Hybride (IT-)Szenarien

Silicon Valley - Kopieren ist keine Lösung

Kommentar  10.03.2017
Von 
Jürgen Böhm ist Vorstand der 7BC AG und zuständig für den Bereich Cloud & Digital Transformation.
Schauen wir vielleicht in die falsche Richtung, wenn wir nur dieses eine Tal kopieren wollen?

In den nächsten zwei Wochen tagt der Volkskongress in China zum Fünfjahresplan. Peking, aber auch viele andere Städte Nordchinas, kämpfen immer wieder mit gefährlichen Feinstaubwerten von teils über 250 Mikrogramm pro Kubikmeter. Durchschnittlich 2,5 Mikrogramm pro Kubikmeter sind laut WHO akzeptabel. „Was würde also passieren, wenn die Zulassung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ab 2018 in China verboten würde?“ Diese Frage wurde bei einer Salesforce-Veranstaltung im Mercedes-Benz Museum Ende letzten Jahres gestellt. Da sich die Diskutanten der Abschluss-Podiumsdiskussion so überschwänglich als Fast Follower des Silicon Valley dargestellt hatten, wurden diese durch die folgende Frage völlig aus dem Konzept gebracht: „Schauen wir (vielleicht) in die falsche Richtung, wenn wir nur dieses eine Tal kopieren wollen?“ Keiner der Diskutanten wollte nun das angebotene Mikrofon mehr übernehmen. Mit der Sprachlosigkeit der Teilnehmer fand die Podiumsdiskussion dann ein natürliches Ende.

Silicon Valley - Ein Blick in die falsche Richtung?
Silicon Valley - Ein Blick in die falsche Richtung?
Foto: Pincasso - shutterstock.com

Unvorbereitet auf die Digitale Transformation der Gesellschaft?

Die Digitale Transformation wurde schon lange als vierte industrielle Revolution ausgerufen. Das Elektroauto wird als Auto der Zukunft proklamiert – selbstredend ist das Auto der Zukunft selbstfahrend. Dennoch setzt die Automobilindustrie auf Assistenz-Systeme, die einen (Selbst-) Fahrer unterstützen und auf den Hybrid-Antrieb, einer Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotor.

Und gerade jetzt zeigt der durch die Abgaskrise schwer gebeutelte VW-Konzern auf dem Genfer Autosalon, wie die Reise ins digitale Zeitalter aussehen soll. Mit dem selbstfahrenden Konzeptauto Sedric reiht sich VW in die Riege der Autobauer der Zukunft ein und verweist die Hybrid-Technologie, die gerne und noch lange als Übergangs-Szenario gehandelt wird, indirekt auf’s Abstellgleis.

Hybrid ist generell ein Übergangs-Szenario – auch in der IT

Hybrid-Systeme sind zu teuer, zu kompliziert und deshalb nur eine Übergangslösung, bis der innovative Teil der Hybrid-Lösung die Oberhand gewinnt. Keine Innovation hat je in einem Hybrid-Stadium geendet. Unternehmen, die zu lange und zu viel in Hybrid-Technologien investieren, verschwenden Geld. Auch die IT setzt auf Hybrid-Architekturen aus On-premise- und Public-Cloud-Infrastrukturen. Eine emotionsgeladene Diskussion über Sicherheitsaspekte setzt meist jede Logik außer Kraft. Es gibt drei Gründe (noch) nicht in die Public Cloud zu migrieren: Erstens, die aktuellen Gesetze erlauben dies nicht; zweitens, die notwendige Funktionalität ist in der Public Cloud (noch) nicht verfügbar; drittens, es steht keine hinreichende Konnektivität zur Verfügung. Für Industrie-4.0-Projekte kann dies auf einen Satz reduziert werden: Die Physik muss funktionieren!

Logik der Digitalen Transformation

Die Digitalisierung durchdringt die Unternehmen und über die Produkte und Dienstleistungen die Gesellschaft gleichermaßen stark. Trends, wie Cloud- und Mobile Computing, Big Data und Analytics fördern die Entwicklung neuer Produkte und Services – neue Märkte und Branchen entstehen. Diese Innovationen wurden aber erst durch folgende Basis-Technologien ermöglicht:

  • Internet – die Vernetzung von Daten, Systemen, Produkten, Maschinen und Menschen

  • Breitbandnetz – der schnelle Zugriff auf Computer-Ressourcen. Alles ist immer und überall verfügbar.

