"Die IT Infrastructure Library (ITIL) stammt aus den 80er Jahren und bewegt sich stark in der eigenen Welt", erklärt Fabian Schmidt. "Die Hersteller müssen aus dieser Welt heraus!" Schmidt ist Consultant bei Magelan. Mit sechs weiteren Experten diskutiert er in der Redaktion der Computerwoche über die Entwicklung des IT-Service Managements (ITSM). Ein Fazit der Diskussionsrunde lautet: Die Aufgabe wird komplexer, und das hat nicht nur mit Cloud und Digitalisierung zu tun. IT-Entscheider müssen sich neu positionieren.
Die Kernfrage jeder ITSM-Initiative formuliert Michael Kraft, Geschäftsführer von Topdesk, so: "Habe ich das Gefühl, dass irgendwo was besser laufen könnte? Wo ist der Schmerzpunkt?" Von dort aus sollte das Unternehmen das ITIL-Framework als Basis betrachten, auf der es aufbauen kann.
Kann, wohlgemerkt. Stattdessen werde ITIL oft als Vorgabe missverstanden, die punktgenau einzuhalten sei, beobachtet Schmidt: "Dann kriegen wir vom Kunden einen Anforderungskatalog, da wurde das ITIL-Buch abgeschrieben." Tobias Müller, Product Manager bei iET Solutions, stimmt: "Aus solchen Ausschreibungen resultiert dann oft eine Tool-Schlacht, bei der nicht unbedingt die für den Kunden geeignetste Lösung als Sieger hervorgeht! Die Erfahrung zeigt, dass Kunden trotz der umfassenden Ausschreibung oft nur einige wenige Prozesse umsetzen."
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"Es wird sofort über Tools geredet", beobachtet auch Shayan Faghfouri, Managing Director bei DextraData. Dabei drehe sich ITSM um Prozesse. Lange vor der Tool-Auswahl müssten die Entscheider in den Unternehmen klären, wie bei ihnen Business-Prozesse abgebildet werden. Was zu der Frage führt, wer denn die Geschäftsprozesse verantwortet - eine Frage, die nach Erfahrung aller Experten nicht jeder Kunde beantworten kann. Genau hier sieht Faghfouri den Stellhebel für IT-Chefs: "Wenn die IT treibende Kraft für die Digitalisierung in Unternehmen sein soll, muss sie Business-Prozesse verstehen."
Kürsad Gögen, Portfolio Manager bei Realtech, ergänzt: "Ich hatte Kunden, da war die IT nicht Treiber, sondern Getriebener!" Was Faghfouri wiederum bestätigt: "Viele Unternehmen möchten die Unternehmenssteuerung nicht in den ITSM-Bereich geben. Aber so kann der IT-Entscheider die Digitalisierung im Unternehmen nicht vorantreiben."
Diese Haltung dürfte jedoch schwinden, erwartet Gerhard Badke, Territory Manager bei Axios Systems. "Zunehmend nutzen IT-Abteilungen Services-Kataloge, um sich gut darzustellen", beobachtet er. Diese Kataloge seien außerdem ein probater Weg, um die Komplexität des Themas ITSM zu reduzieren, fügt Topdesk-Manager Kraft an. Die Endnutzer könnte das zufriedener stimmen.
Wie misst man den Erfolg von IT-Service Management?
Stichwort Endnutzer: Wie misst man eigentlich den Erfolg von IT-Service Management? Kraft stellt fest: "Nicht so leicht wie bei technischen Lösungen!" Viktor Schopf, Pre-Sales Consultant bei Ivanti, kommentiert: "Unternehmen können die Mitarbeiter nach ihren subjektiven Eindrücken fragen." Solche Antworten ließen sich dann auch in Balkendiagrammen darstellen. Consultant Schmidt rät, vor jedem Projekt Erfolgskriterien zu definieren und hinterher zu messen. Gögen will ihm gar nicht widersprechen, fügt jedoch an: "Dann besteht die Gefahr, sich auf einige Parameter zu fokussieren. Im Mittelpunkt der Erfolgskriterien muss immer der Nutzer stehen." Er fasst zusammen: "Die Frage, wie ITSM die Geschäftsprozesse verbessert, ist insgesamt schwer zu beantworten."
