Automatisierung managen

Schluss mit Bot-Experimenten!

Kommentar  08.05.2020
Von 
Andreas Lüth ist Partner bei Information Services Group Germany (ISG) und leitet das Automationsgeschäft von ISG in Europa. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf Strategie- und Transformationsprojekten in den Bereichen Shared Services, Robotic Process & Cognitive Automation sowie Outsourcing. Seit Ende der Neunziger Jahre hat er Branchenkenntnisse vor allem im Bankensektor der Energiewirtschaft, der IT und der Fertigungsindustrie erworben. Lüth ist Kenner der lateinamerikanischen Wirtschaft.
KI-gestützte Prozessautomatisierung bietet beeindruckende Entwicklungschancen. Doch viele Unternehmen verzetteln sich in Pilotprojekten, weil ein starkes Kompetenzzentrum und aktive Rückendeckung durch das Top-Management fehlen.
  • Prozessautomatisierung ist ein Vollzeit-Job
  • Fortgesetzter Know-how-Aufbau und nachhaltige Governance-Strukturen sind unabdingbar
  • Weiter fortgeschrittene Unternehmen arbeiten bereits an Ende-zu-Ende-Prozessen - das erfordert eine integrierte Automatisierungs-Plattform
  • Ende-zu-Ende-Automatisierungen sichern die Betriebskontinuität und erhöhen die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisensituationen

Um zu verstehen, was erfolgreiche Automatisierungs-Programme ausmacht, lohnt ein genauerer Blick auf die Ursachen, die vielerorts dafür sorgen, dass Lösungen nicht ausreichend skalieren können. Schwierigkeiten mit der Technik spielen so gut wie nie eine Rolle. Weitaus bedeutsamer ist die Frage, wie und wo ein Programm aufgehängt ist.

Unternehmen mit erfolgreichen Automatisierungsprogrammen weisen häufig ein zentrales Kompetenzzentrum und Unterstützung durch die Geschäftsleitung auf.
Unternehmen mit erfolgreichen Automatisierungsprogrammen weisen häufig ein zentrales Kompetenzzentrum und Unterstützung durch die Geschäftsleitung auf.
Foto: Suwin - shutterstock.com

Viele Unternehmen entscheiden sich für Strukturen, die nicht nachhaltig genug sind. Sie setzen auf dezentrale Teams in Prozessbereichen, von denen man annimmt, dass sich Automatisierungen dort besonders schnell auszahlen müssten. Im Prinzip ein legitimer Ansatz. Doch allzu oft liegt die Programmverantwortung dann in den Händen von Mitarbeitern, die schon genug andere Arbeit auf dem Tisch haben. Automatisierungslösungen mit eher begrenztem Scope sind dann die logische Konsequenz. Fast immer fehlt es an Ressourcen, um Anschlussprojekte aufzusetzen und das Thema in die Breite der Organisation zu tragen.

Zumal mit der Größe der Projekte oft auch die innerbetrieblichen Widerstände wachsen. So etwa, wenn es darum geht, sich mit den Fachbereichsmanagern auf einen Business Case zu einigen. Besonders schwierig wird dies, wenn das Management den Nutzen eines Automatisierungsprojekts zunächst einmal nur im Kontext seiner Kostenziele sieht. Im Zweifel greifen die Verantwortlichen dann eher zu vertrauten Mitteln, etwa zu Personalmaßnahmen.

Mehrwert für das Unternehmen klar darstellen

Diesen Zweifeln überzeugende Argumente entgegenzusetzen, erfordert ein hohes Maß an konzeptioneller Arbeit: Die Automatisierungsteams müssen präzise herausarbeiten, wo genau in der Ablauforganisation der angestrebte Produktivitätszuwachs erzielt werden kann. Schließlich führen Automatisierungen eher selten dazu, dass sich komplette FTEs einsparen lassen. Vielmehr läuft die Mehrzahl der Use Cases darauf hinaus, dass lediglich einzelne Aufgaben wegfallen. Wozu die Mitarbeiter die Teilentlastung dann nutzen werden und welcher Business-Mehrwert daraus entsteht, wird oftmals nicht klar genug.

