Strategie

So fördern CIOs eine Innovationskultur

07.08.2023
Von 
Esther Shein schreibt für unsere US-Schwesterpublikation CIO.com.
CIOs legen mehr Wert auf Innovation. Wenn sie die IT-Kultur umgestalten, können sie nachhaltig kreativ sein.
Viele CIOs haben die Krise als Chance genutzt und aus den Erfahrungen der Pandemie neue Innovationsstrategien entwickelt.
Viele CIOs haben die Krise als Chance genutzt und aus den Erfahrungen der Pandemie neue Innovationsstrategien entwickelt.
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Die meisten IT-Führungskräfte definieren Innovation als eine Kombination aus Digitalisierung sowie neuen und besseren Wegen, um Prozesse und Dienstleistungen zu überdenken und Probleme zu lösen. "Bei uns ist das ein Hocker mit drei Beinen: Qualität und Sicherheit, Patientenzufriedenheit sowie Kosteneffizienz", sagt Sam Amirfar, CIO und Chief Medical Information Officer am Brooklyn Hospital Center.

Chris Manriquez, Vizepräsident für IT an der California State University in Dominguez Hills, sieht Innovation als "die schnelle, praktische Anwendung digitaler Technologien zur Lösung aktueller und zukünftiger Bedürfnisse". Es gehe um die Entwicklung neuer digitaler oder technologiegestützter Räume, die Elemente des Metaverse enthalten könnten.

Für Vishal Gupta, Global CTO, CIO und Senior Vice President of Connected Technology bei Druckerhersteller Lexmark, dienen Innovationen dazu, Dinge billiger, besser und schneller zu machen. Der Unterschied bestehe darin, dass aufgrund der Pandemie bei der digitalen Transformation nicht mehr die Frage gestellt werde, ob man in die Cloud wechselt, sondern wie und wann.

Die IT habe ihre Innovationskraft unter Beweis gestellt, da die Business-Manager die Technologie endlich ernster nehmen würden, argumentiert Gupta. CIOs und CTOs bekommen jetzt "einen größeren Platz am Tisch, weil sich in vielen Unternehmen zeigt, dass sie, auch wenn sie kein reines Tech-Unternehmen sind, zumindest darauf aufbauen müssen". Innovation sei der Motor für Wachstum, und in der Business-Welt gehe es nun mal um Wachstum, Rentabilität und Nachhaltigkeit.

Die Illusion der Innovation

Es gibt jedoch auch die Ansicht, dass Technologie nicht der einzige Schwerpunkt sein sollte, um eine "Innovationskultur" an den Tag zu legen. Zur Innovation gehöre mehr als nur Technologie, meint etwa Ron Adner, Wirtschaftsprofessor am Dartmouth College. Er sagt, dass Unternehmen, die über Innovation sprechen, oft in die Falle tappen, sich zu sehr auf ihre Technologie zu konzentrieren und nicht genug auf ihr Innovations-Ökosystem.

Um innovativ zu sein, müsse die IT-Organisation drei Elemente einbeziehen, so Adner: "Es beginnt damit, dass man über die eigenen Voraussetzungen für die Umsetzung hinausschaut und sich der externen Möglichkeiten bewusst wird, die man anzapfen kann. Das erweitert den Sinn für das, was tatsächlich möglich ist." Die zweite Facette sei das Bewusstsein für Prioritäten und Beschränkungen der externen Partner. Und schließlich gehe darum, eine Denkweise zu entwickeln, die über die Fähigkeit, einen Plan auszuführen, hinausgeht: "Man muss der Akquise von Partnern, die dazu bereit sind, das Spiel mitzuspielen, eine hohe Priorität einräumen."

Adner bezeichnet dies als "Ökosystem-Innovation", weil andere Menschen sich anpassen und neue Fähigkeiten erlernen müssen, um entweder mit einem Unternehmen, seinen Kunden oder einer anderen Partei auf neue Weise zu interagieren. Der Wissenschaftler fügt hinzu, dass dies eine Strategie erfordert, die sich von der Funktion von APIs unterscheidet. Ein angepasstes Mindset ändere sowohl das, was man tun will, als auch die Art und Weise, wie man in den Wettbewerb tritt. Das alles sei nötig, um externe Partner in eine kohärente Struktur zu bringen. Adner: "Der entscheidende Teil einer Innovationskultur im Jahr 2022 besteht darin, Kooperation zu managen und Kreativität zu ermöglichen."

