Gründergeist vermitteln und Gewinnerphilosophie sichern

Start-up-DNA: Wie lassen sich Strukturen umkrempeln?

09.01.2020
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Dr. Consuela Utsch ist Geschäftsführerin und Gründerin der Acuroc Solutions GmbH und der AQRO GmbH. Als Spezialistin berät sie seit über 20 Jahren mittelständische Unternehmen und die Großindustrie bei der Implementierung von Betriebs- und Projektmanagementprozessen sowie in allen Themenbereichen der IT-Governance.
Mit der Transformation der Unternehmenskultur gehen gleichzeitig neue Führungsmentalitäten einher. Dabei spielen besonders eine zukunftsorientierte Denkweise und agile Methoden eine zentrale Rolle.

Zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland spüren laut einer Studie des Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung zunehmenden Veränderungsbedarf in ihrer Führungsstruktur. In diesem Zusammenhang wächst auch immer mehr der Wunsch nach einer Start-up-Mentalität. Allerdings bedingt dies, dass Mitarbeiter in die Lage versetzt werden, mehr Kreativität und Agilität zu leben, um schneller und gezielter auf neue Trends und Kundenwünsche zu reagieren. Und um vor allem in unsicheren, schwierigen Zeiten handlungsfähig zu bleiben.

Alle Anpacken und Vollgas geben - von diesem Motto in vielen Start-ups träumen die großen Firmen und versuchen diesen Spirit einzuführen.
Alle Anpacken und Vollgas geben - von diesem Motto in vielen Start-ups träumen die großen Firmen und versuchen diesen Spirit einzuführen.
Foto: Dmitrydesign - shutterstock.com

Doch was genau ist unter dem Begriff Start-up-Mentalität zu verstehen? Mit der Young Economy werden oftmals junge Menschen in Verbindung gebracht, die in großräumiger Wohnzimmeratmosphäre an ihren Laptops arbeiten. Doch den Charakter der Start-up-Mentalität kennzeichnet etwas anderes: Innovatives Denken beginnt bereits bei den Führungskräften, die ihren Mitarbeitern gegenseitige Inspiration und Begeisterung vorleben. Ob ein Unternehmen dabei Start-ups integriert oder auf die Arbeit mit vorhandenen Ressourcen setzt - eine Realisierung der entsprechenden Start-up-Mentalität gestaltet sich oftmals komplex.

Insbesondere gilt dies für Organisationen mit klassischen hierarchischen Strukturen, da ein Gewinn an Agilität und eine Stärkung der Innovationskraft einen kulturellen Wandel erfordert, der Raum für Autonomie und Diversität schafft. Um die aktuellen Herausforderungen zu meistern, benötigen Unternehmen deshalb ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Geschwindigkeit sowie eine lösungsorientierte Arbeitsweise, denn die Young Economy bringt Produkte schnell auf den Markt, steht im engen Austausch mit Kunden und erfindet sich regelmäßig neu.

Vorausschauendes Denken gefragt

Besonders große Unternehmen leiden oft unter mangelnder Innovationskraft - doch auch bei wachsenden Start-ups besteht die Gefahr, diese Mentalität, durch sich erstarkende Hierarchien, zu verlieren. Denn je größer ein Unternehmen ist, desto dringlicher wird die Einführung von hierarchischen Strukturen empfunden. Ähnlich wie in der Schifffahrt, arbeitet die Crew auf einem Kreuzfahrtschiff mit hierarchischen Strukturen, damit alle Vorgänge reibungslos ablaufen. Auf einem kleinen Segelboot agiert die Crew hingegen agil und sich selbst organisierend.

Von Start-ups meist schnell erzielte Fortschritte erfordern bei einer gewissen Organisationsgröße deshalb oft die Unterstützung durch Führungskräfte, was wiederum eine eingeschränkte Agilität nach sich zieht. Daher benötigt der Change zu einer Start-up-Mentalität einen strukturierten Ablauf. Welche Transformationsschritte auf dem Weg zur neuen Kultur sinnvoll sind, lässt sich deshalb nur anhand einer Erfassung des Zielbildes abklären. Hierbei spielen besonders die Analyse der bestehenden Unternehmenskultur und der Blick in die Zukunft eine zentrale Rolle um nachhaltigen Erfolg zu gewährleisten.

Freiräume für mehr Kreativität

Start-ups stehen zum einen für flache Hierarchien und zum anderen für die Möglichkeit, sich als Brainworker individuell einzubringen und gestalten zu können. Mitarbeiter streben danach, im Beruf selbständig zu agieren, und somit Eigeninitiative und Kreativität zu zeigen. Damit innovative Ideen allerdings nicht ins Leere laufen, muss eine Anpassung der bestehenden Unternehmenskultur an die Herausforderungen der modernen VUCA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Mehrdeutigkeit) stattfinden, in der Diversität und Internationalisierung zum Tagesgeschäft gehören.

Intrapreneure - Mitarbeiter, die wie unternehmensinterne Unternehmer agieren - übernehmen hier Verantwortung, setzen sich für Trends ein und gehen dafür gewisse Risiken ein. Denn durch die Integration und Konnektivität ordnet sich die Welt neu: Jeder, der nicht isoliert bleiben will, muss sich an der Konnektivität beteiligen, da die Gesellschaft und vor allem die Wirtschaft in der digitalen Zeit immer mehr Transparenz erfordern. Zudem schafft die Konnektivität kollaborative Geschäftsmodelle: Unternehmen beziehen bei der Entwicklung ihrer Produkte und Dienstleistungen immer stärker auch Kunden und deren Bedürfnisse ein.