Zudem haben Teile des mittleren Managements noch kein ausreichendes Verständnis dafür entwickelt, dass Kostendämpfung zwar ein wichtiges, keineswegs aber das einzige Nutzenthema ist. Allzu leicht wird dann übersehen, dass intelligente Automatisierungslösungen auch eine Fülle von klar wertschöpfungsbezogenen Vorteilen bringen. Dezentral aufgestellten Teilzeit-Automatisierern fehlt es an Wissen und oft genug auch am Standing, um das Business von Mehrwerten dieser Art zu überzeugen. Trotz einer Vielzahl von attraktiven Use Cases bleiben die Automatisierungspfeile dann ungenutzt im Köcher.

Vor diesem Hintergrund steht und fällt die Leistungskraft eines Automatisierungs-Programms mit dem Wissen und dem Durchsetzungsvermögen seiner Stakeholder. Unternehmen, deren Programme erfolgreich skalieren, weisen vor allem zwei Gemeinsamkeiten auf. Zum einen haben sie ein zentrales Kompetenzzentrum (Center of Excellence, CoE) eingesetzt, das unmittelbar im Business aufgehängt ist. Zum anderen haben sie erkannt, dass dieses CoE so nah wie möglich an der Geschäftsführung angesiedelt sein muss, von der es aktiv gefördert wird. Auf diese Weise wird das CoE zu einem ernst zu nehmenden Partner für das mittlere Management und die IT.

Die Verteilung von Automatisierungs-Aufgaben in einer RACI-Matrix
Die Verteilung von Automatisierungs-Aufgaben in einer RACI-Matrix
Foto: ISG

Anhand einer sogenannten RACI-Matrix ist verbindlich zu klären, welche Rollen das CoE, die IT und das Business zu übernehmen haben. Doch Vorsicht. Derzeit entschließen sich viele Unternehmen dazu, die Mehrzahl der erforderlichen Fähigkeiten intern aufzubauen. Die Beweggründe für diesen starken Insourcing-Trend sind vielfältig und können an dieser Stelle nicht näher diskutiert werden. Ungeachtet dessen wird jedoch klar, dass es bei einer ganzen Reihe von Rollen deutlich wirtschaftlicher ist, sie mit externen Kräften zu besetzen. Dies gilt vor allem für all jene Funktionen, bei denen überwiegend Commodity-Dienste gefragt sind, wie zum Beispiel bei Entwicklung und Wartung der Systeme. Demgegenüber zählen Business-nahe Funktionen wie die Weiterentwicklung der Automatisierungsstrategie, die Pflege des Governance-Frameworks oder das Scouting von automatisierbaren Prozessen zum Kerngeschäft des CoE.

Das CoE muss aktiv auf die Fachbereiche zugehen und diese darüber aufklären, wie genau die Automatisierungen dazu beitragen, dass die Bereiche ihre jeweiligen Business-Ziele erreichen. Das Thema Kostenreduktion dient vielerorts als Türöffner. Prozessbezogene Mehrwerte müssen jedoch ebenso Teil der Nutzenaufklärung sein. Zu den wichtigsten Vorteilen zählen größere Kundenzufriedenheit, kürzere Durchlaufzeiten, höherwertige Arbeitsplätze und höhere Prozessqualität sowie zusätzliche Freiräume für das Innovationsmanagement und mehr Zeit für Geschäftsvorfälle, die von den Standards abweichen.

