Supermann gesucht

Utopische Anforderungen an IT-Freiberufler

25.06.2014
Von 
Gründer der insure-IT Assekuranz Consulting
Der Freiberufler sollte IT-Leiter, Berater, Sicherheits- und Projektmanager gearbeitet haben und sehr gute ITIL-, CobiT-, CMMI- und PMBOK-Kenntnisse mitbringen. Angesichts solcher Projektausschreibungen wundert es nicht, dass es in vielen Projekten zu Fehlbesetzungen kommt.

Neulich stolperte ich über eine interessante Projektausschreibung. Aufmerksam lese ich sie, stutze und lese sie noch mal. Meine Neugier ist geweckt. Die unten aufgeführte Ausschreibung fordert meine ganze Aufmerksamkeit.

Gesucht wird: Prozessberater für IT-Governance-Richtlinien (w/m)

Projekt-ID: PO-4711

Projektstart: ASAP

Voraus. Laufzeit in Monaten: 12 ca.

Stundensatz: 75,00 €

Branche: Versicherungswirtschaft

Skills: Projekt Management Professional (PMI) CMMI / ITIL / CObIT

Das Projekt umfasst folgende Aufgaben: Für unseren Kunden, einen internationalen Konzern, suchen wir ab Januar in Köln einen Prozessberater (w/m) zur Unterstützung im Projekt.Im Projekt soll die Qualitätssicherung und Kommunikation bzw. den einzelnen Stakeholdern unterstützt werden. Des Weiteren soll der Rollout vorbereitet und umgesetzt/betreut werden.

Folgende Erfahrungen werden benötigt:

- tiefgreifende Erfahrungen mit ITIL im RZ-Betrieb und Application Monitoring (Must)

- profunde Erfahrungen mit COBIT (Must)

- sehr gute Erfahrungen mit CMMI (Must)

- sehr gute Erfahrungen mit PMI (PM Book) (Must)

Bei so vielen Abkürzungen kann einem nur der Kopf brummen. Obwohl ich aus der Branche komme und mich im IT-Feld sehr gut auskenne verstehe ich nur dreiviertel der Begriffe. So blicke ich mit Respekt auf den Personalberater, der die Ausschreibung online gestellt hat. Er muss ein echter "Alleskönner" sein. Vor allem scheint er den Unterschied der dargestellten Methoden genau zu kennen, denn sonst würde er ja so eine Ausschreibung nicht veröffentlichen, oder?

Mal davon abgesehen, dass Berater immer und überall verfügbar sein müssen. Nein sie müssen alles wissen, alles können und das bitteschön zu einem Stundensatz von 75,00 €. Besonders, wenn ich mir überlege, dass der Automechaniker in meiner Werkstatt auch schon 80,00 € pro Stunde verlangt.

Ich brüte über der Ausschreibung, um zu verstehen, was genau gefordert wird. Hier stolpere ich zunächst über die Wortwahl. Während die Erfahrungen mit ITIL tiefgreifend sein sollen, müssen sie bei CobiT profund sein, beim Rest immerhin sehr gut. Da frage ich mich doch, wann ich tiefgreifende, wann ich profunde Erfahrungen und wann ich sehr gute Kenntnisse habe? Danach beschäftige ich mich mit den inhaltlichen Anforderungen und betrachte den Rest der Ausschreibung wie ein US-Cop am Tatort.

Oliver Knittel (o.knittel@insure-it.de) schreibt für das IT-Freelancer Magazin die Kolumne "Freiberufler-Spitzen". Für die COMPUTERWOCHE wird er in einer Sommerserie das Verhältnis Freiberufler - Projektvermittler unter die Lupe nehmen.
Oliver Knittel (o.knittel@insure-it.de) schreibt für das IT-Freelancer Magazin die Kolumne "Freiberufler-Spitzen". Für die COMPUTERWOCHE wird er in einer Sommerserie das Verhältnis Freiberufler - Projektvermittler unter die Lupe nehmen.
Foto: Privat

ITIL

Wenn ich mich recht erinnere, war Itil die historische Hauptstadt des Reichs der Chasaren. Ich hoffe, dass damit nicht der Projektstandort gemeint ist. So gehe ich mal davon aus, dass mit ITIL die IT Infrastructure Library gemeint ist. Das ist eine Sammlung von Regeln, Definitionen und Werkzeugen für den Betrieb einer IT. Verwirrend ist, dass ITIL keine Projektmanagement-Methode, sondern ein durch eine Dokumentensammlung unterstützter Ansatz ist. Die vom Office Government Commerce (OGC), dem Gralshüter über ITIL empfohlene Projektmanagement-Methode ist jedoch PRINCE2. In der Ausschreibung werden aber Must Kenntnisse zum PMBOK gefordert. Das PMBOK ist aber neben PRINCE2 ebenfalls ein Standard für Projektmanagement.

