Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) will der Gesetzgeber allen Menschen die Teilhabe am Wirtschaftsleben ermöglichen. Bestehende Barrieren schließen insbesondere Menschen mit Behinderungen von einer solchen Teilhabe aus. Das gilt auch und vor allem im Online-Bereich. Bestehende Hürden sollen abgebaut werden, indem Unternehmen verpflichtet werden, ihre Leistungen künftig barrierefrei anzubieten. Was aber bedeutet digitale Barrierefreiheit?
Stichtag 28. Juni 2025 für Websites und Apps
Die Digitalisierung und die Verlagerung vieler Geschäfte des täglichen Lebens ins Internet erleichtern vielen Menschen den Alltag. Das beginnt beim Kauf von Waren im Onlineshop und reicht über das Buchen der nächsten Urlaubsreise auf einem Reisebuchungsportal bis hin zur Kommunikation mit anderen Menschen über soziale Netzwerke. Was für die meisten Menschen leicht und wie selbstverständlich zu konsumieren ist, ist für andere mit erheblichen Hürden verbunden, sei es, weil Untertitel fehlen oder es keine Vorlesefunktion gibt. Dabei sollen alle Menschen in die Lage versetzt werden, digitale Angebote nutzen zu können. Eine barrierefreie Teilhabe am Leben bedeutet auch eine barrierefreie Teilhabe an digitalen Angeboten. Laut einer Studie des Digitaltages wünschen sich 71 Prozent der Befragten eine barrierefreie Gestaltung von digitalen Inhalten und Angeboten, zum Beispiel durch eine einfachere Bedienung.
Dabei bedeutet digitale Barrierefreiheit, dass digitale Angebote für alle Menschen nutzbar sind, also auch für Menschen mit einer Behinderung. Darüber hinaus heißt digitale Barrierefreiheit auch, dass die Angebote auch für ältere Menschen oder für Menschen mit weniger Erfahrung im Umgang mit digitalen Angeboten gut zu nutzen sind. Der Wunsch, vielen Menschen das Internet besser zugänglich zu machen wird nun für die meisten Unternehmen mit einer eigenen Internetseite verpflichtend. Bis zum 28. Juni 2025 müssen Websites und Apps barrierefrei gestaltet sein.
Von der europäischen Richtlinie zum nationalen Gesetz
Hintergrund dieser Verpflichtung ist eine europäische Richtlinie, die am 16. Juli 2021 mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz BFSG) in nationales Recht umgesetzt wurde.
Mit der EU-Richtlinie 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen wurden die Mitgliedsstaaten bereits für den öffentlichen Sektor verpflichtet, Regelungen zu einem barrierefreien Zugang zu Websites und Apps öffentlicher Stellen zu schaffen. Mit dem Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (kurz BGG) wurden die Regelungen aus der EU-Richtlinie 2016/2102 bereits in nationales Recht umgesetzt. Seitdem sind öffentliche Stellen verpflichtet, ihre Websites und Apps so zu gestalten, dass diese auch für Menschen mit Behinderung leichter zugänglich sind.
Im Anschluss werden nun die Unternehmen der Privatwirtschaft in die Pflicht genommen. Am 17. April 2019 hat das Europäische Parlament die EU-Richtlinie 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen erlassen. Deutschland hat diese Richtlinie bereits am 16. Juli 2021 mit dem BFSG in nationales Recht umgesetzt. Wie der Name der Richtlinie schon vermuten lässt, ist der Regelungsbereich nicht auf digitale Angebote beschränkt, sondern umfasst sämtliche Bereiche und Sektoren.
Was bezweckt das BFSG?
Dementsprechend ist auch das BFSG weit ausgelegt. Damit werden grundsätzlich sämtliche Lebensbereiche umfasst, in denen eine Teilhabe von Menschen mit Behinderung ermöglicht werden soll. So beschreibt § 1 Abs. 1 S. 2 BFSG den Zweck des Gesetzes unter anderem wie folgt:
"Dadurch wird für Menschen mit Behinderung ihr Recht auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gestärkt und der Harmonisierung des Binnenmarktes Rechnung getragen.".
Zweck der Neuregelungen ist es auch, durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen einen Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes zu leisten. Das soll gewährleistet werden, indem insbesondere durch unterschiedliche Barrierefreiheitsanforderungen in den Mitgliedsstaaten bedingte Hindernisse für den freien Verkehr bestimmter barrierefreier Produkte und Dienstleistungen beseitigt beziehungsweise die Errichtung derartiger Hindernisse verhindert werden.
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Die Richtlinie geht zudem davon aus, dass der Bedarf an barrierefreien Produkten und Dienstleistungen groß ist und die Zahl der Menschen mit Behinderung perspektivisch noch deutlich steigen wird. Ein barrierefreies Umfeld ermöglicht daher eine inklusivere Gesellschaft und erleichtere Menschen mit Behinderung ein unabhängigeres Leben.
In § 1 BFSG wird der Anwendungsbereich näher konkretisiert und auch auf digitale Produkte und Dienstleistungen erweitert. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf gelten die Barrierefreiheitsanforderungen an Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr für den Online-Verkauf jeglicher Produkte oder Dienstleistungen.
Daneben müssen nach § 1 Abs. 2 BFSG unter anderem folgende Produkte mit barrierefreier Ausstattung angeboten werden:
Computer, Notebooks, Tablets, Smartphones
Fernsehgeräte mit Internetzugang
E-Book-Reader
Dienstleistungen, die barrierefrei auszugestalten sind, sind unter anderem:
Telefondienste
Messenger-Dienste
in Apps angebotene Dienstleistungen im überregionalen Personenverkehr
Bankleistungen
Nicht vom BFSG erfasst sind allerdings Dienste, die Verbrauchern den Zugang zu audio-visuellen Mediendienste, also Streamingdienste wie Netflix, Amazon Prime oder Disney Plus, ermöglichen. Für diese Dienste werden eigene Regelungen zur Barrierefreiheit in den Medienstaatsvertrag (MStV) aufgenommen.
