Rund 150 junge Forscher werden künftig für die SAP in Potsdam nach neuen Anwendungen, Lösungen und Geschäftsmodellen suchen. Sie dürfen das unabhängig von den vorhandenen Entwicklungslabors etwa in Walldorf und den weltweit verteilten App-Houses tun, denn sie sollen sich frei von Produktzwängen und Anforderungen der Bestandskunden Gedanken um neue Software und Hardware machen. Ihre Ideen werden sie zunächst als Prototypen umsetzen, um sie später bei Interesse aus Wirtschaft, Forschung oder öffentlicher Hand zu praxistauglichen Angeboten weiter zu entwickeln.
Man sprich Englisch: Forscher aus 20 Ländern und 18 Fachrichtungen
Damit das gelingt, hat SAP das nun eröffnete Innovation Center in Potsdam im Stile eines Startup-Büros mit offenen Räumen und Kicker-Tischen gestaltet. Zur Auftaktveranstaltung präsentierten die zurzeit 110 Festangestellte und 28 Studenten ihre ersten Forschungsprojekte. Dazu zählen unter anderem die Bilderkennung zur Auswertung von überfluteten Landschaften für die Versicherungswirtschaft, die Analyse strukturierter und unstrukturierter Daten für die Krebsforschung sowie die weltweite Vermittlung von Reisenden, die unterwegs auch unterrichten möchten. Die Forscher müssen ihre Ideen und Vorhaben gegenüber ihren Vorgesetzten verkaufen, um die notwendigen Ressourcen zu bekommen. Später sollten sie die Lösungen - bei erkennbarem Interesse von Kunden - auch zur Marktreife bringen.
- Eröffnungsrede:
Hasso Plattner, SAP-Gründer und Vorsitzender des Aufsichtsrats, mahnte anlässlich der Eröffnung des Innovation Centers mehr Bereitschaft zum Wandel innerhalb der SAP an: „Wir müssen uns bewegen, sonst werden wir scheitern.“ Insbesondere in der User-Interaktion forderte er schnelles Handeln, um die Benutzerschnittstelle aus den 90iger Jahren zügig durch eine moderne GUI zu ersetzen. - Hasso Plattner, SAP:
Den Startups, die im Rahmen einer HANA-Partner-Initiative von SAP gefördert werden, riet er: „Haltet euch vom Tanker fern.“ - Bill McDermott:
Der CEO von SAP möchte die Vorbehalte deutscher und europäischer Kunden, Partner und Mitarbeiter zerstreuen, der Konzern werde unter seiner Leitung zu sehr amerikanisiert: „Ich bin ein Heidelberger“, sagte er in Anspielung auf seinen bevorstehenden Umzug nach Deutschland. - Vishal Sikka:
Der SAP-Vorstand für Produkte und Innovationen sagte: „Wir stehen vor der Herausforderung, SAP zu erneuern und in kleinen Schritten Verbesserungen herbeizuführen.“ - Jürgen Müller:
Jürgen Müller, einer der beiden Institutsleiter des SAP Innovation Center, begründet den Standort Potsdam mit der Nähe zu Universitäten und Forschungseinrichtungen und regen Startup-Szene in Berlin. - Jens Krüger:
Jens Krüger, zweiter Institutsleiter, wurde wie viele andere Mitarbeiter am Innovation Center am Hasso Plattner Institut (HPI) ausgebildet, das ebenfalls in Potsdam ansässig ist. - Das SAP Innovation Center:
Das Gebäude soll vor allem offen und transparent sein. Es liegt in einem neuen Gewerbegebiet am Rande des Jungfernsees.
SAP versucht so, die Startup-Gedanken in dem Innovation Center zu verankern. Dabei soll auch die betont transparente Bauweise etwas beitragen, die die Kommunikation, den Gedankenaustausch, die Zusammenarbeit und das Sinnieren über neue Ideen fördern soll. Die Atmosphäre ist offen, international und interdisziplinär. Die Forscher stammen aus über 20 Ländern und 18 verschiedenen Fachrichtungen.
Das Hasso Plattner Institut (HPI) ist in der Nähe
Der Standort Potsdam ist kein Zufall. Zwar betonte die versammelte Führungsmannschaft von SAP, man werbe mit dem Neubau in idyllischer Lage um den akademischen Top-Nachwuchs in der gesamten Region Berlin-Brandenburg und verwies zudem mehrfach auf die rege Startup-Szene in Berlin, deren Nähe man ebenfalls suche. Doch ausschlaggebend für das Potsdam-Votum dürfte letztlich Hasso Plattner, Gründer und Aufsichsrats-Chef und ständiger Antreiber von SAP, gewesen sein. Er hat mit dem ebenfalls in Potsdam ansässigen Hasso Plattner Institut (HPI) eine der wichtigsten akademischen Talentschmieden für die Softwareentwicklung in Deutschland gegründet und dort mit den Forschungen zum in-Memory-Computing die Grundlage für SAPs neuen HANA-Geschäftszweig gelegt. Viele Mitarbeiter im SAP Innovation Center wurden im HPI ausgebildet, darunter die beiden Leiter der Institution Jürgen Müller und Jens Krüger.
Zur Eröffnung kam die oberste Führungsmannschaft nach Potsdam, neben Plattner waren Bill McDermott, demnächst alleiniger CEO bei SAP, sowie Vishal Sikka, im weltweiten SAP-Vorstand verantwortlich für Produkte und Innovationen, vor Ort. Das Stelldichein der starken Männer von SAP belegt eindrücklich, wie bedeutend es für den Softwarekonzern geworden ist, abseits des Alltags neue Weg zu finden und einzuschlagen, seit dem klassischen Geschäft mit Business-Applikationen die Wachstumsphantasien ausgegangenen sind.
