Ideen im Wettbewerb

Sind Ideenwettbewerbe ein alter Hut?

Kommentar  29.03.2021
Von 
Katharina Beitz ist studierte Philosophin, Tech-Founder und Gründerin der „Initiative Digitale Gerechtigkeit, mit der sie digitale Wissenslücken in der Breite der Gesellschaft schließen will. In Vorträgen spricht sie außerdem noch über gelingende Innovationskultur und Smart Citizenship.
Ideenwettbewerbe ziehen Jahr für Jahr neue Startups und Bewerber an. Doch lösen sie wirklich unsere Probleme und was nützen sie realistisch?
Ideenwettbewerbe dienen dazu, möglichst viele gute neue Impulse aus einer möglichst großen Masse einzufangen. Diese anschließend auch praktisch umzusetzen ist die Königsdisziplin.
Ideenwettbewerbe dienen dazu, möglichst viele gute neue Impulse aus einer möglichst großen Masse einzufangen. Diese anschließend auch praktisch umzusetzen ist die Königsdisziplin.
Foto: fotogestoeber - shutterstock.com

Seit der Hackathon WirVsVirus unter der Schirmherrschaft der Bundesregierung im März 2020 mehr als 45.000 Anmeldungen verzeichnete, ist jedem Wirtschaftstreibenden klar, wie repräsentativ und wirksam das Zusammenbringen vieler um ein großes gesellschaftliches Problem sein kann. Der Euphorie, die sich in die letzten Ecken aller Social-Media-Plattformen trug, konnte sich niemand erwehren. Noch nie war der Druck höher schnelle Lösungen für dringende Fragen zu finden. Doch hinter der Fassade gibt es große Probleme diese Ideen auch wirklich umzusetzen. Woran aber scheitern Ideenwettbewerbe und wie können wir das zukünftig vermeiden?

Land der verlorenen Innovationen?

Ideen zu haben, ist im Grunde nichts Besonderes. Denn wir haben sie alle - rund um die Uhr. Als mir einst Paolo Privitera, CEO von evensi, in einem Meeting im Silicon Valley den deftigen Satz "Your ideas are worth a shit" vor den Latz knallte, hätte ich ihm gerne widersprochen. Heute weiß ich: der Satz ist wahr. Den Beweis dafür liefern uns Hackatons und andere Ideenwettbewerbe am laufenden Band.

Natürlich haben Ideen ihre Berechtigung und Ausschreibungen bringen auch großartige Netzwerke zusammen. Ab und an wird sogar die ein oder andere Idee umgesetzt. Viel zu oft erleben wir aber, dass Startups immense Ressourcen in einen zweitägigen Hackthon stecken und sogar halbwegs greifbare Prototypen bauen. Nach 120 Sekunden Pitch vor einer Jury ist dann aber die Aufregung ebenso verflogen wie die Motivation zum Weitermachen. Man muss nicht unken, um sich zu fragen, wofür der ganze Aufwand dann eigentlich betrieben wird. Die viel wichtigere Frage lautet: Wie transferieren wir die oft großartigen Ideen in die Umsetzung, sodass sich ein Ideenwettbewerb für alle Beteiligten lohnt?

Nur ein PR-Gag?

Die Bundesregierung, in der sich der Hype der letzten Jahre rumgesprochen hat, entwickelte leider für die Beteiligten an ihren Wettbewerben der letzten drei Jahre, bisher kein vernünftiges Konzept, von dem alle profitieren. Aber ihre Ministerien wirken nun unfassbar digital und innovativ, weil im Nachgang Fotos für PR-Zwecke geteilt wurden - mediale Aufmerksamkeit garantiert. Jens Spahn rief zum Beispiel 2018 einen Gesundheitswettbewerb unter dem Stichwort "Zukunftswerkstatt: Blockchain im Gesundheitswesen" ins Leben. Über 140 Einreichungen versprachen eine Bandbreite an digitalen Konzepten, die sich jeder im Gesundheitswesen derzeit nur wünschen würde. 20 Finalisten schafften es in die letzte Runde mit einem Gesamtpreisgeld von 30.000 Euro. Jeder Gründer bekam ein Foto mit dem Minister auf der Bühne und ein Zertifikat überreicht.