CobiT

Dann werden weitere Methodenkenntnisse gefragt. Mir sagen die Begriffe Cebit und auch der kleine Hobbit etwas, aber was zum Teufel ist CobiT? Ich schaue in Wikipedia und lese "CobiT(Control Objectives for Information and Related Technology) ist das international anerkannte Framework zur IT-Governance und gliedert die Aufgaben der IT in Prozesse und Steuerungsvorgaben". Es geht also im weitesten Sinne um die Sicherheit von IT-Prozessen. Es müssen zum Beispiel die IT-Prozesse so definiert werden, dass niemand eine private CD mit Kontodaten brennen und mitnehmen kann.

CMMI

CMMI bedeutet Capability Maturity Model Integration.Dies bedeutet so etwas wie den Qualitätsstandard eines Softwareentwicklungsprozesses. Darin steckt das Wort Maturity, übersetzt Reifegrad.

Dahinter ist ein schönes Bild aus der Natur. Stellen wir uns einen Apfelbaum vor. Erst blüht der Apfelbaum und die Blüten dürfen nicht erfrieren. Wenn der Apfel zu früh gepflückt wird, ist er sauer und hart. Nur wenn der Apfel lange genug am Baum ist, schmeckt er wirklich gut. Diesen Reifegrad gibt es auch für Softwareorganisationen. Damit nicht genug. Es gibt drei verschiedene Modelle:

  • Das "CMMI for Development" (CMMI-DEV) unterstützt die Verbesserung von Organisationen, die Software, Systeme oder Hardware entwickeln.

  • Das "CMMI for Acquisition" (CMMI-ACQ) unterstützt die Verbesserung von Organisationen, die Software, Systeme oder Hardware einkaufen, aber nicht selbst entwickeln.

  • Das "CMMI for Services" (CMMI-SVC) unterstützt die Verbesserung von Organisationen, die Dienstleistungen erbringen.

Adaptiert auf die Versicherungswirtschaft bedeutet das:

  • Versicherer entwickeln ihre Software oft selbst.

  • Versicherer sourcen für bestimmte Bereiche wie z. B. dem Rechnungswesen, die sie nicht zu ihrer Kernkompetenz zählen, ihre Entwicklung aus.

  • Die Softwareentwicklung für andere Organisationen ist eher exotisch. Ich kenne hier persönlich nur einen Fall. Die IT-Abteilung der Generali hat eine Produktmodellierungs-Software entwickelt und diese auch anderen Konzerntöchtern zum Kauf angeboten.

Wieder kann man alles und nichts hinein interpretieren, aber sehr gut sollen die Erfahrungen sein.

PMI

Weiterhin werden "sehr gute Erfahrungen mit PMI (PM Book) (Must)" gefordert. Ich bin Project Management Professional (PMP) und hatte schon mit der Hotline des Project Management Institutes (PMI) zu tun, was aber sicherlich nicht gemeint sein dürfte.

An der Schreibweise PM Book erkenne ich, dass sich der Verfasser nicht wirklich mit dem Thema auskennt. Es gibt natürlich unzählige Mengen an Büchern über Projektmanagement (PM Books). Gemeint sein dürfte aber das Project Management Body of Knowledge (PMBOK). Das ist das Lehrbuch und Standardwerk für die Ausbildung zum PMP. Das schreibt sich aber PMBOK und nicht PM Book.

Für die Prüfungszulassung als PMP sind mindestens 4.500 Stunden Projektmanagement-Erfahrung innerhalb der letzten sechs Jahre Pflicht. Weiterhin muss ein PMP-Vorbereitungskurs von mindestens 35 Stunden besucht und eine anspruchsvolle Prüfung abgelegt werden. Zusammenfassend heißt das:

  • PMI ist das Institut

  • PMBOK ist das Lehrbuch

  • PMP ist der Abschluss

Fazit: Fehlbesetzung ist vorprogrammiert

Gesucht wird ein Freiberufler, der schon als IT-Leiter, Berater, Sicherheits- und Projektmanager gearbeitet hat. In diesen Rollen, die erst mal nicht viel miteinander zu tun haben, soll man profunde, tiefgreifende und sehr gute ITIL-, CobiT-, CMMI- und PMBOK-Kenntnisse erworben haben.

Oder anders ausgedrückt: Gesucht wird der "Freiberufler-Superman"

Der Versicherer sucht aber keinen Superman, sondern einen Berater für IT-Prozesse. Jedes Unternehmen muss IT-Governance Richtlinien erfüllen. Speziell hierfür gibt es Prozesse, die dafür sorgen, dass die Richtlinien eingehalten werden.

In meinen Augen ist jedoch bei dieser Ausschreibung eine Fehlbesetzung gerade zu vorprogrammiert. Das führt bei Freiberuflern oft dazu, dass sie viel Geld für Zertifikate ausgeben, weil diese in den Ausschreibungen immer wieder gefordert sind.

Von Personalvermittlern erwarte ich, dass sie wissen, was sie fordern und nicht nur einfach Profile durchreichen. Vielmehr sollten sie in intensiven Gesprächen mit dem Kunden diskutieren, welche Anforderungen wirklich wichtig sind und welche nicht. Hierzu gehört auch, etwas zurückhaltender mit Muss-Anforderungen umzugehen und im Einzelfall den Kunden auch darauf hinzuweisen, dass es bestimmte Qualifikationen in der Kombination auf dem Markt nicht gibt.

Der Artikel erschien im IT-Freelancer-Magazin.

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