Wochenlang litt der stationäre Handel unter den Corona-Schließungen - online dagegen "brummte" es in vielen Branchen. Spätestens in der Krise zeigte sich: Digital ist Trumpf - und die Optimierung des digitalen Nutzererlebnisses ist immer wichtiger für den Geschäftserfolg. Wie aber lassen sich neu gewonnene Online-Kunden halten und ihre Abwanderung zur Konkurrenz verhindern? Inwiefern folgen die Kunden der vorgesehenen Customer Journey? Oder warum leeren sie ihre Warenkörbe kurz vor dem Bezahlen gegebenenfalls doch wieder aus, statt zu bestellen?
Fragen, vor denen immer mehr Unternehmen und Händler stehen. So viele, dass sich mittlerweile Investoren für entsprechende Lösungsanbieter interessieren. Doch was können Unternehmen und Handel nun in Sachen E-Commerce konkret tun? Unser E-Commerce-Ratgeber zeigt in fünf Schritten, was Unternehmen jetzt tun sollten, um Website und Online-Shop auf eine erfolgreiche Zukunft vorzubereiten.
1. Online-Kunden verstehen
Wer seine Kunden auch im Web mit einem optimalen Markenerlebnis versorgen möchte, muss zwei wichtige Dinge wissen, bevor konkrete Maßnahmen wie Keyword-Analysen, SEO etc. in Angriff genommen werden. Erstens: Wer sind die Online-Kunden überhaupt? Und zweitens: Was tun sie auf der Website, im aufwendig gestalteten Auto- oder Küchen-Konfigurator, im Online-Shop oder im integrierten Chatbot-Fenster - und was tun sie nicht? Die erste Frage adressiert selbstverständlich nicht die Identitäten der User oder deren personenbezogene Daten - hier wären Datenschutzgrenzen (zurecht) schnell erreicht. Es geht zum Beispiel um Endgeräte oder technische Voraussetzungen auf Kundenseite, die Akzeptanz von Seiten-Ladezeiten oder Wünsche und Vorstellungen des Kunden beim Online-Einkauf. Hier entscheidet sich oft schon, ob ein Kunde weiter interagieren möchte oder nicht.
Wer etwa eine Website anbietet, die nicht für mobile Devices optimiert ist, die eine gefühlte Ewigkeit lädt, oder nicht auf allen Geräten korrekt dargestellt wird, der ist seine potenziellen Online-Kunden oft schnell wieder los. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der internationale Vergleich von Seiten-Ladezeiten und Absprungraten nach Branchen im aktuellen 2020 Digital Experience Benchmark-Report: Webseiten der Bekleidungsbranchen laden laut Studie mit 1,91 Sekunden im Durchschnitt besonders schnell - was mit mittleren Absprungraten von rund 42 Prozent belohnt wird. Wer langsamere Seiten präsentiert, wie etwa die Energiebranche (im Schnitt 2,91 Sekunden Ladezeit), der bekommt die Quittung schnell beim Blick auf die Absprungraten: In der Energiewirtschaft betragen diese mehr als 50 Prozent.
Was die Online-Kunden tatsächlich tun oder akzeptieren, zeigt sich nicht ausschließlich an den reinen Konversionszahlen, sondern vor allem am Online-Verhalten der User während der gesamten Customer Journey: Interaktion mit dem Content ("Engagement Rate"), das Scroll-Verhalten oder zögerliches Vorgehen ("Hesitation time") - und nicht zuletzt typische Muster innerhalb dieser Charakteristik - erlauben ein deutlich präziseres Bild. Hier ist eine leistungsfähige Datenanalyse gefragt. Und der datenbasierte, konsistente Blick in die User Experience lohnt sich, sonst bleiben entscheidende Fragen unbeantwortet: Findet der Kunde überhaupt den teuer erstellten Content auf der Webseite? Verlassen die Kunden Seiten wieder, ohne - eigentlich passende - Content-Stücke angesehen zu haben? Stimmt das Markenerlebnis am jeweiligen Endgerät? Und vor allem: Inwiefern tragen die einzelnen Content-Elemente der Webseite zum Umsatz bei?
