Banken und Versicherungen sind sich seit jeher über die Chancen und Potenziale mit der Optimierung Ihrer Geschäftsprozesse bewusst. Viele Finanzhäuser beschäftigen ganze Einheiten ("Betriebsorganisationen"), die mit Hilfe von zum Beispiel Six-Sigma oder Lean Management-Methoden Veränderungen anstoßen sollen. Die aktuellen Herausforderungen in der Kombination aus Niedrigzins, Kundenzentrierung, Digitalisierung, Regulatorik und demographischen Veränderungen lassen sich allerdings mit dem alt-bekannten Werkzeugkoffer nicht mehr beherrschen.
End-to-End-Geschäftsprozessoptimierung mit "Touchpoint" zum Kunden und hoher "Customer Journey"-Optimierung verlangen einen Ansatz jenseits des Prozess "Klein-Klein". Process Mining als zentrales Element der Prozessoptimierung 4.0 stellt hier die nächste Evolutionsstufe dar. Die Idee, "Spuren" in den IT-Systemen zu nutzen, ist so einfach, dass die geringe Durchdringung mit diesem Ansatz in einer IT-getriebenen Branche wie Banken und Versicherungen überrascht.
Intelligenz von Banken und Versicherungen steckt in Prozessen
Banken und Versicherungen sind von einem engmaschigen Netz an IT-Systemen durchzogen. In diesen Systemen fällt Tag für Tag in den verschiedenen Prozessen eine Flut an Informationen rund um die Retail-Produkte wie Bankkonten, Kreditkarten, Einlagen, Kredite beziehungsweise Sach- und Personenversicherungen an. In diesen Prozessinformationen schlummern in der Regel wertvolle Hinweise und Eckdaten zu den eigenen Geschäftsabläufen. Sie stellen allerdings für viele Institute und Versicherungen bisher ein kaum genutztes Reservoir für die Optimierung der Geschäftsprozesse dar. Doch die Erkenntnis reift, dass auch bei Banken und Versicherungen die wirkliche Intelligenz in den Prozessen steckt.
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Die Gründe für die fehlende Nutzung liegen auf der Hand: Bis vor kurzem waren weder technologisch noch analytisch Möglichkeiten vorhanden, um aus den vorhandenen Daten einen Nutzen zu generieren. Mit "Big Data"-Technologien lassen sich heute Daten aus heterogenen Quellen mit vergleichsweise geringem Zeit-/Kostenaufwand integrieren. Mit den Möglichkeiten von intelligenten Algorithmen und Visualisierungen lösen sich diese Barrieren mehr und mehr auf. Auf Grundlage einer einheitlichen Sicht auf die Daten lassen sich Geschäftsprozesse von Banken und Versicherungen mit einfachsten Mitteln
visualisieren.
Jetzt gilt es vielmehr noch die kulturelle Barriere anzugehen. Über Jahrzehnte hinweg bildeten detaillierte Prozesserhebungen in vielen funktionsübergreifenden Workshops, manuellen Datenanalysen mit Excel und zeitintensiven Führungskräfte-Interviews die Grundlage, um Geschäftsprozesse zu optimieren.
Diese tradierten Vorgehensweisen mit ihrer anekdotischen Referenz haben Banken und Versicherungen über lange Zeit geprägt. Obwohl sich die eingesetzten Verfahren in vielen Fällen auch bewährt haben, besitzen diese einige inhärente Nachteile:
Allein die Analysegrundlage herzustellen, dauert meist mehrere Monate. Im heutigen Zeitalter der digitalen Transformation mit dem konzetrierten Fokus auf Geschwindigkeit und Agilität ist dies nicht mehr akzeptabel.
Die in Banken und Versicherungen herrschenden "Silos"-Strukturen spiegelten sich in den Optimierungen wieder. Die Lösungen funktionierten zwar innerhalb der Bereiche optimal. Bei ganzheitlicher End-to-End-Betrachtung (E2E) des Prozesses verfehlten sie aber oft das "globale" Optimum und waren zu wenig kundenzentriert.
Das Vorgehen war durch den Einsatz der im Prozess befindlichen und an der Optimierung beteiligten Experten geprägt. Diese legten selbstverständlich den Optimierungsfokus aus Ihrer Sicht fest.
Process Mining verspricht, die Defizite der tradierten Verfahren anzugehen, um so zur nächsten Reifestufe der Prozessoptimierung zu gelangen. Die Analysegrundlage in Form von Daten ist aufgrund der hohen IT-Unterstützung in vielen Banken und Versicherungen definitiv vorhanden. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um modernen Anwendungen oder Legacy-Systeme handelt. Die Analytik nimmt deshalb nur wenige Tage oder Wochen und nicht Monate in Anspruch. Das Vorgehen ist durch einen E2E-Ansatz geprägt. Last but not least, verspricht Process Mining, die bis dato herrschende Subjektivität von Experten mit einer klaren Ausrichtung auf Daten zu objektivieren. Anstelle eines formalen Standard-Prozessmodells treten die Spuren in den Quell-Systemen, aus denen die Ist-Abläufe extrahiert und visualisiert werden.