Barrierefreiheit im E-Commerce
Paragraf 14 BFSG konkretisiert die allgemeine Pflicht aus § 3 BFSG für Erbringer von Dienstleistungen. Diese dürfen danach nur angeboten und erbracht werden, wenn die Dienstleistungen den Barrierefreiheitsanforderungen nach § 3 Abs. 2 BFSG entsprechen.
Barrierefrei sind Produkte und Dienstleistungen nach § 3 Abs. 1 S. 2 BFSG ganz allgemein,
"wenn sie für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.".
Aus dieser Definition lässt sich noch nicht entnehmen, wie die Barrierefreiheit tatsächlich erreicht werden kann. Diese Anforderungen werden über eine eigene Verordnung geregelt, die neben dem BFSG zur Anwendung kommt und beachtet werden muss.
Verordnung zur Konkretisierung der Anforderungen an Barrierefreiheit
Zur Konkretisierung der Anforderungen an die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einen ersten Verordnungsentwurf vorgelegt. In § 12 des Verordnungsentwurfes werden hinsichtlich der digitalen Barrierefreiheit zunächst allgemeine Anfordern an Dienstleistungen gestellt. So müssen beispielsweise Webseiten auf konsistente und angemessene Weise wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden. Nach welchem technischen Standard das umzusetzen ist, ist dem Verordnungsentwurf jedoch nicht zu entnehmen.
In § 19 des Verordnungsentwurfes werden zusätzliche Anforderungen für Angebote im elektronischen Geschäftsverkehr gestellt. Wörtlich lautet die vorgeschlagene Regelung: "§ 19 Zusätzliche Anforderungen an Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr
Bei Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr müssen
1. Informationen zur Barrierefreiheit der zum Verkauf stehenden Produkte und der angebotenen Dienstleistungen bereitgestellt werden, soweit diese Informationen vom verantwortlichen Wirtschaftsakteur zur Verfügung gestellt werden,
2. Identifizierungs-, Authentifizierungs-, Sicherheits- und Zahlungsfunktionen, wenn diese nicht in Form eines Produkts, sondern im Rahmen einer Dienstleistung bereitgestellt werden, wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden und
3. Identifizierungsmethoden, Authentifizierungsmethoden, elektronische Signaturen und Zahlungsdienste, wenn diese bereitgestellt werden, wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden."
Einen Verweis auf konkrete technische Standards, wie zum Beispiel die EN 301 549 oder die Web Content Assessibility Guidelines ( WCAG 2.1) sieht der Verordnungsentwurf nicht vor. In der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) ist in § 3 Abs. 2 eine Vermutungsregelung vorgesehen, wonach die Anforderungen an die Barrierefreiheit als erfüllt angesehen werden, wenn die angebotenen Dienste harmonisierten Normen oder Teilen dieser Normen entsprechen und diese Normen oder Teile dieser Normen im Amtsblatt der EU genannt werden.
Im Anwendungsbereich der BITV 2.0 und dem BGG ist anerkannt, dass bei Einhaltung der Anforderungen der WCAG 2.1 eine Website barrierefrei im Sinne des BGG ist. Der Verordnungsentwurf zum BFSG sieht eine vergleichbare Vermutungsregelung nicht vor. Eine solche findet sich allerdings in § 4 BFSG, sodass davon ausgegangen werden kann, dass auch im Anwendungsbereich des BFSG die Anforderungen der WCAG 2.1 zu erfüllen sind.
Sanktionen bei Nichteinhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen?
Werden die Anforderungen an die Barrierefreiheit nicht eingehalten, drohen Unternehmen verschiedene Sanktionen. So kann die Marktüberwachungsbehörde nach § 29 Abs. 3 BFSG anordnen, dass ein Angebot oder die Erbringung einer Dienstleistung eingestellt wird, wenn diese trotz Beanstandung und Fristsetzung dauerhaft nicht barrierefrei zur Verfügung gestellt wird.
Erbringt ein Unternehmen entgegen der Pflicht aus §§ 14, 3 BFSG nicht barrierefrei, stellt das nach § 37 Abs. 1 Nr. 8 BFSG zudem eine Ordnungswidrigkeit, die nach § 37 Abs. 2 Alt. 1 BFSG mit einem Bußgeld von bis zu 100.000 Euro geahndet werden kann.
Auch den betroffenen Verbrauchern werden verschiedene Möglichkeiten an die Hand gegeben, Verstöße gegen die Pflichten aus dem BFSG zu melden. So können sie einerseits bei der zuständigen Landesbehörde Maßnahmen zur Beseitigung des Verstoßes beantragen. Zudem wird Verbrauchern in § 33 BFSG das Recht eingeräumt, einen anerkannten Verband oder eine qualifizierte Einrichtung zu beauftragen, in seinem Namen oder an seiner Stelle Rechtsbehelfe einzulegen. Darüber hinaus schafft das BFSG ein eigenes Verbandsklagerecht für Verbände und qualifizierte Einrichtungen.
Ob auch Mitbewerber nach § 3a Gesesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) lauterkeitsrechtliche Ansprüche gegen ein Unternehmen durchsetzen können, das die Vorgaben aus dem BFSG nicht einhält, hängt davon ab, ob die Pflicht zur Barrierefreiheit eine Marktverhaltensregelung ist. (bw)