Um diese Mehrwerte in der Praxis zu erschließen, muss das CoE auch dann noch am Ball bleiben, wenn die Bots ihre Arbeit längst aufgenommen haben. Dies hängt mit dem bereits erwähnten Umstand zusammen, dass man in der Regel nur einzelne Aufgaben und beinahe nie komplette Prozesse automatisieren kann. Daher ist es essenziell, den Aufgabenzuschnitt der Arbeitsplätze neu auszulegen. Im Rahmen dieser Aufgabe ist verbindlich zu klären, worauf die Mitarbeiter die Prozesszeiten verwenden sollen, die im Zuge der Automa­tisierung eingespart werden. Ohne diesen aktiv gemanagten Transformationsprozess besteht ein erhebliches Risiko, dass mögliche Mehrwerte ungenutzt bleiben und die Automatisierung letztlich nur einen weiteren Kostenblock darstellt.

Höhere Krisenresilienz mit Ende-zu-Ende-Automatisierungen

So viel zu den organisatorischen Themen. Ohne Zweifel bilden sie die zentrale Voraussetzung, um ausreichend skalieren zu können. Zudem gibt es aber auch eine Reihe von technischen Herausforderungen, für die das CoE Antworten braucht. So etwa, wenn es darum geht, die Wartbarkeit der Automatisierungslösungen im Auge zu behalten. Kritisch wird es vor allem dann, wenn sich die IT-Systeme verändern, auf die eine Bot-Maschinerie zugreift. Damit die Lösung auch weiterhin die gewünschten Ergebnisse liefert, bietet es sich an, ein zentrales Repository aufzusetzen, in dem jedwede Datenabfrage in einer einzigen zulässigen Ausprägung ausdefiniert wird. Wenn sich auf der Ebene der IT-Systeme dann etwas ändert, wird dies im Repository nachgezogen, woraufhin alle Teillösungen, die die betreffende Abfrage nutzen, das Delta automatisch mitbekommen.

Denkt man das Integrationsthema weiter, kommt man schnell zu dem Punkt, wo es um das intensivere Zusammenspiel der Enterprise IT mit intelligenten Automatisierungstechnologien wie etwa KI geht. Erste Unternehmen nehmen sich dieser Herausforderung bereits an und bauen eine sogenannte Integrated Automation Platform. Da es hierzu noch keine Komplettangebote im Markt gibt, muss man sich die passenden Technologien derzeit noch in Eigenregie zusammenstellen. Gleichwohl sind alle erforderlichen Tools bereits vor­handen, vorzugsweise als Cloud-Angebote. Werden sie auf einer durchgängi­gen Plattform zusammengeführt, erschließen sich die Unternehmen die Mittel, um die Reichweite ihrer Automatisierungsvorhaben noch einmal deutlich zu erhöhen: Indem sie die Stärken ihrer vorhandenen IT mit intelligenten Auto­matisierungslösungen verbinden, entstehen fortgesetzt neue Use Cases, um Ende-zu-Ende-Prozesse entlang der gesamten Customer Journey zu schaffen.

Nicht zuletzt verbessert sich damit auch die Ausgangslage, um Krisensituationen erfolgreicher zu bewältigen. Denn sobald geschäftskritische Prozesse die Wertschöpfungskette vollautomatisiert durchlaufen können, machen sich Unternehmen unabhängig davon, ob die zuständigen Mitarbeiter gerade im Büro oder im Homeoffice sind. Das Einhalten von Social-Distancing-Vorgaben ist fortan kein Thema mehr. Zudem sorgen die Kostenvorteile der Automatisierungen dafür, dass staatliche Leistungen wie etwa Kurzarbeitergeld oder Überbrückungskredite wesentlich seltener in Anspruch genommen werden müssen.

Mit steigendem Digitalisierungsgrad wachsen die Optionen der Unternehmen, ihren Geschäftsbetrieb aus eigener Kraft aufrechtzuerhalten. Zudem gehören sie zu den ersten im Markt, die die Nachfrage mit neuen Angeboten wiederbeleben können. Vor diesem Hintergrund wird auch aus strategischer Sicht deutlich, wie wichtig es für Unternehmen ist, ihr Automatisierungs-CoE mit ausreichendem Know-how, einer starker Governance und einer leistungsstarken Integrationsplattform auszustatten. (mb)