2. Daten verfügbar machen
Mit der Analyse ist jedoch nur der erste Schritt getan. Denn auch die besten Daten-Insights helfen kaum, wenn diese nicht die richtigen Menschen im adäquaten Format erreichen. Damit die datenbasierten Einsichten in das Website-Verhalten der Kunden den E-Commerce-, Digital-Marketing- und Analytics-Teams umsetzbare Ideen bringen, müssen die Mitarbeiter auf die Echtzeitdaten in Form intuitiver Visualisierungen zugreifen können. Leicht verständliche Dashboards, Heatmaps oder Sunburst-Diagramme helfen dabei, User-Experience-Analytics-Ergebnisse besser darzustellen, verständlich und kommunizierbar zu machen - auch ohne dass es hierfür jedes Mal die Fähigkeiten eines Data Scientist braucht.
Das Verständnis dafür, wie sich die Performance für die einzelnen Schritte der Customer Journey verbessern lässt, wird so zum erfolgskritischen Faktor. Zwar brauchen nicht alle Mitarbeiter an jeder Stelle im Unternehmen immer alle Daten. Rollenbasierte Insights, die entlang der digitalen Wertschöpfungskette passgenau und gut verständlich zur Verfügung stehen, haben jedoch an vielen Stellen im Unternehmen enormen Wert. Sie helfen, datenbasiert schnelle Entscheidungen zu treffen: Wer seine Kunden digital wirklich kennen lernt - vom ersten Kontakt mit einer Website bis zum Verlassen des Angebots - der kann schnell agieren, wenn Produkt-Management, Content Management oder technischer Support gefragt sind, um die Digital Experience zu verbessern. Langfristig - und dieser Aspekt ist mindestens genauso wichtig - hilft die kontinuierliche Analyse, die digitale User Experience beständig weiter zu optimieren: ein wichtiges Element, um sicherzustellen, dass die Online-Nutzer der Webseite treu bleiben und sie weiter nutzen. Lässt sich in den Ansichten dann noch zwischen aggregierten Metriken und exemplarischen Besuchersitzungen wechseln, stellt sich ein sehr aussagekräftiges Kundenverständnis ein, das sowohl Trends wie auch "Ausreißer" in der User Experience (UX) einbezieht.
- Steve Oluborode, Tableau Software
Daten sind das neue Öl. Dass das keine Zukunftsprognose, sondern längst Realität ist, sieht man allein schon bei einem Blick auf die Rangliste der weltweit wertvollsten Unternehmen. Die Top 3 erzielen ihre Wertschöpfung allesamt mit der Monetarisierung von Daten. - Carol Stockinger, IDG
Der Job des Data-Analysten ist alles andere als neu. Er hat sich in den vergangenen Jahren aber stark gewandelt. Ging es früher darum, Doubletten zu verhindern und insgesamt die Datenqualität und-sicherheit hochzuhalten, so steht heute die Herstellung von Benutzbarkeit insgesamt im Mittelpunkt. Verstehe ich meine Daten? Wie kann ich sie zusammenführen, einteilen, analysieren? Das sind die Fragen, mit denen wir heute konfrontiert sind. - Michael Koch, Lufthansa Industry Solutions
Das Wesen der Deutschen ist es, alles im Detail verstehen zu wollen. Das ist mit dem gigantischen Datenaufkommen, das in den Unternehmen generiert wird, aber heute schlicht nicht mehr möglich. Vielleicht liegt darin die Erklärung dafür, warum sich hierzulande alles ein bisschen langsamer bewegt. - Andreas Laux, Datavard
Uns stehen heute so viele technologische Möglichkeiten zur Verfügung wie noch nie zuvor. Doch die bessere Nutzung von Daten zu realisieren ist eine kulturelle Aufgabe, die Kunden und Dienstleister nur gemeinsam lösen können. Dabei ist es wichtig, die Menschen immer wieder darauf hinzuweisen, wie wichtig Daten für die Verbesserung von Geschäftsprozessen und die Entstehung neuer Services sind. Wenn ich den entstehenden Mehrwert glaubwürdig veranschauliche, dann steigt auch die Bereitschaft für das „Sharing“. - Peter Jung, Board