Es sei eine Illusion zu glauben, dass moderne Technologie allein ausreiche, denn es gebe einen Unterschied zwischen "up to date" und "innovativ", so der Professor. Innovativ sein bedeutet Werkzeuge zu benutzen, um etwas Neues zu schaffen. "Bringt man jedoch nur sein Toolset mit moderner Technologie auf den neuesten Stand, steht man immer noch an der Startlinie." Zwar sollte ein CIO laut Adner Anerkennung dafür bekommen, dass er die harte Arbeit der Migration von Altsystemen auf modernere Technologien geleistet hat. Doch das sei etwas anderes als Innovation. Neue Systeme mit neuen Initiativen zu verbinden sei der Weg von einer operativen zu einer strategischen Haltung.

Zudem gebe es einen Unterschied zwischen einer innovativen Organisation und einer Organisation, die erfolgreich innoviert. Adner: "Eine innovative Organisation hat ständig neue Ideen. Ein Unternehmen, das erfolgreich innoviert, ist in der Lage, die richtigen Akteure zur richtigen Zeit um die neue Innovation herum zu versammeln, die das Wertversprechen darstellt, das Sie vorantreiben wollen."

Mini-Haifischbecken schaffen

Bei Lexmark hat CIO Vishal Gupta einen Prozess namens "Focus to Future" (F2F) eingeführt. Zweimal im Jahr hält er in jeder wichtigen Region, in der Lexmark vertreten ist, ein Meeting ab. Darin arbeiten Ingenieure mit mindestens einer weiteren Person für ein paar Tage zusammen, um einen einfachen Proof of Concept (PoC) für eine Idee zu erstellen. Die Teams konkurrieren um einen Geldtopf von zumeist 50.000 Dollar, mit dem sie anschließend einen funktionierenden Prototypen entwickeln können.

Laut Gupta müssen die Teams ein Video drehen, in dem sie das Problem demonstrieren und den PoC erläutern. Das soll unter anderem die Kommunikationsfähigkeiten fördern. Beim letzten F2F wurden etwa 80 Ideen gesammelt. Die Führungsebene habe "Mini-Haifischbecken" eingerichtet mit zwei Gewinnern aus jeder der drei geografischen Regionen. Deren Projekte wurden in eine Rangfolge gebracht, und alle erhielten unterschiedlich viel Geld. "Wir konnten einige von ihnen weiterverfolgen und haben Geld investiert, um zu sehen, woraus sich ein Produkt entwickeln könnte," berichtet der IT-Chef.

Die jüngste Gewinner-Idee war Optra Edge, eine Kamera, die Produkte in einer Fabrikhalle visuell inspiziert. Die Kamera ist mit künstlicher Intelligenz ausgestattet und zeigt alle Qualitätsprobleme an, die sie findet. Gupta: "Wir haben das Produkt in unserer eigenen Fabrik eingeführt und festgestellt, dass es fast 95 Prozent der Fehler beseitigt, die wir erkannt haben. Jetzt sind wir dabei, das System zu produzieren, um es auf den Markt zu bringen."

Laut dem CIO habe F2F zwei Auswirkungen gehabt: "Es sorgt dafür, dass sich die Mitarbeiter mehr für das Unternehmen engagieren, was die Mitarbeiterbindung stärkt. Außerdem unterstützt es uns dabei, interessantere Produkte auf den Markt zu bringen und Lexmark als innovatives Unternehmen darzustellen."

Risikopatienten entdecken und überwachen

Die IT-Abteilung des Brooklyn Hospitals hat nicht nur innerhalb von drei Wochen nach Ausbruch der Pandemie ein Telemedizinprogramm eingerichtet, sondern auch mithilfe von KI vorherzusagen versucht, wer die gefährdetsten Patienten auf den Stationen sind. "Spontan würde man sagen, das sind natürlich die Menschen auf der Intensivstation", sagt Sam Amirfar, IT-Chef des Brooklyn Hospital Center. Allerdings gebe es noch mehr als 200 weitere Patienten auf den normalen Etagen des Krankenhauses. Auf dem Höhepunkt der Pandemie konnte man nur schwer herausfinden, wem es nicht gut ging.

Die Herausforderung bestand darin, zu wissen, wo Ärzte und Krankenschwestern eingesetzt werden sollten, um Patienten zu versorgen, die nicht so krank waren wie die Intensivpatienten, aber dennoch zusätzliche Pflege benötigten. Das Krankenhaus führte daher ein KI-Programm ein, um mehr über seine Patienten zu erfahren. Es überwacht vier Vitalparameter in regelmäßigen Zeitabständen: Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung im Blut und Atemfrequenz. Das Programm ist darauf trainiert, Muster in diesen Vitalparametern zu erkennen. "Wir sagen dem Algorithmus in regelmäßigen Abständen: 'Der Person in Bett 10 ging es gut oder nicht gut, und sie musste auf die Intensivstation', also schaut das Programm auf die Muster der vorangegangenen 12 oder 24 Stunden."

