Unternehmen mit Zukunft?

So hinterfragen Bewerber ihre Perspektiven im Job

20.09.2016
Von 
Jürgen Böhm ist Vorstand der 7BC AG und zuständig für den Bereich Cloud & Digital Transformation.
IoT, Industrie 4.0 und Digitalisierung sind wichtige Indikatoren dafür, wie Unternehmen ihre Zukunft planen und bereits Weichen gestellt haben. Es gibt aber auch noch weitere Faktoren, wie Bewerber die strategische und disruptive Ausrichtung ihres potenziellen Arbeitgebers auskundschaften können und sollten. Mehr dazu lesen Sie hier.
  • Bewerber sollten sich nicht scheuen, die Zukunftsstrategie der Unternehmens zu erfragen.
  • Mit den bisherigen Prozessen können traditionelle Anbieter künftig nicht mehr am Markt bestehen.
  • Jeder Bewerber sollte sich nach der IoT-Fähigkeit der Produkte erkundigen.

Bewerbern, die mehr Aufschluss über die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens haben wollen, rate ich dringend zu folgenden vier Fragen:

  • Wie wirken die fünf Kräfte des Wettbewerbs auf Ihr Unternehmen?

  • Ändern sich gerade die Kernprozesse in Ihrem Unternehmen?

  • Können Sie nach dem Null-Fehler-Prinzip produzieren?

  • Ist Ihr Produkt ins Internet of Things (IoT) eingebunden?

Der Grund: Ich bin der Überzeugung, dass Unternehmen, die sich nicht mit diesen Fragen beschäftigen, innerhalb der nächsten fünf Jahre in große Schwierigkeiten geraten.

Für Bewerber ist es wichtig, die Zukunftspläne eines Unternehmens zu erfragen, und welche strategischen Maßnahmen bereits ergriffen wurden.
Für Bewerber ist es wichtig, die Zukunftspläne eines Unternehmens zu erfragen, und welche strategischen Maßnahmen bereits ergriffen wurden.
Foto: Rawpixel.com - shutterstock.com

Falls Sie der Meinung sind, sich mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen, aber nicht wissen wie, dann lesen Sie weiter!

Rückblende: Chicago 1997. Bei einem Activity based Costing Event habe ich 1997 in Chicago Michael E. Porter, Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Harvard Business School, kennengelernt. Ich hatte einen Sponsor, der mich in das gemeinsame Mittagessen mit Michael Porter einschleuste - daher auch das Bild. Porter sagte dort: "Das Internet wird die Welt verändern, und an den "Five Forces of Competition" kann man diese Veränderung nachvollziehen."

Geschäftsessen mit dem Wirtschaftswissenschaftler und Professor Michael E. Porter
Geschäftsessen mit dem Wirtschaftswissenschaftler und Professor Michael E. Porter
Foto: Jürgen Böhm

Five Forces of Competition

VW, um ein aktuelles Beispiel herauszugreifen, hat sich scheinbar noch nie mit dem Fünf-Kräfte-Modell von Porter auseinandergesetzt. Es dient der Branchenstrukturanalyse und fußt auf der Annahme, dass die Attraktivität einer Branche durch fünf Strukturkomponenten bestimmt wird. Der Professor meint folgende fünf Kräfte, die unterschiedlich ausgeprägt sein können und im Zusammenspiel auf die Unternehmen in der Branche einwirken:

  • der brancheninterne Wettbewerb,

  • die Bedrohung durch neue Anbieter,

  • die Bedrohung durch Ersatzprodukte,

  • die Verhandlungsmacht der Zulieferer,

  • die Verhandlungsmacht der Kunden.

