Digitale Sozialarbeit

Smarte Sozialarbeit - oder doch lieber Menschen?

Kommentar  03.04.2023
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Peter Lahmann arbeitet seit 2002 in der IT-Sicherheit als Auditor und Berater und betreut heute das Sicherheitsmanagement von Kunden eines namhaften Cloud-Betreibers. Als Autor widmet er sich der Schnittstelle von unternehmerischen Anforderungen, Industriestandards und rechtlichen Rahmenwerken.
"Banking is necessary – banks are not", sagte der Microsoft-Gründer Bill Gates im Jahr 1994. Kann man heute sagen, dass Sozialarbeit wichtig ist, Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen aber nicht? Dazu eine kritische Betrachtung.

Nach einer Studie der OECD ist die Hälfte aller Arbeitsplätze in den 32 OECD-Staaten durch die Digitalisierung entweder vollständig oder zumindest teilweise bedroht. Es gibt aber auch eine Reihe von Berufen, die meistens als isoliert von der digitalen Transformation gesehen werden. Verschiedenen Studien zufolge gehören dazu auch Berufe mit sozialen Inhalten, etwa die von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern (im weiteren Text wird zur besseren Lesbarkeit die männliche Form verwendet). Nach dieser Denkweise können manche Aufgaben nur von Menschen zu Menschen erbracht werden. Diese Überzeugung lässt sich allerdings kritisch hinterfragen.

Das Beste aus beiden Welten: Eine Sozialarbeiterin begleitet eine Patientin bei einer Telemedizin-Sitzung mit einem Arzt.
Das Beste aus beiden Welten: Eine Sozialarbeiterin begleitet eine Patientin bei einer Telemedizin-Sitzung mit einem Arzt.
Foto: Dragon Images - shutterstock.com

Künstliche Intelligenz (KI) wird bereits in der medizinischen Diagnostik erfolgreich eingesetzt. In vielen klinischen Bereichen können Maschinen Muster und Bedeutungen bereits besser erkennen als die eigens dafür ausgebildeten Menschen. Aus der Diagnose heraus kann die KI eigenständig Handlungsempfehlungen entwickeln. KI-Maschinen können diese Empfehlungen auch gegenüber den Patienten kommunizieren, beispielsweise über Avatare, Bots, Robo Advisor, Amazon Alexa oder andere intelligente Persönliche Assistenten.

Kann man diese Erfahrungen aus der Medizin auch auf den sozialen Bereich übertragen? Man muss dabei nicht so weit gehen, und Sozialarbeiter gänzlich durch digitale Wesen ersetzen zu wollen. Mit Hilfe von digitalen Werkzeugen lassen sich jedoch die traditionell in diesem Bereich Beschäftigten vor Ort ersetzen. Dabei entstehen gänzlich neue Arbeitswelten. Mit einem KI Enhancement ist es denkbar, dass auch Personen ohne eine entsprechende Ausbildung die Rolle übernehmen und mit Teleworking und Videokonferenzen können diese neuen Kräfte auch in Polen, Bangalore oder am Strand der Ost- oder Javasee sitzen.

Status Quo in sozialen Bereichen

Ein solches Remote Work-Szenariohätte eine Reihe von Vorteilen. Der Ersatz durch Avatare kann in extremen Fällen sogar Menschenleben retten, denn Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen vor Ort können auch gefährlichen Situationen ausgesetzt sein. So geschehen beispielsweise im Fall A., der vor einigen Jahren große Bestürzung in der Schweiz ausgelöst hat. Damals war A. als Sozialtherapeutin in einem Therapiezentrum zur Resozialisierung von Strafgefangenen innerhalb eines Gefängnisses im Kanton Genf beschäftigt. Sie wurde von einem Strafgefangenen ermordet.

Die Schulsozialarbeit muss nicht vor Ort erledigt werden, das hat jedenfalls die Coronapandemie gezeigt. Nach dem Ausbruch der Pandemie gab es Distanzlernen statt Schulunterricht vor Ort. Auch außerschulische Aktivitäten konnten live nicht stattfinden und bei der Schulsozialarbeit wurde teilweise auf Telefon und E-Mail zurückgegriffen. Eine Idee, die nicht ganz neu ist: Die Telefonseelsorge gibt es bereits seit vielen Jahrzehnten. Sie hat sich als eine effektive Hilfe bei akuten Lebenskrisen von Menschen herausgestellt.