Sobald die KI genug gelernt hat, um gute Vorhersagen zu treffen, soll sie laut dem CIO zum Einsatz gebracht werden, um Informationen zu analysieren, nach Mustern zu suchen und weiterhin Prognosen abzugeben. Die IT-Abteilung werde auch prüfen, wo der Algorithmus verbessert werden muss. Amirfar geht davon aus, dass es eine gewisse Feinabstimmung braucht, damit ein Patient, der auf dem Weg zur Toilette ein Kabel von der Brust abnimmt und dessen Puls auf Null sinkt, für die Software nicht sofort als verstorben gilt.

Allerdings verwendet der Krankenhaus-CIO den Begriff KI nicht gerne, da er impliziert, dass eine Maschine von Minute zu Minute schlauer wird. Es gehe jedoch nicht um Zahlenverarbeitung und Mustererkennung. Wichtiger sei es, dass eine Maschine gesunden Menschenverstand erlernt, etwa dass jemand auf die Toilette geht und daher die Aufnahme stoppt.

Das Krankenhaus hat ein "Nervenzentrum" mit Servern, Monitoren und Datenanalysten eingerichtet. Diese überwachen das KI-System für die mehr als 200 Patienten und sorgen dafür, dass alles reibungslos funktioniert. Wenn sie in der Lage sind, ein effektives KI-Modell zu entwickeln und es zu verpacken, überlegt Amirfar, die Software mit anderen Gesundheitseinrichtungen zu teilen. Diese können es im Laufe der Zeit verbessern, um ihre Betten zu überwachen. Die Investition in das Programm sei gering, sagt der CIO, "aber die Rendite könnte enorm sein. Uns ist klar, dass unsere Chancen nicht groß sind, aber wir werden sicher etwas lernen".

Innovation als Antwort auf Lebensrealität

Die California State University, Dominguez Hills, hat eine sehr vielfältige Bevölkerung und sozioökonomische Herausforderungen, berichtet Chris Manriquez, Vizepräsident für IT. "In Anbetracht dieser Gegebenheiten hat unser Campus eine innovative, vorausschauende und zupackende Einstellung," sagt er.

Während die Pandemie die Universität zwang, auf Technologie zurückzugreifen, um zu funktionieren, hat die Schule noch mehr getan. Die IT-Abteilung führte ein E-Sports-Programm mit einem Innovationslabor ein. Dort können Studenten über das klassische Gaming hinausgehen und Design-Elemente erlernen. Außerdem bietet es ihnen die Möglichkeit zu lernen, Anwendungen und Geschäftsmodelle zu entwickeln.

"Wir nutzten digitale Funktionen, um die während COVID festgestellten Defizite zu beheben, damit die Studenten ihren Bildungsweg fortsetzen konnten", sagt der IT-Verantwortliche. Einer der großen Mängel in der Hochschulbildung sei, dass die Studenten die Verbindung zu einer Institution verlieren. Gaming und E-Sports seien eine neue Technologie an der Universität. "An einigen Orten wird es wettbewerbsfähig wie Baseball oder Football, wo die Leute Stipendien erhalten können." Parallel dazu entwickle sich jetzt ein Karriereweg für junge Erwachsene auf diesem Gebiet.

An Studierende, die keinen Internetzugang hatten, verlieh die Universität während der Schließung etwa 2.000 Mobilgeräte und stellte drahtlose mobile WiFi-Verbindungen für Hochgeschwindigkeitszugänge zur Verfügung, berichtet Manriquez. Die IT-Abteilung entwickelte außerdem eine iOS-App für Menschen, die unter Lebensmittelknappheit litten. Diese App wirbt für verschiedene "Tafeln" und Speiseausgaben auf dem Campus sowie für Lebensmittel, die nach dem Ende eines Events erhältlich sind. Sie listet auch verschiedene Lebensmittelressourcen außerhalb des Campus auf. "Wir halten das für innovativ - auf die Bedürfnisse einzugehen", sagt er.

Nicht auf Lorbeeren ausruhen

Wenn Sie glauben, dass Sie eine Innovationskultur erreicht haben, ist das nur selten tatsächlich der Fall, bilanziert Wissenschaftler Adner. "Eine Innovationskultur ist eine Kultur, in der die Menschen ständig danach streben, Veränderungen auf produktive Weise zu unterstützen," sagt er. Es sei ein dynamischer Zustand und keine Stufe, die man erreicht und auf der man sich ausruht. CIOs und IT-Organisationen täten gut daran, ein Zitat des Amazon-Gründers Jeff Bezos zu beherzigen, wonach es bei Amazon immer "Day One" sei. "Das Motiv dahinter war, dass man nicht mehr innovativ ist, wenn man aufhört wie ein Startup zu handeln", sagt Adner. Es sei nichts, das man erreicht, sondern etwas, das man beibehält.

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.