Neues Lieferkettengesetz

Sorgfaltspflicht für Menschenrechte

01.06.2022
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Thomas Herbst ist Geschäftsführer der apsolut GmbH, die er 2005 mit Tim Kollmeier gründete. Der Autor ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und studierte an der Fachhochschule Esslingen. Er arbeitete als Consultant bei Hewlett-Packard und verantwortete später den gesamten SAP SRM-Consulting-Bereich der Heiler Software AG.
Das neue Lieferkettengesetz naht in Riesenschritten. Wie Unternehmen die richtigen Weichen zur Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten stellen können.
Das LkSG formuliert Sorgfaltspflichten für den eigenen Geschäftsbereich und die Lieferkette, die sich auf die international anerkannten Menschenrechte beziehen.
Das LkSG formuliert Sorgfaltspflichten für den eigenen Geschäftsbereich und die Lieferkette, die sich auf die international anerkannten Menschenrechte beziehen.
Foto: Blue Planet Studio - shutterstock.com

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) tritt am 1. Januar 2023 in Kraft. Es gilt für alle Unternehmen mit Sitz oder Zweigniederlassung und mindestens 3.000 Mitarbeitern in Deutschland. Ab 1. Januar 2024 sind auch die Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter davon betroffen. Die geplante EU-Richtlinie geht sogar noch weiter und bezieht Unternehmen ab 500 oder 250 Mitarbeiter ein - je nach Branche.

Das LkSG formuliert Sorgfaltspflichten für den eigenen Geschäftsbereich und die Lieferkette, die sich auf die international anerkannten Menschenrechte beziehen: darunter Schutz vor Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Diskriminierung, Arbeitsschutz, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, die Zahlung angemessener Löhne sowie einzelne Umweltaspekte. Künftig müssen alle betroffenen Unternehmen in Form von Jahresberichten gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) nachweisen, innerhalb der Lieferkette die Menschenrechte zu wahren.

Transparenz in der Lieferkette

Da die ersten Unternehmensberichte dem BAFA jedoch erst spätestens im April 2024 vorgelegt werden müssen (je nach Geschäftsjahr), bleibt den Firmen noch ein wenig Spielraum, um ein wirksames Lieferantenrisikomanagement zu etablieren. Sie sollten diese Zeit gut nutzen. So muss zunächst Transparenz geschaffen werden, ob die Produktionsverfahren und Arbeitsbedingungen der Lieferanten und Vorlieferanten im Einklang mit Menschenrechten und Umweltschutz stehen. Dafür stehen den Unternehmen verschiedene Informationsquellen zur Verfügung.

Viele Lieferanten haben sich schon frühzeitig auf die neuen Anforderungen eingestellt und können entsprechende Zertifikate vorweisen. Dazu gehören verschiedene ISO-Zertifizierungen zur Einhaltung von Antikorruptionsrichtlinien, Sicherheitsmaßnahmen und Mindestlöhnen, während der internationale Standard SA 8000 sozial akzeptable Praktiken am Arbeitsplatz attestiert. Zulieferer, die über keine einschlägigen Zertifizierungen verfügen, müssen dem einkaufenden Unternehmen durch Selbstauskunft oder Audits bestätigen, dass sie dem LkSG genügen.

Zur Vereinfachung der Informationsrecherchen können Unternehmen spezialisierte Dienstleister hinzuziehen, die neben ausgefeilten Lieferantenfragebögen auch Online-Plattformen für Adverse Media Screenings nutzen. Diese Tools werten täglich Milliarden an Internetquellen nach Nachrichten über Lieferanten aus und führen die entsprechenden Risikoparameter zusammen. Ergänzend können Unternehmen eigene Fragebögen zur Selbstauskunft ihrer Zulieferer einsetzen.