Drei von ihnen tauchten sogar auf der Website des Gesundheitsministeriums auf. Das Fazit des Ministeriums verspricht weitere Sondierungsgespräche und widerspricht sich gleichzeitig selbst: von "hohen Initialkosten" ist hier die Rede, die sich jedoch keineswegs in dem Gewinn des Wettbewerbs wiederfinden. Das hätte eigentlich schon im Vorfeld klar sein müssen. Denn ein publikumswirksames Bild mit Jens Spahn und ein Gewinn von 20.000 Euro, den man sich mit zwei weiteren Gründerteams teilen muss, deckt in keinem Fall die angesprochenen "hohen Initialkosten" ab. Das Gesundheitsministerium hingegen bekommt den Anstrich der Zukunftsfähigkeit von den Freiwilligen aus der Digitalbranche, die hoffen, dass ihre Idee dadurch weiterkommt.

Der größte Hackathon gegen die Pandemie

Ein ähnliches Bild bot sich bei WirVsVirus. Nicht nur hatte der Hackathon ein ziemlich großes Diversitätsproblem, sondern auch keinerlei Anschlussplanung. Dass sich so viele Menschen zusammenfanden, die danach weitermachen wollten - dafür aber eine Geldspritze benötigten - stellte die Schirmherren, namentlich die Bundesregierung, erst einmal vor große Fragezeichen. Es ist dem unermüdlichen Einsatz zahlreicher Organisationen, Ehrenamtlicher und Aktivisten und Aktivistinnen zu verdanken, dass plötzlich die Anschlussfinanzierungen auch einmal Thema wurde. Da treffen sich also über 28.000 Menschen bei Slack für zwei Tage und kein Mensch aus der Regierung fragt sich vorher, wie die entwickelten Ideen dann auch realisiert werden können? Selbst vier Wochen danach floss an keines der 1000 Projekte Geld. Genutzt wurden später vorrangig Mentoring-Programme und schon längst vorhandene Infrastrukturen, wie der Prototype Fund. Dass diese Unterstützung keinesfalls so unkompliziert lief, wie die PR-Kampagnen, Fotos und Social-Media-Postings dazu verlauten ließen, steht dann wieder auf einem anderen Blatt.

Ideenwettbewerbe funktionieren, jedenfalls unter diesen isolierten Bedingungen von "Ein Raum-Ein Team-Ein Problem" sehr gut. Zehntausende können mit etwas Planung und den richtigen digitalen Kanälen zusammenkommen und kommunizieren. Nicht nur eine Regierung, sondern vor allem Unternehmen, die ein bestimmtes Problemfeld in Kollaboration mit anderen Denkern und Denkerinnen umsetzen wollen, nutzen dieses Tool. Aber sie können auch an der Durchsetzung scheitern, weil sich häufig niemand in den Betrieben findet, der die Koordination von riskanten und experimentellen Prototypen und jungen Teams übernehmen will. Wer kann es da übelnehmen, dass es auch hier meist bei einem PR-Stunt bleibt?

Raus aus der Hackathon-Blase

Wie schwer es tatsächlich ist, aus der Ideenwettbewerbs-Blase herauszukommen und wie wichtig es ist, die Isolation der Idee mitzudenken, zeigt das fatale Beispiel der "Basic Income Machine". Im Rahmen des WirVsVirus-Hackathons wird ein neuartiger, digitaler Pfandautomat erdacht und gebaut, die sogenannte Basic Income Machine. Dieser Automat sollte Menschen in Obdachlosigkeit beispielsweise durch das Abgeben von Pfand und dem Fegen der Straßen eine Grundsicherung ermöglichen.

Das Ganze war angelehnt an die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (Basic Income). Die Grundidee stieß bei vielen auf Gefallen und wurde tatsächlich von der Jury zur Umsetzung ausgewählt. Ich bin sicher, die Entwickler und auch die Jury dachten, sie hätten da ein tolles Projekt aus der Taufe gehoben. Die Stadt sollte Automaten aufstellen, um Obdachlosen wortwörtlich ihre "Würde zurück zu geben" und das Geldverdienen zu ermöglichen. Die Menschen sollten bei der Arbeit getrackt werden, um eine minutengenaue Abrechnung zu garantieren. Die Buzzwords der Stunde: 5G-Technologie, Machine Learning und Internet der Dinge.