Das 5-Kräfte-Modell
Das 5-Kräfte-Modell
Foto: Micheal E. Porter, Harvard Business School

Je stärker diese fünf Kräfte ausgeprägt sind, desto schwerer lassen sich für ein Unternehmen Wettbewerbsvorteile in dieser Branche erzielen. Für die Automotive-Branche heißt das zum Beispiel, dass nicht nur Konkurrenz seitens neuer Anbieter herrscht, sondern dass das physische Produkt auch mit dem digitalen Service konkurriert. Für Käufer entscheiden nicht mehr nur der Besitz eines Fahrzeugs und dessen Marke, wichtiger ist mittlerweile der gebotene Service beziehungsweise der Nutzen, schnell und komfortabel von A nach B zu kommen.

Die Zukunft der Branche ist aber nicht ausschließlich kundenseitig bestimmt, auch Zulieferer, die den Herstellern die erforderlichen Komponenten liefern - sei es für Assistenzsysteme, Remote-Funktionen, Überwachung oder Selbstdiagnose -, üben Druck aus. Bei der Forschung und Entwicklung solcher Komponenten sind Automobilhersteller mehr denn je auf hochspezialisierte Zulieferer angewiesen, die sich ihrerseits den veränderten Kundenwünschen und den Anforderungen der Hersteller anpassen müssen. VW hat die Macht einiger Zulieferer in diesem Jahr zu spüren bekommen.

Mit anderen Worten: Mit den bisherigen Prozessen und Geschäftsmodellen können traditionelle Anbieter künftig nicht mehr am Markt bestehen. Um disruptiven Innovationen der Zukunft begegnen zu können und ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht zu verlieren, müssen Unternehmen die digitale Transformation in Angriff nehmen. Deshalb sollte ein Bewerber unbedingt die Frage nach den Auswirkungen der fünf Wettbewerbskräfte stellen.

Prozesslandschaften im Wandel

Zur zweiten Frage: Ändern sich gerade Ihre Kernprozesse?

Wertschöpfung im Unternehmen findet über Prozesse statt - die sogenannten Kernprozesse. Diese galten über die letzten Jahrzehnte als relativ stabil - das Prozessmanagement hatte insgesamt an Bedeutung verloren. Nun rüttelt die digitale Transformation jedoch massiv an diesen so stabil geglaubten Prozessen.

In produzierenden Unternehmen wird zum Beispiel aus dem Kernprozess After Sales ein Operationsprozess. Soll heißen: Nicht Wartung und Reparatur, sondern Software-Update, Release-Wechsel und die ganze Palette von ITIL, TOGAF, Lean, CMMI etc. ist notwendig, um eventuell Millionen von Produkten respektive Services beim Kunden "in Betrieb" halten zu können. Tesla, der Hersteller von Elektroautos, zeigt der Konkurrenz, wie das Software-Update von Fahrzeugen funktionieren kann - VW zeigte, was es bedeutet, wenn Software über einen Werkstattbesuch geändert werden muss.

Process-Landscape
Process-Landscape
Foto: Jürgen Böhm

Interessant finde ich, dass der ehemalige VW-Chef Winterkorn am 13. September 2015 um 11.01 Uhr veröffentlichte: "Eines Tages könnte ein Softwareexperte Volkswagen führen. Im rasanten digitalen Wandel müssen sich Autobauer zumindest an vielen Stellen neu erfinden."

Nur eine Stunde und acht Minuten später, um 12.19 Uhr, postete der damalige Porsche-Chef und heutige VW-Vorstandsvorsitzende Matthias Müller zurück: "Ich frage mich immer, wie ein Programmierer mit seiner Arbeit entscheiden können soll, ob ein autonom fahrendes Auto im Zweifelsfall nach rechts in den Lkw schießt oder nach links in einen Kleinwagen." Er brachte damit zum Ausdruck, dass er nichts von der Technik der selbstfahrenden Autos hält. Winterkorn hatte wohl schon so etwas wie eine Vorahnung, während Müller erst erfahren musste, welche Auswirkung Software im Produkt auf ein Unternehmen haben kann. Der Betrieb von Software in Fahrzeugen, die millionenfach bei Kunden im Einsatz sind, ist eine der vielen Herausforderungen der Digitalisierung.