Mit der Schulsozialarbeit soll der Weg hin zu einem Optimum an Schulbildung begleitet werden. Bei den Auflistungen, wie die Schulabbrecherquote verringert werden kann, fehlt die Schulsozialarbeit allerdings regelmäßig. Während der Coronapandemie lag beispielsweise der Fokus von Politik und Sponsoren auf der technischen Ausstattung, damit alle Schüler am Distanzlernen teilnehmen können, aber nicht auf der Schulsozialarbeit.

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Eine weitere Sparte der Sozialarbeit ist die Flüchtlingshilfe. Die vielleicht größte Hilfe für einen Flüchtling ist es, wenn jemand da ist, der übersetzen kann. Die kann auch ein Chatbot sein, der KI-Übersetzungen liefert. In der KI-Forschung gilt es als sicher, dass computergestützte Übersetzungen menschliche Sprachmittler weitestgehend ersetzen werden. Disintermediation bedeutet den Bedeutungsverlust bestimmter Intermediäre in einer Wertschöpfungskette.

In vielen Fällen behindert der Wegfall eines Intermediär nicht die Wertschöpfung. Ganz im Gegenteil, oft wird durch den Wegfall die Wertschöpfung sogar verbessert. Dies könnte auch für in der Flüchtlingshilfe beschäftigte Personen der Fall sein, wenn deren Gatekeeper-Rolle für Informationen aller Art auf den Weg zur Integration von Flüchtlingen durch einen Digital Companion mit Übersetzungs-Feature ersetzt wird.

Das eine Prozent

Es ist schon seit längerem ein Paradigma, dass, wenn eine Maschine eine Tätigkeit nur um ein Prozent intelligenter oder billiger vornehmen kann als ein Mensch, die Maschine letztendlich den Vorzug bekommt. Dies gilt selbst dann, wenn das Zwischenresultat zunächst einmal schlechter ist. Ist eine Durchdigitalisierung der Sozialarbeit also schlecht und worauf muss man achten, um den Wert von Sozialarbeit zu ermitteln? Zunächst einmal muss Sozialarbeit wirksam sein. Sozialarbeit muss gerecht sein. Und jeder der Sozialarbeit braucht, muss den Zugang dazu bekommen können.

Die erwähnten Beispiele zeigen, dass eine volldigitale Sozialarbeit durchaus effektiv sein kann.

  • In der Coronapandemie hat sich gezeigt, dass Vieles auch per Videochat oder Telefon erledigt werden kann, darunter fiel auch die Schulsozialarbeit.

  • Für Flüchtlinge ist ein Digital Companion eine vielleicht größere Hilfe als eine Flüchtlingshelferin aus Fleisch und Blut.

  • Das Beispiel von A. zeigt, dass Sozialarbeit sogar gefährlich sein kann. Einem Avatar kann man kaum körperliche Gewalt antun.

Gerechtigkeit kann von KI zudem erlernt werden. Beispielsweise hat sich eine Stiftung zum Ziel gesetzt, mit Hilfe von KI-Technologie weltweit Amtsmissbrauch und Justizirrtümer aufzudecken. Das Trialwatch getaufte Projekt basiert auf einer Partnerschaft, an der Microsoft, die Columbia Law School und weitere Teilnehmer wie etwa George Clooney beteiligt sind. Das Konsortium sieht sich als ein Teil der humanitären Aktion der Vereinten Nationen, mit der die Menschenrechte auch in die die hintersten Winkel der Erde gebracht werden sollen.

In Deutschland wird zuweilen ein Internetanschluss an jeder Milchkanne gefordert. In dieser Diskussion fallen häufig die Schlagworte des Internets der Dinge und Smart Cities. In einer Smart City sind Rathäuser, Ämter, Gerichte und die Bürger miteinander vernetzt. Warum sollte eine Smart Social Work nicht auch dazu gehören? Man muss dabei natürlich nicht so weit gehen, dass die Reports der neuen Sozialarbeiter in ein soziales Bonitäts-Scoring der Bürgen einlaufen. Dennoch: Was immer digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert werden. Dabei wird die Sozialarbeit wohl keine Ausnahme bilden.

Wenn Sie tiefer in dieses Thema eintauchen möchten, dann empfehle ich Ihnen dieses Buch von Peter Fritz. (bw)