Das Business wird immer dynamischer. Strukturen, Geschäftsmodelle und Besitzverhältnisse verändern sich ständig. Auf diese Dynamik müssen wir mit flexiblem Datenmanagement reagieren: Jeden Tag gibt es einen neuen „Datenschatz“ zu heben und zu verwerten, das heißt aus den Daten entscheidungsrelevante Erkenntnisse zu gewinnen und bereitzustellen. - Andreas Heißler, Uniserv
Die Initiative der Bundesregierung für eine eigene Datenstrategie klingt weniger nach „echter“ Strategie. Das Problem ist doch die große Verunsicherung innerhalb der Unternehmen darüber, was sie rechtlich überhaupt dürfen und was nicht. Allein die parallele Existenz verschiedener sich teilweise widersprechender Gesetze und Verordnungen schafft eine Intransparenz, die den Fortschritt hemmt. Was heute richtig ist, kann morgen schon wieder falsch sein. Das ist gerade für den Mittelstand ein Problem: Um ein funktionierendes Datenmanagement zu etablieren, muss ich Geld in die Hand nehmen und das ist für große Konzerne leichter zu stemmen. Kleinere Unternehmen können aber nicht „einfach mal ausprobieren“, sondern brauchen Planungssicherheit. - Oliver Schröder, Informatica
Uns fehlt es in Deutschland noch an der Geschwindigkeit in der Adaption von Geschäftsmodellen. Die Plattformökonomie in den USA hat hier schon rein organisatorisch deutliche Wettbewerbsvorteile. Ein offensichtlicher Indikator findet sich im organisatorischen Stellenwert der IT. So existieren in vielen Unternehmen immer noch gesonderte IT-Abteilungen, und der CIO berichtet an den CFO. Das alles wäre in einer agilen Struktur nicht mehr nötig, in der IT und Business idealerweise miteinander verschmelzen. - Peter Küssner, Cubeware
Die allzu verhaltene Nutzung von Daten bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle ist kein technisches und kein organisatorisches Problem, sondern schlichtweg: ein deutsches!
3. Komplexität reduzieren
Mit der Größe der erfassten Datensätze wächst auch die Komplexität der Auswertungen. Wer an hunderten Website-Datenpunkten im Millisekunden-Takt Informationen sammelt und auswertet, steht schnell vor einem veritablen Big-Data-Szenario, dem mit manuellen Prozessen nicht mehr beizukommen ist. Ein möglichst hoher Automatisierungsgrad hilft hier, Fehlerquellen zu reduzieren, Zeit zu sparen sowie Eine größtmögliche Vollständigkeit zu gewährleisten - und auf der Datenbasis umsetzbare Strategien und Maßnahmen zu entwickeln. Moderne UX-Analytics-Lösungen erfassen Content-Elemente und Interaktionen automatisch und auch ohne zusätzliche Tags. So kann ohne zusätzliches Tagging die Datenerfassung komplett weiterlaufen, selbst wenn sich Webseiten oder die Fragestellungen laufender UX-Analytics-Projekte ändern.
Das Vereinfachen manueller Prozesse durch automatisierte bringt gerade im Bereich der datenbasierten Analyse der User Experience noch einen zweiten bemerkenswerten Vorteil: Das Aufspüren der Gründe für technische und UX-relevante Probleme mit einer geeigneten Plattform kann zum einen dabei helfen, mögliche Probleme zu beheben, bevor sie sich eklatant auf das digitale Markenerlebnis, die Kundenzufriedenheit und letztlich den Gewinn auswirken. Darüber hinaus helfen die Analysen den Verantwortlichen bei jedem Schritt, intelligente Entscheidungen zu treffen, um die Optimierung des Online-Auftritts kontinuierlich voranzutreiben und die UX zu verbessern.
