Willem Jonker ist seit vier Jahren der Chef des ICT-Bereichs des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts EIT ICT Labs, an dem IT-Firmengründer sich weiterbilden können und das für die Koordination verschiedener Projekte mit Industrie und Startups verantwortlich ist. Der Niederländer arbeitete zuvor unter anderem für KPN und Philips, wo er als Vice President die Forschung und Entwicklung verantwortete. Außerdem ist er Professor für Informatik an der Universität Twente in Enschede. Jonker sieht die Größenunterschiede zwischen dem US-Markt und Deutschland als eine der großen Wachstumsbremsen für Startups: "Vor allem für Internet-basierende Lösungen ist ein Markt mit 80 Millionen Einwohnern wie Deutschland zu klein, um ein profitabler Global Player zu werden", erklärt er. "Dazu kommt, dass der europäische Markt stark fragmentiert ist."
Ein weiteres Problem in Deutschland stellen die geringen Investitionssummen dar. "Für Startups gibt es einen Unterschied in der Investmentkultur", weiß Jonker. Es sei schwerer in Europa, "signifikante Investments" zu bekommen. Wer zehn oder 15 Millionen Euro Kapital benötige, habe in den USA viel bessere Chancen, diese zu erhalten. Gleichzeitig beobachtet er, dass in den USA mehr und mehr Investitionen von großen Firmen getätigt werden. Unter diesem Aspekt sei es jedoch positiv, dass in Deutschland viele große Unternehmen wie SAP, die Deutsche Telekom oder Siemens beheimatet sind. Hierzulande und in Europa könne man davon profitieren, dass diese Geldgeber mit den europäischen Startups besser vernetzt seien.
Investoren und Startups nach Europa locken
Der Informatikprofessor warnt allerdings davor, Silicon Valley in Deutschland nachahmen zu wollen: "Das Silicon Valley ist einzigartig. Wir sollten die Grundzusammenhänge von Erfolg verstehen und sie in einer Art und Weise anwenden, die unserer eigenen DNA entspricht." Seit Kurzem hat EIT ICT Labs auch eine Niederlassung in San Francisco, um eine Brücke zwischen dem Silicon Valley und ihrem EU-Ökosystem zu bauen und um sicherzustellen, dass mehr Investitionen, Talente, Ideen und Startups den Weg nach Europa finden. Denn Europa habe eine Menge zu bieten.
Stellt sich also die Frage, ob in den nächsten zehn Jahren ein erfolgreiches Startup wie Google oder Facebook auch aus Deutschland kommen könnte? Jonker meint Ja und nennt SAP als ein aufschlussreiches und erfolgreiches Beispiel. Europa bräuchte mehr davon. Zu einem Global Player zu wachsen sei in Europa aber schwierig, weil sich viele Firmen auf dem alten Kontinent nur national ausrichteten. Es gebe aber auch Erfolgsgeschichten wie zum Beispiel Skype oder Booking.com. Das zeige, dass es möglich sei, allerdings würden auch deutsche Startups dazu gerade in der Wachstumsphase mehr Investitionen benötigen. Jonker: "Wir reden viel mit Investoren in den USA und Europa und stellen fest, dass in den USA die Risiken und die Investitionen höher sind."
Kalifornischer Gründergeist ist gefragt
Woran es bei Gründern in Deutschland noch hapert, sei kalifornischer Gründergeist: "Die unternehmerische Denkweise ist etwas, woran wir arbeiten müssen", mahnt Jonker. Das EIT ICT Lab richte die Programme deshalb darauf aus, diesen Unternehmergeist zu schulen und den Teilnehmern bewusst zu machen, wie sie eigene Unternehmen gründen können. "Wir brauchen Unternehmer, wir brauchen Menschen, die diese Risiken auf sich nehmen", appelliert der Professor.
Silicon Valley ist nicht kopierbar
Lindsay Eyink kennt eines dieser Datenunternehmen genau, die Amerikanerin studierte visuelle Kommunikation und Geschichte, lebte elf Jahre in San Francisco und arbeitete davon sieben bei Apple. Die Silicon-Valley-Expertin leitete dort mehrere Teams, die an iTunes und dem App Store arbeiteten, zentrale Punkte in Apples digitaler Erlöskette. Heute coacht sie Gründer und veranstaltet Startup-Workshops am Software Campus in Berlin. Hier hilft sie, Probleme zu lösen, und berät auch in Fragen zu Management, Personal und Design.