Ich möchte gar nicht auf jeden einzelnen der zahlreichen Fails dieses Projektes eingehen. Nur kurz: die Würde des Menschen ist unantastbar. Das lässt sich schon in unserem Grundgesetz nachlesen. Doch erst als die Idee einem großen Publikum zugänglich gemacht wurde, hagelte es berechtigte Kritik und die Beteiligten entschuldigten sich für die Umsetzung. Die Idee war an der Bewährungsprobe in der Realität gescheitert.

Wann ist ein Ideenwettbewerb sinnvoll?

Und trotz solch grandioser Fuckups, kann ein Hackathon auch für alle Beteiligten sinnvoll enden. Diese fünf Kriterien, an die sich junge Startups und Ideengeber in der Auswahl der Wettbewerbe halten sollten, können dabei helfen:

  1. Die Post-Hackathon Phase wird von den Veranstaltenden mitgedacht. Steht Geld für die Umsetzung zur Verfügung, gibt es Mentorings, eine Begleitung des Projekts? Wer ist verantwortlich und wie viele Treffen gibt es?

  2. Expertise und Durchsetzungsvermögen der Verantwortlichen ist vorhanden und wird kommuniziert.

  3. Die Sponsorenliste wird übermittelt und widerspricht nicht den eigenen Ideen und Überzeugungen. Sonst droht ein ethischer Konflikt.

  4. Die Jury ist veröffentlicht: Stehen Kontakte und Netzwerke zur Verfügung und gibt es ein LinkedIn Outreach?

  5. Eyes on the prize: Gibt es mehr als einen Messestand und eine Erwähnung im Corporate Book der Organisation? Gut. Denn auch zwei Tage, die ein Gründer nicht für das eigene Unternehmen greifbar ist, sind ein großes Investment.

Wer diese Kriterien für übertrieben hält, sollte sich einmal vor Augen führen, wie lange beispielsweise ein Google Design Spring dauert. Fünf Tage lang wird, moderiert und mit Experten besetzt, an einer Fragestellung getüftelt. Und bedenken wir, dass auch ein 24-Stunden-Hackathon viel Vor- und Nachbereitung benötigt - vor allem, wenn ein Team eine Idee sattelfest präsentieren möchte.

Nach der Idee ist vor der Umsetzung

Startups müssen mit ihren wenigen Ressourcen, vor allem in der Frühphase der Ausgründung, haushalten. Als Gründerin im Tech-Bereich kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Jeder Tag ist auch eine Entscheidung gegen etwas - gegen die eine Mail oder die eine Ausschreibung, die vielleicht einen Preis, etwas Reichweite oder ein Publikum bedeuten könnte. Wir bewegen uns auf einem schmalen Grat. Jeder Schritt, vor allem solche, die viele Arbeitsstunden, Stress und wenig Resultate nach sich ziehen, bleibt im Kopf. Trotzdem sind Hackathons global beliebt: WirVsVirus hat selbst Slack an die Grenzen der Machbarkeit gebracht und weltweit Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dutzende, vermutlich hunderte, Hackathons, auf der ganzen Welt nahmen die Pandemie ins Visier und hatten oftmals das Beste im Sinn: Wie können wir Krankenbetten digital besser verteilen? Wie wird der Supermarkt sicher und wie versorgen wir unter solchen Bedingungen die Ärmsten? Das alles sind so immens wichtige Fragen, dass alleine die Zahl der Teilnehmenden schwindlig macht vor Freude und Enthusiasmus.

Es gibt sie also, die gemeinsame und für alle selbstverständliche Sorge um sich selbst und andere. Ideenwettbewerbe bringen damit etwas Großartiges hervor: sie zeigen uns Engagement wo sonst nur virtuelle Stille herrscht. Noch viel besser wäre es aber, wenn wir dieses Engagement kanalisieren. Das Momentum zu nutzen und die Zeit nach der Idee einzuplanen, sollte unser Steckenpferd werden und jedem Ideenwettbewerb sollte ein Umsetzungskonzept folgen und jedem verheißungsvollen Prototypenbau, sollten wir Expertinnen und Experten zur Seite stellen. (bw)