestaltet - nur, um am Ende nach jahrelangen Investitionen aufgegeben zu werden. Ohne die damit verbundenen Universal-Apps wird Microsoft inzwischen auch auf dem VR-Headset-Markt von Meta und Apple überflügelt.

Dabei verhielt es sich mit der Hololens anfangs ähnlich wie mit dem AI PC heute: Es gab bemerkenswerte Demos und verbale Ausblicke in die Zukunft. Am Ende konnte die Brille dem Hype, den die berühmte Minecraft-Präsentation vor knapp einem Jahrzehnt auslöste, nicht gerecht werden. Wenn die Copilot-Funktionen, die Microsoft für Windows in diesem Jahr plant, sich am Ende als ähnlich unausgereift erweisen, wie es Windows 8 war, könnten die Redmonder erneut ins Hintertreffen geraten. Das wäre für alle Hardwarehersteller und das gesamte PC-Ökosystem eine denkbar ungünstige Entwicklung. Hoffen wir, dass es anders kommt. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.