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Vor allem historische Gründe hätten das Silicon Valley zu einem einzigartigen Ort für Startups gemacht. "Es gibt einige Dinge, die das Venture Capital in das Silicon Valley brachten", erklärt Eyink. "Die Stanford University begann in den 50er Jahren, die Bereiche Verteidigung und Bildung eng miteinander zu verbinden. Es gibt heute in diesem Bereich viele Unternehmer."
Auch Eyink glaubt nicht, dass es sinnvoll ist, ein europäisches Silicon Valley aufzubauen: "Die kalifornische Kultur zu exportieren, um sie hier nachzuahmen, ist der falsche Weg." Vielmehr, so die Expertin, gehe es darum, eine bessere Balance für Arbeit, Leben und Geld zu finden. In San Francisco seien die Menschen sehr auf ihre Sache fixiert, bis auf eine Ausnahme: bei Apple. In Deutschland und Berlin sei der Arbeitsansatz hingegen eher "messungsorientiert", findet Eyink, was gut so sei. "Kombiniert man das mit dem Hohes-Risiko-Ansatz, dann entsteht ein neues Geschäftsmodell für Innovationen und Technologie." Die Chancen für Deutschland im internationalen Vergleich stünden nicht schlecht: "Deutschland hat eine lange Geschichte was Innovationen, Forschung, Wissenschaft und Technologie betrifft. Und es ist nicht so, dass dieses Land diese Geschichte nicht fortsetzen wird."
Dennoch lassen sich US-Geschäftsmodelle nicht einfach auf Deutschland übertragen: "Business-Modelle wie Uber sind in der Theorie eine coole Idee, aber in der Praxis richten sie großen Schaden an", warnt Eyink. Die SharingEconomy sei insgesamt zwar sinnvoll, reduziere aber auch die Löhne und soziale Verantwortung. Es fehle an der Geschäftsethik. Die SharingEconomy werde in den US-Medien zurzeit stark kritisiert.
Auf ethisch-sozialem Gebiet könne Deutschland deshalb punkten, meint Eyink: "Leute in Berlin, die ich treffe, haben mehr soziales Gewissen. Vielleicht ist das eher eine kulturell europäische Einstellung gegenüber einer eher individuellen amerikanischen", vermutet sie. In Berlin nähmen die Leute mehr Rücksicht auf sich und ihre Gesundheit, während in den USA viele bis zum Umfallen arbeiteten.
Fachleute ohne Leidenschaft
Einen großen Unterschied zwischen Deutschland und den USA sieht Eyink auf dem Gebiet der Qualifikation und Ausbildung: "Wenn du in Deutschland in Wirtschaftswissenschaften promovierst, bekommst Du einen Job als Wirtschaftswissenschaftler und machst ihn ein Leben lang", sagt sie. In ihrem Team bei Apple habe es hingegen eine Frau gegeben, die Fotografie studiert hat und als Personalerin tätig war. Sie interessierte sich für Web-Design und -Development, arbeitete an interaktiven iBooks und sprach darüber auf der Developer-Konferenz WWDC.
In der US-Kultur gebe man demjenigen, der eine Leidenschaft für etwas entwickelt hat, eine Chance, es zu tun, anstatt immer in seinem Fachbereich zu bleiben. "Mein Chef bei Apple war ein Deutscher, er ist nie zur Schule gegangen", erzählt Eyink. Eine andere in ihrem Team habe Theater studiert, doch alle seien in der Lage gewesen, Dinge zu erfinden und Produkte zu entwickeln. Steve Jobs sei ein weiteres gutes Beispiel: Er ging nicht zur Uni und machte einfach, was seine große Leidenschaft war. Und diese Kultur und Besessenheit, so die US-Amerikanerin, sei bei Apple bis heute so geblieben. "Wenn du wirklich besessen bist, ist das ein guter Ort für dich. Niemand wird dich aufhalten." (pg)