SAPs Hausaufgaben: User Experience und ein zeitgemäßes User Interface
SAP muss sich in diesem Segment - ebenso wie die meisten Wettbewerber - den Vorwurf gefallen lassen, den Anschluss an aktuelle Trends verschlafen zu haben. Das betrifft zum einen das Cloud-Geschäft, das mit einer teuren Übernahme von Successfactors belebt werden soll, zum anderen die Nutzerschnittstelle mit ihrer überholten Anmutung: "SAPs Schwäche liegt in der User-Interaction", kritisierte Plattner. "Die Leute wollen heute nicht mehr arbeiten, wie vor zwanzig Jahren, als SAP das heutige User-Interface entwickelt hat." Die Vorbilder in der Kunden-Interaktion liefern heute Firmen wie Facebook, Apple und Youtube und ganz besonders Google als "Master of simple Design", betonte der SAP-Gründer.
Die aktuellen Bestrebungen der SAP-Entwickler, die vorhandene Schnittstelle aufzuhübschen, finden in Plattners Augen keine Gnade. Sie machten viele Dinge schlimmer: "Lipstick on a pig", schimpfte der Manager. In einem Jahr so forderte Plattner, müsse SAP es schaffen, eine neue GUI vorzuweisen.
Erfolge der Vergangenheit führen zu Stillstand in der Gegenwart
Seine Eröffnungsrede machte deutlich, dass ihm viele Entwicklungen der vergangenen Jahre bei SAP missfallen. Falsch sei es gewesen, die Softwareentwicklung wie eine Fabrik zu organisieren, in der vordefinierte Prozesse abgearbeitet werden: "Softwareentwickler ticken anders", findet Plattner. Die sehr erfolgreichen 90iger Jahre hätten zudem für einen erheblichen Funktionszuwachs in den ERP-Lösungen geführt und damit die Basis für die Marktführerschaft geschaffen. Darüber habe man aber die Wünsche der User aus den Augen verloren. Weil Portfolio und Organisation zu mächtig wurden, habe man Kraftakt gescheut, etwas Wesentliches zu ändern.
Um den Kontrast zwischen den Fehler der Vergangenheit (an denen er zum Teil mitgewirkt hat) und den aktuellen Bemühungen um Aufbruchstimmung zu veranschaulich, verwies Plattner auf das 1992 bezogene SAP-Headquarter in Walldorf namens Entwicklungs- und Vertriebszentrum (EVZ): "Wie kann man ein solches Gebäude freudig erregt betreten?", fragte Plattner.
Plattner ist der Mentor für Brüche im SAP-Trott und für die Techniker und Entwickler im SAP-Konzern. Er macht sich für eine grundlegende Neuorientierung in der Softwareentwicklung stark, ausgehen vom Design Thinking, das den Bedarf der Nutzer an den Anfang aller Entwicklungsprojekte stellt.
McDermott wirbt um neue Ideen
Dem von ihm erzeugten Veränderungsdruck muss vor allem der aktuelle CEO McDermott standhalten. "Wir stehen vor sehr großen Herausforderungen, sind aber schon weit vorangeschritten, sie zu beheben", warb der Top-Manager für seinen Weg. Er verwies zudem auf weitere Aktivitäten, die neue Ideen in den Konzern holen. Das könne etwa über Venture-Capital geschehen, um junge, brillante Köpfe an das Unternehmen zu binden oder über das Onboarding an den weltweiten Top-Universitäten.
In diesen Maßnahmenkatalog fügt sich auch das Innovation Center ein. Völlig losgelöst von den Zwängen des SAP-Geschäfts dürfen die Forscher dort allerdings auch nicht arbeiten. Vordenker und Innovations-Chef Sikka schrieb den beiden Institutsleitern zwei Schwerpunktthemen ins Aufgabenheft: User Interaction und Health Care.
Die Projekte im Gesundheitswesen basieren wie die meisten Prototypen, die im Innovation Center schon entstanden sind und noch entstehen werden, auf der in-Memory-Datenbank HANA. Der in diese Richtung gelenkte Forscherdrang soll Anwendungsfelder für die schnelle Datenbanktechnik liefern, damit sich das hoffnungsbeladene aber derzeit noch kleine Geschäftssegment zügig zum wichtigen SAP-Standbein entwickeln kann. Derzeit krankt das HANA-Angebot noch an überzeugenden Anwendungsszenarien. Hier sollen unter anderem die Forscher Abhilfe schaffen.
Die SAP-Manager sind zuversichtlich, die richtigen Rahmenbedingungen dafür geschaffen zu haben und liebäugeln mit weiteren Zentren etwa in Kalifornien und Asien. Auch Plattner ist zufrieden: "Die Leute hier sind etwas glücklicher als anderswo bei der SAP. Es gibt so etwas, wie ein Karma hier."
• Leiter: Jürgen Müller und Jens Krüger • Gegründet: Februar 2011 • Bau: Oktober 2011 bis September 2013 • Bezug: Ende September 2013 • Offizielle Eröffnung: 12. Februar 2014 • Bürofläche: knapp 4900 Quadratmeter • Kosten: 17,3 Millionen Euro • Mitarbeiter: Aktuell 110 Festangestellte und 28 Studenten aus 20 Ländern • Erweiterung: Der Bau eines zweiten Gebäudes ist in Planung |