Eines steht für die Runde jedenfalls fest: ITSM scheitert im Unternehmensalltag manchmal schon an der Terminologie. "Dem Facility Management können sie nicht mit ,Change' kommen", argumentiert Kraft. Damit ist die Diskussion beim Thema Fachabteilung versus IT angekommen.
Axios-Manager Badke sieht die IT in der Pflicht, den Fachabteilungen den Mehrwert zu vermitteln und Kürzel wie ITIL hinten anzustellen. Schopf stimmt zu: "Man überzeugt mit Prozessen, die einfacher oder schneller laufen."
Doch wer genau in der IT-Abteilung kommt hier zum Zug? Wie stellt sich in der Praxis dar, was Analysten als bimodale IT preisen, als Aufsplittung zwischen einem Team, das die Systeme am Laufen halten muss, und einem, das mit agilen Methoden innovativ arbeiten darf? Müller von IET-Solutions winkt ab. Er warnt vor "Grabenkriegen" innerhalb der IT und sagt: "Das birgt Konfliktpotenzial, da jeder lieber agil sein möchte und keiner bei den 'Langsamen' eingeordnet sein will."
Statt eines solchen Splittings setzen alle Diskussionsteilnehmer auf das Abbauen von Silos und das Zusammenrücken von IT und Business. System-Architekten können hier als Mittler dienen. " Gartner nennt das Case Management", sagt Faghfouri. Der US-Marktforscher hat bereits einen Magic Quadrant für dieses Segment eingerichtet. Wichtig ist nach der Erfahrung von Faghfouri, dass das Unternehmen Top-Down arbeitet.
Ein weiteres Ergebnis des Gesprächs: In Sachen Cloud halten sich deutsche Anwenderunternehmen zurück. Österreicher und beispielsweise auch Niederländer zeigen sehr viel weniger Berührungsängste. Gögen nennt eine konkrete Ursache: die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die ab Mai 2018 von jedem Unternehmen umgesetzt werden muss. "Selbst wenn sie Zertifikate vorlegen und die Rechtssicherheit gegeben ist, sagen viele Entscheider: Was machen meine Kunden, wenn rauskommt, dass Daten in der Cloud liegen?", berichtet der Realtech-Manager. Ähnliche Aussagen kennt Topdesk-Chef Kraft: "Deutsche Unternehmen halten sich in Sachen Cloud lieber zurück, die wollen die Datenbank im Keller", sagt er. Dennoch ist Gögen überzeugt: "Auf die Dauer werden Clouds nicht zu verhindern sein." Berater Schmidt beantwortet solche Sicherheitsbedenken gern mit einer provokanten Frage an den jeweiligen Entscheider: "Haben sie ein Social-Media-Profil?"
Dass Cloud-Anbieter behaupten, mit ihren Lösungen brauche man kein ITSM mehr, lässt Badke nicht gelten: "Das sind alles nur Punktlösungen. Dann hat man fünf verschiedene Tools, braucht aber ein übergreifendes Reporting." Faghfouri verweist in diesem Zusammenhang auf Lösungen, die für sich in Anspruch nehmen, alles abdecken zu können, wie zum Beispiel solche von Microsoft. "Man ist ja schon in der Microsoft Cloud und dann kann man statt Business Process Management und ITSM-Tool Sharepoint nutzen. Aber Sharepoint ist auch nicht die Lösung für alles."
Wer auch immer über den Einsatz von ITSM entscheidet - die Expertenrunde ist sich einig, dass die Digitalisierung das Thema vorantreibt. Und dabei treibt manches Unternehmen den Einsatz der ITSM-Software weiter als gedacht. So werden damit schon mal Gabelstapler verwaltet oder die Besucher am Empfang. Müller: "Es ist spannend und lehrreich, wenn man sieht, für welche anderweitigen Business-Prozesse die Kunden die eigene Lösung einsetzen!"