"Big-Data"-Tomographie von Bank-/Versicherungsprozessen
Banken und Versicherungen haben in der Vergangenheit oft viel Zeit und Geld in Business Inteligence und Data Warehouse-Lösungen gesteckt. Der Tenor vieler Häuser ist, dass heterogene IT-Landschaften deshalb von Seiten der Technologie eine hohe Hürde für Process Mining darstellen. Doch zum einen lassen sich die bestehenden Business Intelligence beziehungsweise Data Warehouse-Lösungen auch für das Process Mining nutzen. Zum anderen gibt es mittlerweile virtuelle Integrationstechnologien, mit deren Hilfe selbst Anwendungen in heterogenen Landschaften mit überschaubarem Zeit- und Kostenaufwand miteinander korreliert werden können.
Im Rahmen der Geschäftsprozessoptimierung zeigen Process-Mining-Ergebnisse dann, an welchen Prozessstellen es zu Extraschleifen und Verzögerungen kommt und welcher zeitliche Mehraufwand dadurch entsteht. Daraus lassen sich dann Ursachen ableiten sowie Maßnahmen für die Lösung von Problemen erarbeiten. Process-Mining-basierte Optimierung ist damit vergleichbar mit Entwicklungen in der Medizin. Früher hat ein Patient viele Ärzte konsultiert, die als Experten eine Diagnose ablieferten. Daraus ergab sich eine Gesamtbewertung. Heute hilft eine Tomographie bei einer schnellen Diagnose und ein oder zwei Experte (ein "Radiologe" für die Bildgebung sowie ein Facharzt zur Interpretation der Inhalte) reichen oftmals aus.
Doch Anwendung und Einsatz von Process-Mining-Technologie gehen über die klassische Geschäftsprozessoptimierung mit Einmalcharakter weit hinaus. Durch die Ausrichtung vieler Banken und Versicherungen auf "Produktionsstraßen" lassen sich zum Beispiel Prozesse auch unmittelbar vergleichen ("benchmarken"). Grundlage bildet der sogenannte "Happy Flow", welcher den Ablauf des annähernd optimalen Prozessdurchlaufs darstellt. So lässt sich beispielsweise eine Antragsstrecke, die vollautomatisiert durch die IT-Systeme läuft, unmittelbar gegen einen Antragsprozess stellen, der durch einen Sachbearbeiter manuell erledigt werden muss. Prozessvergleiche lassen sich in dieser Form schnell durchführen, aufbereiten und darstellen. Der Abgleich von Soll- und Ist-Daten fördert Schwachstellen zutage, die für einen "Deep Dive" besonders vielversprechend sind.
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Auf Grundlage von Process Mining ist der Schritt von statischer Prozessanalyse zu einer Geschäftsprozess-Steuerung in Echtzeit nicht weit. Heute im Einsatz befindliche Business-Intelligence- oder Datawarehouse-Lösungen liefern den verantwortlichen Führungskräften in Banken und Versicherungen wichtige KPI zu ihren Geschäftsprozessen. Die Vernetzung und insbesondere die Abhängigkeiten zwischen den KPIs muss aktuell noch in den "Köpfen" hergestellt werden. Dies liefert Process Mining quasi automatisch. Hier trifft Process-Mining-Technologie auf weit-verbreitete Dashboard/Cockpit-Funktionalitäten zur Steuerung des täglichen Geschäfts und macht die Dynamik im Prozess transparent. Auf dieser Grundlage lassen sich selbst Service-Level-Vereinbarungen on-screen steuern. Abweichungen davon werden im laufenden Prozess festgestellt und diagnostiziert.
Einfach mal das Licht anschalten
Process Mining ermöglicht also ein schlankes, fokussiertes Vorgehen, welches in wenigen Wochen konkrete und objektivierte Ergebnisse liefert.
Process Mining funktioniert immer dann, wenn "Log-Informationen" vorliegen. Glücklicherweise sind auch hier viele Banken und Versicherungen aufgrund regulatorischer Erfordernisse in der Lage, dass Systeme sämtliche Interaktionen mitloggen (müssen). Aus Zeitstempel, Eventbezeichner und einem Prozessstatus (GeVo, Referenz, etc.) wird der Ablauf eines Prozesses als Fluss chronologisch ablaufender Ereignisse abgebildet. Im Kern geht es dabei um Fragen wie: Welche Geschäftsprozesse laufen wo und wie in Bank oder Versicherung ab und in welcher Varianz?
Auf der Grundlage der E2E-Visualisierung lassen sich die wesentlichen Schwachstellen der Geschäftsprozesse beziehungsweise der Varianten identifizieren. Dabei können zusätzlich weitere Komplexitätstreiber berücksichtigt werden. Dem schließt sich eine Ursachenanalyse von Abweichungen an, um daraus entsprechende Handlungsfelder abzuleiten. Vergleichbar mit einem Radiologen in der Tomographie benötigt man dafür allerdings Experten zur Interpretation. Für diese Aufgabe bieten sich Unternehmensberater an, die auf Grundlage der Financial Service Branche Best-Practice-Lösungen kennen. Gemeinsam werden dann Handlungsfelder zur Optimierung identifiziert und priorisiert. Dies kann dazu führen, dass Strukturen angepasst werden oder auch, dass Aktivitäten mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz zukünftig automatisiert werden. Anstelle "Bauchgefühl" basiert diese Vorgehen auf objektivierten Prozessinformationen und lässt sich bereits in kurzer Zeit umsetzen.