Gerade in den Ferien ist es das große Thema: Die Kinder sollen die Finger von ihren Phones nehmen und das "echte Leben" genießen - so wie ihre Eltern und Großeltern. Doch jetzt hat das Marktforschungsunternehmen AARP festgestellt, dass gerade die Senioren alles andere als ein gutes Vorbild abgeben. Zumindest in den USA haben die Rentner während der Pandemie öfter als je zuvor zu ihrem Handy oder Tablet gegriffen. Sie haben in einem Ausmaß gesurft und gedaddelt, dass sie fast schon interessant für die lieben Kleinen geworden wären. Auch die Social-Media-Nutzung, der E-Commerce und das Online-Banking sind in dieser Bevölkerungsgruppe geradezu explodiert.
Das Wall Street Journal zitiert einen Bericht vom Marktforschungsunternehmen Nielsen, der diesen Trend bestätigt und auf das Video-Streaming ausdehnt. Immerhin 39 Prozent der Streaming-Zeiten auf Diensten wie Netflix, YouTube oder Hulu ging im Mai 2022 auf über 50-Jährige zurück. Die Zeit, die 50- bis 64-Jährige mit Streaming-Diensten verbrachten, hat im Wonnemonat erstmals die der 35- bis 49-Jährigen überschritten.
Pandemie - eine Zeit des Lernens
Die Analysten von AARP erklären den Online-Boom unter den Älteren damit, dass diese in Zeiten von Pandemie und Lockdown zu Videokonferenzen mit Tools wie Facetime, Zoom und Microsoft Teams gezwungen worden seien und dann Gefallen daran gefunden hätten. Die Berührungsängste gegenüber mobilen Endgeräten und Internet-Angeboten hätten sich zu einem Gutteil in Wohlgefallen aufgelöst. Das Journal zitiert Familienmütter, die ihren Kindern das Spielen am Handy während der Mahlzeiten verboten hatten und nun zusehen müssten, wie die Großeltern pausenlos gegen diese Regeln verstießen.
Nicht zuletzt für Ältere, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, ist das Mobiltelefon das Fenster zur Welt geworden. Sie bleiben per Video-Call in Kontakt mit ihren Liebsten, frischen verlorengegangene Beziehungen zu alten Bekannten auf oder konsumieren via Podcast oder Youtube Inhalte, die exakt ihren Interessen entsprechen. Nicht wenige Senioren haben permanent Stöpsel im Ohr oder lassen sich mithilfe ihrer AppleWatch über eingehende Nachrichten informieren.
Laut Nielsen liegt die durchschnittliche Bildschirmzeit von Amerikanern über 65 Jahren bei sage und schreibe zehn Stunden am Tag, wobei das TV-Gerät immer noch die Hauptrolle spielt. Eine Studie aus dem letzten Jahr von JAMA Pediatrics zeigt, dass Teenager "nur" acht Sunden täglich auf einen Bildschirm glotzen. Meistens konsumieren sie dabei Streaming-Videos oder TV-Serien.
Das Smartphone macht die Alten fitter
Wie das Journal schreibt, machen sich Eltern durchaus zu Recht Sorgen deswegen: Bestimmte Arten des Bildschirmkonsums könnten sich negativ auf die mentale Entwicklung auswirken. Zudem könne der ständige Social-Media-Konsum vor allem bei Mädchen Essstörungen zur Folge haben. Mit solchen Problemen haben die Alten nicht zu kämpfen. Verschiedene Studien zeigen sogar, dass insbesondere digitale Spiele die kognitiven Fähigkeiten der Betagten verbessern können. Außerdem ist die häufige Verwendung des Phones dazu angetan, das Gespenst der Einsamkeit zu vertreiben.
Richtig spannend sind die immer häufiger auftretenden Fälle, in denen die Senioren digital kreativ werden. Nicht wenige nutzen beispielsweise ihren Mac oder das iPhone dazu, Musik zu komponieren, Dokumentationen zu erstellen, ihre Bildsammlung zu verwalten oder Haushaltsgeräte zu vernetzen, um ihren Traum vom Smart Home zu verwirklichen. (hv)