Oft sind deshalb Prinzipien wie eine entsprechende internationale Perspektive, die Nutzung von Social-Media-Kanälen, eine Vereinfachung von Arbeitsabläufen sowie die Einführung der Losgröße 1 notwendig, um neue Optimierungsmöglichkeiten vollständig auszuschöpfen. Beispielweise entstanden durch die Sharing Economy in den letzten Jahren immer mehr Geschäftsmodelle, die Unternehmen wie Facebook, Google, Uber und Airbnb zum Erfolg verhalfen. Darüber hinaus sorgt die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung der heutigen Arbeitswelt dafür, dass Mensch und Maschine immer häufiger zusammenarbeiten. Das eröffnet neue Chancen, erfordert jedoch gleichzeitig eine Reorganisation der Abläufe.

Flexibel dank agiler Methoden

Oft auch als Hands-on-Mentalität bezeichnet, geht es bei der Start-up-Mentalität darum, mit anzupacken. In Teamarbeit besprechen Mitarbeiter Probleme und diskutieren dabei über die effizienteste Lösung. Zusätzlich zu einem konkreten Fokus und dem Glauben an das Unternehmen sind Neugier, Toleranz und Mut gefragt. Jeder Mitarbeiter sollte über den Tellerrand blicken und aktiv Hindernisse bewältigen. Eine effektive Start-up-Mentalität zeichnet sich zudem dadurch aus, dass Mitarbeiter Veränderungen schneller umsetzen als Angestellte in Unternehmen mit hierarchischen Strukturen.

Dank agiler Methoden reagieren junge Gründer schneller auf Marktveränderungen, aufkommende Trends oder sich verändernde Kundenansprüche. Start-ups sowie innovationsgetriebene Teams gelten als gemeinschaftsorientiert und agil - prägende Faktoren stellen dabei Methoden wie beispielsweise Design Thinking, AQRO und Scrum dar. Ebenso verschwimmen die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben immer mehr, denn die Familienvereinbarkeit steht ganz oben auf der Wunschliste von Arbeitnehmern.

Freelancer auf dem Vormarsch

Etablierte Unternehmen sollten die Ansätze aus der Start-up-Mentalität für sich nutzen, um ihre eigene Flexibilität und Innovationskraft zu stärken und einen langfristigen Erfolg zu sichern. Das Einbringen individueller Ideen und Wünsche sowie selbstbestimmtes Handeln ist dabei ausdrücklich erwünscht. Immer mehr Arbeitnehmer entscheiden sich deshalb dazu als Freelancer und bevorzugt projektbezogen zu arbeiten, denn eine aktive Mitgestaltung an Projekten befeuert zum einen das Belohnungssystem und zum anderen motiviert die Neugier auf Veränderungen und Erneuerungen.

Home-Office-Möglichkeiten und flexible Arbeitszeiten sorgen in diesem Zusammengang für mehr Freiraum. Co-Working-Spaces geben Kreativen, kleineren Startups oder digitale Nomaden die Möglichkeit, in meist offenen Räumen zusammenzuarbeiten. Zwar agieren die Mitarbeiter unabhängig voneinander und in unterschiedlichen Firmen, können aber gemeinsam an Projekten aktiv sein, oder auch zusammen Projekte verwirklichen und auf diese Weise neue Mitstreiter finden.

Mitarbeiter wollen Klarheit

Um zukunftsorientierte Entscheidungen zu treffen, braucht es vor allem eine Änderung der Kommunikationsstrukturen. Statt Ideen vom Sachbearbeiter über den Teamleiter zum Abteilungsleiter hin zur obersten Führungsebene zu pitchen, sollten die Verantwortlichen Pools schaffen, in denen sie schon automatisch über gewisse Themen diskutieren und Entscheidungen treffen.

Doch auch Intrapreneure - die speziellen Brainworker - benötigen klare Leitplanken. Denn wenn eine Organisation eine Veränderung anstrebt, wollen Mitarbeiter Klarheit über wesentliche Elemente: Wo werde ich landen? Wie gelange ich dorthin und welche Unterstützung gibt es für mich? Rollenbasiertes Arbeiten hilft Mitarbeitern, über Aktivitätenbündel und Verantwortlichkeiten einen sicheren Rahmen für ihre Aufgaben zu geben. Das Steuerungsinstrument ermöglicht die übergreifende Planung und gibt Sicherheit für performanten Zusammenarbeit in Teams und Communitys. Dies ermöglicht ein belastbares Ressourcen- und Multi-Projektmanagement und die Schaffung von Freiraum für Innovationen.

Neues Führungsverständnis

Die Umstellung einer Organisation in Richtung eines agilen Managements funktioniert nicht ohne ein umfassendes Changemanagement. Denn es geht hier nicht um eine unbedeutende Umstrukturierung, die langjährige Mitarbeiter meist nur noch mit resigniertem Achselzucken zur Kenntnis nehmen, sondern um einen dauerhaften Kulturwandel - bei laufendem Betrieb.

Wer auf Selbstorganisation setzt, benötigt zwar weniger Führungsebenen - allerdings bedeutet dies keinesfalls das Aus für Chefs. Ganz im Gegenteil. Manager benötigen ein neues Verständnis ihrer Rolle: Es gilt gemeinsam mit dem Team eine Strategie zu formulieren, statt Vorgaben von oben zu delegieren. Zudem dürfen Manager die Kraft ihrer Vorbildfunktion nicht unterschätzen. Dabei geht es insgesamt nicht um Kontrolle, sondern um mehr Wertschätzung, denn nur mit einem selbstbestimmten Handeln der Mitarbeiter kann eine Umstrukturierung der bisherigen Unternehmensmentalität erfolgreich gelingen.