Lieferantenrisiken zentral managen

Darüber hinaus benötigen die Einkaufsorganisationen spezielle IT-Lösungen zum zentralen Management ihrer Lieferantenrisiken. In diesen Tools werden sämtliche menschenrechtsrelevanten Informationen über die Lieferanten konsolidiert und auf potenzielle Risiken hin ausgewertet. Zeichnen sich bei einem Geschäftspartner Verstöße gegen die LkSG-Vorgaben ab, werden die einkaufenden Unternehmen gezielt darüber informiert. Sie sollten mit den Zulieferern in kollaborative Gespräche treten, um die angezeigten Missstände möglichst rasch zu beseitigen.

Gleichzeitig muss die Risikomanagement-Lösung umfassende Reporting-Funktionen bereitstellen. Damit können die Unternehmen auf Knopfdruck die geforderten Jahresberichte zur LkSG-Konformität ihrer Lieferanten erstellen und direkt an das BAFA übermitteln. Um auf der sicheren Seite zu sein, müssen sie dabei auch alle Maßnahmen dokumentieren, die sie zur Beseitigung von Menschenrechtsrisiken in ihrer Lieferkette ergriffen haben.

LkSG bietet Planungssicherheit

Das LkSG konfrontiert die einkaufenden Unternehmen nicht mit komplett neuen Anforderungen. Es fasst vielmehr in einem regulatorischen Rahmenwerk zusammen, worüber in den westlichen Ländern bereits nahezu Einmütigkeit besteht. Denn es gehört zu den Grundüberzeugungen der meisten Manager, Mitarbeiter und Verbraucher, dass in den Unternehmen menschenrechtskonforme Produktionsverfahren und Arbeitsbedingungen herrschen sollten. Das klassische Einkaufsparadigma, möglichst viel Qualität für einen möglichst geringen Preis zu erhalten, hat für viele Unternehmen ausgedient. Stattdessen wollen sie mit ihren Lieferanten langfristige Partnerschaften pflegen und haben entsprechende Richtlinien in ihren Lieferkontrakten festgelegt. Vor diesem Hintergrund bietet das neue Lieferkettengesetz zusätzliche Planungssicherheit, welche Risikoparameter in der Zusammenarbeit mit den Zulieferern prinzipiell auszuschließen sind.

SAP-Anwender können wählen

Speziell SAP-Anwender können aktuell unter mehreren technischen Möglichkeiten für die LkSG-Umsetzung wählen. Meist im gehobenen Mittelstand und in Großkonzernen eingesetzt, bietet die Einkaufsplattform SAP Ariba bereits die meisten Funktionen für ein wirksames Management menschenrechtsbezogener Lieferantenrisiken. Bei Bedarf können diese Funktionen entsprechend ausgebildet werden. Wer kein Ariba, aber andere SAP-basierte Einkaufslösungen nutzt, kann sich mit einem neuen SAP Add-on behelfen. Dabei handelt es sich um eine smarte Lösung, die einfach in vorhandene Systemumgebungen integrierbar ist und sich zunächst ausschließlich auf die LkSG-Anforderungen konzentriert.

Nicht länger mit Projektstart warten

Unternehmen sollten zügig beginnen, die organisatorischen und technischen Voraussetzungen zur LkSG-Umsetzung zu schaffen. Dies reicht von einer initialen Risikoanalyse auf Warengruppen- und Lieferantenebene bis hin zur Ableitung konkreter Risikomanagement-Maßnahmen. Auch sollte das Implementierungsprojekt bald in Angriff genommen werden, damit der erste geforderte Jahresbericht spätestens im April 2024 fertiggestellt ist.

Andernfalls drohen Unternehmen drastische Strafen. Wer einen weltweiten Jahresumsatz über 400 Millionen Euro verzeichnet, muss mit Bußgeldern von bis zu zwei Prozent des Umsatzes rechnen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, für bis zu drei Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen zu werden. Noch schwerer allerdings kann der Imageverlust wiegen, der mit Verstößen gegen die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten verbunden ist. So werden sich nicht nur viele Konsumenten, sondern auch Bewerberinnen und Bewerber von einem betroffenen Unternehmen abwenden. Gerade junge Talente legen bei ihrer Jobauswahl auf Arbeitgeber Wert, die eine soziale und ökonomische Unternehmensführung pflegen. (fm)