Alle Kernprozesse werden vernetzt und haben gleichermaßen den Kunden und die Produkte im Fokus, wie es auch das Verfahren Development & Operations respektive Entwicklung und Betrieb sehr deutlich aufzeigen. Insofern lohnt sich für jeden Bewerber die Nachfrage, wie sich die Kernprozesse im Unternehmen verändert haben und weiterhin wandeln werden.

Null-Fehler-Prinzip wird zum Normalfall

Gleiches gilt auch für die Frage: Können Sie ohne Fehler produzieren?

Seit dem letzten Jahrhundert wurden das Null-Fehler-Prinzip, der DEMING-Kreis respektive PDCA-Zyklus und später das Total-Quality-Management (TQM) von den Qualitätsmanagement-Organisationen und -Institutionen proklamiert. Japan war in den 80er Jahren das Mekka des Qualitätsmanagements (QM), bis festgestellt wurde, dass nicht allein durch die QM-Methoden, sondern vor allem durch nahezu 100-prozentige Kontrollen die hohe Qualität erzeugt wurde. In den letzten Jahren ist es leise um das QM geworden, obwohl gerade jetzt das Null-Fehler-Prinzip zur Regel werden kann.

Produktion am Laufen halten

In den meisten produzierenden Unternehmen gibt es heute kaum noch Mitarbeiter. Doch bei der genauen Betrachtung fällt auf, dass die beteiligten Komponenten auf den Geradeauslauf der Produktion abgestimmt sind. Im Fehlerfall beziehungsweise bei einem Produktionsstopp werden dann häufig Log-Files ausgelesen, Protokolle analysiert und Neustarts des Systems durchgeführt, um die Produktion schnell wieder zum Laufen zu bringen.

Industrie 4.0 ist der Maßstab

Digitalisierung beziehungsweise Industrie 4.0 bedeutet im Produktionsumfeld, dass das Werkstück mit der Montagelinie kommuniziert und der Mensch dafür sorgt, dass alle relevanten Daten integriert erfasst und analysiert werden. So können Fehler frühzeitig erkannt oder gar vermieden und Wartungsintervalle optimiert werden.

Null Fehler sind dann nicht mehr das Ziel, sondern der Normalfall. Individuell einsetzbare Roboter werden Eingriffe und Umbauarbeiten in der Fertigung beschleunigen. Die Mensch-Maschine-Kommunikation wird neue Märkte und Branchen entstehen lassen. Dazu ist allerdings nicht nur ein umfassendes Wissen über komplexe Produktionsabläufe notwendig, sondern auch über Elektrik, Elektronik, Kameras und Sensoren, Roboter, Maschinen, Hardware, Systemsoftware und interne Netzwerke, Steuerungen, Zellenrechner und IT-Applikationen. Die Fähigkeit zur Vernetzung der Produktionswelt bestimmt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

IoT gibt neue Denkweise für Produkte vor

Ja - natürlich ist heutzutage fast jedes Produkt irgendwie mit dem Internet vernetzt. Die Frage, die ich auch bei einem IoT-Round-Table der COMPUTERWOCHE gestellt habe, ist: Wie weit wollen beziehungsweise sollen wir denken? Definieren wir zum Beispiel die Assistenzsysteme im vernetzten Auto als kleinen Schritt? Und das selbstfahrende Auto als großen? Ich bin überzeugt, dass die digitale Transformation nicht beim "halben Schritt", den Assistenzsystemen, stehen bleibt, sondern schneller, als man es sich heute vorstellen kann, selbstfahrende Autos zum Standard werden. Die Frage nach der IoT-Fähigkeit von Produkten sollte also jeder Bewerber aus gutem Grund stellen. Und nicht nur jeder Bewerber, sondern auch Sie. Ist Ihr Unternehmen im Kontext mit den vier erörterten Fragen für die Zukunft gerüstet?

Ich freue mich auf Ihr Feedback. (pg)