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Scheer ist raus aus dem Gläubigerschutz und konsolidiert sich

18.03.2015
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
So will August-Wilhelm Scheer sein Lebenswerk in eine erfolgreiche Zukunft retten: Die IDS Scheer Consulting GmbH und die Scheer Management GmbH sollen bis Ende April zur Scheer GmbH verschmelzen und „Prozesse aus der Steckdose“ anbieten.

Vor knapp sechs Jahren glaubte Scheer, Gründer des Prozessmodellierungsspezialisten IDS Scheer, "eine Lebensphase abgeschlossen" zu haben: Ein Vierteljahrhundert lang hatte er das Unternehmen geleitet, das aus seiner Forschungsarbeit an der Universität Saarbrücken entstanden war und mit "Aris" die marktführende Prozessmodellierungssoftware auf den Markt gebracht hatte.

August-Wilhelm Scheer will sein Lebenswerk in eine erfolgreiche Zukunft retten.
August-Wilhelm Scheer will sein Lebenswerk in eine erfolgreiche Zukunft retten.
Foto: Scheer Group GmbH

2008 hatte sich die Gewinnsituation jedoch dramatisch verschlechtert, und Scheer signalisierte die Bereitschaft zum Verkauf des Unternehmens. Den Zuschlag bekam die Software AG, obwohl es laut Scheer eine Reihe anderer Interessenten - zumeist aus dem Ausland - gab: "Ich wollte eine deutsche Option. Als BITKOM-Präsident hatte ich mich immer für den Standort Deutschland stark gemacht. Da wäre es schon komisch gewesen, das von mir gegründete Unternehmen ins Ausland zu verkaufen."

Einmal Software AG und zurück

Im Sommer 2009 übernahm die Software AG das Produkt Aris und das Beratungsgeschäft der IDS Scheer AG mitsamt etwa 3000 Mitarbeitern. Der Kaufpreis für das Unternehmen, das damals 400 Millionen Euro im Jahr umsetzte, lag bei 500 Millionen Euro.

Nach wie vor ist die Software AG Eigentümerin der Aris-Software, die sie weiterentwickelt und mittlerweile auch aus der Cloud anbietet. Mit dem Beratungsgeschäft konnte sie offenbar nicht so viel anfangen, denn ziemlich genau fünf Jahre nach der Übernahme verkaufte sie es wieder. Die beiden rechtlichen Einheiten, die Österreich und den Raum Deutschland/Schweiz bedienen, sicherte sich Scheer.

Die 500 verbliebenen Mitarbeiter wechselten ebenfalls. Allerdings hat sich Scheer inzwischen von einem Fünftel der Belegschaft getrennt. Eine der Sanierungsmaßnahmen, die er für notwendig hielt, um die deutsch-schweizerische Einheit wieder in die Gewinnzone zu bringen. Im Zuge der Schrumpfung hätten sich einige Positionen von selbst überflüssig gemacht, erläutert er.

Die Sanierung geschah unter dem hierzulande noch wenig genutzten Gläubigerschutz "Erleichterung der Sanierung von Unternehmen", kurz ESUG. Ende September 2014 stellte Scheer den Antrag auf das deutsche Chapter-11-Pendant.

"Das ist ein geregeltes Verfahren für im Kern erhaltenswerte Unternehmen", führt der Informatikprofessor und Unternehmensgründer aus: "Der Unterschied zur Insolvenz besteht darin, dass die Geschäftsführung dieselbe bleibt." Sie bekomme allerdings einen Rechtsanwalt als Chief Restructuring Officer zur Seite gestellt. Am 3. März dieses Jahres wurde die Akte wieder geschlossen. IDS Scheer Consulting gilt als saniert; der Eingliederung in die Scheer Group steht nun nichts mehr im Weg.

Prozesse aus der Steckdose

Zu dieser Unternehmensgruppe zählt eine Handvoll jüngerer Unternehmen, die sich unter anderem mit E-Learning (IMC) undmit der Entwicklung von Integrationsplattformen (E2E) beschäftigen. Außerdem hat Scheer nach dem Verkauf von IDS Scheer die Scheer Management GmbH gegründet, deren rund 130 Mitarbeiter sich auf Strategieberatung spezialisiert haben. Sie soll nun mit den von der Software AG zurückerworbenen Beratern zur Scheer GmbH fusionieren.

In dem Rückabwicklungs-Deal mit der Software AG enthalten sind auch die SAP-Implementierungsgruppe, die Aris-Berater sowie ein Rechenzentrum in Freiburg. Auf diese Weise sieht sich Scheer in der Lage, ein Komplettangebot zu offerieren: von der Strategieberatung über Prozessberatung und -implementierung sowie Integration bis zu Managed Services und Hosting. Quasi Geschäftsprozesse aus der Steckdose.

Oder auch Smart Services, um mal wieder ein CeBIT-Buzzword zu strapazieren. Denn die Dienstleistungen, die Scheer anbietet, basieren auch oder vor allem auf Aris: "Man muss nicht ein Produkt besitzen, um damit Services anzubieten."

Erweiterung Richtung Mobility

In diesem Jahr plant Scheer einen Umsatz von 70 Millionen Euro ein - mit rund 500 Mitarbeitern. Der Industrie-4.0-Trend komme ihm dabei entgegen: "Wir können auf unserer Kernkompetenz aufbauen; wir wissen, wie Industrieunternehmen funktionieren." Seine Truppe wolle den Kunden auch dabei helfen, ein Geschäftsmodell zu finden, das sich lohne.

Mit der Software AG unterhalte er gute partnerschaftliche Beziehungen, beteuert Scheer. Dank der offenen Schnittstelle könne sein Team auch an der Weiterentwicklung von Aris mitarbeiten. Beispielsweise habe es eine Weiterentwicklung in Richtung Mobility geschaffen.

Aus Scheers Sicht war es auch kein Fehler, sein Unternehmen an die Software AG zu verkaufen: "Nur weil man sich scheiden lässt, heißt das doch nicht, dass man nicht hätte heiraten sollen. Damals war das genau die richtige Entscheidung." Genauso richtig sei es jetzt aber, das Beratungsgeschäft zurückzunehmen - "auch wenn die vergangen fünf Monate nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig waren".