4. Kundenerlebnis verbessern
Wenngleich Fehlererkennung und rasche Fehlerbehebung bei ihren digitalen Angeboten für zahlreiche Unternehmen sicher ganz oben auf der Optimierungsliste stehen: Es brauchen nicht erst Fehler aufzutreten, um datenbasiert sinnvoll die digitale Customer Journey zu optimieren. Eine konsequente und stetige UX-Analyse erlaubt Erkenntnisse darüber, an welchen Stellen digitale Erlebnisse proaktiv verbessert werden können - auch wenn es für digitale Kunden dort bislang scheinbar keine Stolpersteine gibt.
Solche auf den ersten Blick verborgenen Chancen lassen sich von der Content-Seite her zum Beispiel mit einem dezidierten Content-ROI bewerten. Also wenn der Aufwand und Mehrwert von Content-Erstellung, -Wahrnehmung und -Monetarisierung ins Verhältnis gesetzt werden. Dass der ganze Bereich E-Commerce auf die übergeordneten Unternehmensziele einer Organisation einzahlt und den gesetzten KPIs entspricht, lässt sich durch das Quantifizieren von Potenzialen mit Blick auf den zu erwartenden Business-Impact erreichen. Vergangenheits- und Echtzeitdaten aus der UX-Analyse bieten dafür wertvolle Anhaltspunkte. Zudem machen sie auch detaillierte Analytics-Insights gut verständlich für die abteilungsübergreifende oder die C-Level-Kommunikation. Die Integrationen vorhandener MarTech-Lösungen ins ganzheitliche UX-Analytics-Szenario ermöglicht zusätzliche, valide E-Commerce-KPIs.
5. Vom Trend profitieren
Den Kontext und die Absicht von Online-Kunden besser zu verstehen, hilft dabei, die User Experience zu verbessern sowie mögliche Conversion-Hürden abzubauen. Gleichzeitig können der Anwenderkomfort zu erhöht, Content sichtbar gemacht und so Kundentreue und -zufriedenheit gefördert werden. Das kommt dem Umsatz zugute, der im E-Commerce durch passende Botschaften und Angebote, Personalisierung und eine überzeugende Customer Journey getrieben wird.
Dass das auch unter unvorhergesehenen, erschwerten Bedingungen möglich ist, zeigen die weltweiten Zahlen aus dem aktuellen Corona-Data-Hub: Nach rund zwei Monaten, in denen der digitale Verkehr krisenbedingt angestiegen ist, hat sich das Wachstum zuletzt nur etwas gelegt. In Zahlen bedeutet das: Auch angesichts der weitgehenden Öffnung des stationären Handels zeigt sich nach wie vor ein Drittel mehr an Online-Besuchervolumen als im Vergleichszeitraum vor der Corona-Krise.
Seit dem 6. Mai können alle Geschäfte in Deutschland wieder ihre Pforten öffnen - hier kann ein Grund für den jüngst etwas reduzierten Datenverkehr um 21 Prozent liegen. Bei den digitalen Transaktionen hat sich ein Minus von rund 17 Prozent seit diesem Datum eingestellt. Dies lässt vermuten, dass vieles wieder offline eingekauft wird. Insgesamt hat das Online-Verkaufsvolumen in der Bundesrepublik dennoch einen stattlichen Boom erlebt: Es liegt um rund 48 Prozent höher als das Vorkrisenniveau. Unternehmen, die Erkenntnisse aus dem neu gewonnenen Datenaufkommen analysieren und nutzen, haben gute Chancen, Neukunden mit einem überzeugenden Digitalerlebnis auch über die Krise hinaus online an sich zu binden. Kundenseitig ist die Bereitschaft dazu offensichtlich da. (hi/fm)