  • Virtualisierung – Befreiung der Computerleistung aus dem engen Blechmantel.

Computer-Leistung ist kopierbar, skalierbar, multiplizierbar und weltweit verfügbar. Firmen, die diese Basis-Innovationen und -Trends beherrschen und die notwendigen gesetzlichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen vorfinden, werden die Wirtschaft über Jahrzehnte maßgeblich beeinflussen und dominieren. Die Digitalisierung stellt sich so einfach und genial dar, wie ein neuer Kondratieff-Zyklus.

Kondratieff-Zyklen

Kondratieff-Zyklen sind 40 bis 60 Jahre andauernde Langwellen der Konjunktur, die einen Reorganisationsprozess der gesamten Gesellschaft hervorrufen. Ein Kondratieff-Zyklus ist durch gesamtwirtschaftliche Daten nachweisbar, zum Beispiel durch die amtliche Statistik der Konjunkturdaten.

Verschiedene Ebenen werden durch den Zyklus durchdrungen:

  1. Technologische Ebene: Ein Bündel von vernetzten Technologien bestimmt das Innovationsgeschehen über Jahrzehnte. Immer neue Produkte und Dienstleistungen werden entwickelt.

  1. Wirtschaftliche Ebene: Ein großer neuer Markt entsteht. Basis-Innovationen geben Innovationsimpulse. Hohe Wachstumsraten zeichnen sich über Jahrzehnte hinweg ab.

  1. Gesellschaftliche Ebene: Diffusion der Basis-Innovationen in die Gesellschaft, was zu weitreichenden Reorganisationen führt. (Leo A. Nefiodow, Der Sechste Kondratieff)

Die Digitalisierung erfüllt die Kriterien der Kondratieff-Zyklen. Dies hat zur Folge, dass sie uns als sechster Kondratieff-Zyklus (wie auch die Kondratieff-Zyklen 1 bis 5 zuvor) 30 bis 40 Jahre in Beschlag nehmen wird. Wir sollten uns darauf vorbereiten.

Der russische Wissenschaftler Nikolai D. Kondratieff (1892-1938) gilt als der Begründer der Theorie der langen Wellen. 1926 veröffentlichte er als Direktor des Moskauer Institutes für Konjunkturforschung seine Erkenntnisse. Kondratieff belegt darin, dass nicht Kriege oder Revolutionen, sondern die Dynamik der Marktwirtschaft die Ursache der langen Wellen ist.
Der russische Wissenschaftler Nikolai D. Kondratieff (1892-1938) gilt als der Begründer der Theorie der langen Wellen. 1926 veröffentlichte er als Direktor des Moskauer Institutes für Konjunkturforschung seine Erkenntnisse. Kondratieff belegt darin, dass nicht Kriege oder Revolutionen, sondern die Dynamik der Marktwirtschaft die Ursache der langen Wellen ist.
Foto: 7BC AG

Silicon Valley – ein Tal ist nicht genug!

Staaten, in denen die Digitalisierung sowohl Wirtschaft, als auch Gesellschaft radikal durchdringt, werden einen enormen Wachstumsschub und Vollbeschäftigung bekommen. Leider ist Deutschland immer noch zu sehr von der produzierenden Automobilindustrie abhängig, das heißt weite Teile von Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich noch im vierten Kondratieff-Zyklus. Aber auch die Erfinder der Digitalen Transformation aus dem Silicon Valley haben es nicht geschafft, die US-Wirtschaft und -Gesellschaft ins digitale Zeitalter zu katapultieren. Vielleicht geht es den großen Playern wie einst den Erfindern des Automobils: Der Durchbruch der Digitalisierung – wie auch der des Automobils – findet nicht in den Staaten statt, die diese Innovationen hervorgebracht haben. Vielleicht werden wir später erkennen: ein Tal war nicht genug! (fm)