Viel Tinte ist vergossen worden über die Risiken von Lieferketten in Zeiten der Pandemie. Leere Regale, in denen sonst Konsumgüter auf ihre Käufer warteten, sind allen noch gut im Gedächtnis. Aber auch Ereignisse wie die Havarie des Frachters Ever Given im Suezkanal, dem Nadelöhr der Weltwirtschaft, zeigten uns die Anfälligkeit unserer globalen Supply Chains. So brauchte der Welthandel über zwölf Wochen, um sich von dem Zwischenfall zu erholen.
Bessere Prognosen für bessere Planbarkeit
Deshalb sind Planbarkeit und Transparenz in der Logistik essenziell. Wann kommt eine Lieferung genau an, kommt sie zu früh oder verspätet sie sich? Diese Information wird immer wichtiger. Wenn Teile, beispielsweise aus Fernost, nicht rechtzeitig ihr Ziel erreichen, können ganze Produktionsstraßen stillstehen oder Produkte nicht nach Kundenwünschen gebaut werden.
Verspätungen sind zudem vor Ort spürbar: Mitarbeiter warten untätig an der Laderampe, Plätze sind bereits belegt, obwohl kein Lkw da ist, und Lkw haben oft lange Stand- und Wartezeiten. Gleichzeitig werden bei Verspätungen oft beträchtliche Strafzahlungen fällig. Fehlende Transparenz entlang der Lieferkette ist also nicht nur unpraktisch, sie ist auch teuer.
Mehr Transparenz ergibt sich durch das Wissen, wann eine Lieferung wo eintreffen wird. Logistiker sprechen von der Estimated Time of Arrival (ETA), also der voraussichtlichen Ankunftszeit einer Lieferung. Wenn Empfänger einer Sendung sehen, wann eine Lieferung ankommt, ob und wie sie sich verspäten wird, können sie reagieren und umdisponieren. Eine solche aktualisierte ETA sollte daher im Idealfall bis zu 24 Stunden vor der ursprünglich terminierten Lieferung eintreffen.
Je genauer eine solche Prognose ist, desto besser ist sie. Das Szenario ist aus der B2C-Welt schon lange bekannt: Kunden sehen sehr genau, wo sich die Lieferung ihrer Online-Bestellung befindet und wann sie ankommen soll. Die Herausforderung liegt darin, dies auf den B2B-Kontext zu übertragen, mit eigenen Anforderungen an Aktualität, Genauigkeit und Verlässlichkeit. Diese schwierige Aufgabe erfordert viele verschiedene Daten und Algorithmen zur Verarbeitung, um in Echtzeit eine Prognose abzugeben, wann der Lkw oder die Schiffslieferung eintreffen.
Prozessautomatisierung dank präziser ETAs
Für eine exakte Prognose sind bis zu 400 verschiedene Datenpunkte notwendig. Diese kommen zum einen aus den Transport-Managementsystemen der einzelnen Verlader und von Lkw-Telematiken. Verkehrs- und Wetterdaten sowie weitere historische Daten spielen ebenfalls eine Rolle. Damit hält ein klassischer Machine-Learning-Anwendungsfall in der Logistik Einzug: scheinbar zusammenhanglose Daten sammeln, aggregieren und in einen Zusammenhang bringen, um daraus eine verlässliche und reproduzierbare Erkenntnis zu ziehen und eine Prognose abzuleiten - schnell und emotionslos.
Die daraus entstehenden ETA-Prognosen in Echtzeit sind viel genauer, als sie ein Mensch zu treffen vermag. Ein Mensch kann vielleicht grob abschätzen, wann eine verspätete Lieferung ungefähr ankommen wird, aber wenn es um komplexe datenbasierte Prognosen geht, ist die Maschine dem Menschen überlegen.
Logistik als Teil der Produktion
Auf der Meta-Ebene helfen hochpräzise ETAs, Prozesse zu automatisieren. Damit wird die Logistik ein Teil der vernetzten Produktion. Die Logistik bindet an Yard-Management-Systeme, an die Produktionssteuerung und das Warehouse-Management-System an. Die Vernetzung der Logistik im Allgemeinen und die Vernetzung zwischen Produktion und Logistik im Speziellen wird oft als Logistik 4.0 bezeichnet, in Anlehnung an Industrie 4.0. Betrachtet man Industrie 4.0 als die Wegbereiterin zur wirtschaftlichen Herstellung von individualisierten Produkten, so ist die vernetzte Logistik dabei ein Schlüsselbaustein.
Die Automatisierung von Prozessen an der Schnittstelle von Produktion und Logistik ermöglicht beispielsweise, die Produktionsplanung spontan anzupassen, wenn eine Lieferung nicht rechtzeitig da ist. Die Information, wann der verspätete Lkw eintrifft und wann seine Ladung am Band zur Verfügung steht, erleichtert diese Planung. Im Idealfall führt diese Planbarkeit dazu, dass Bänder nicht stillstehen und hilft, dass Produktions- und Prozesskosten unter Kontrolle bleiben.
Wie Cloud-Plattformen Real-Time-Visibility ermöglichen
Ein anschauliches Beispiel liefert die Automobilproduktion. Bekanntlich wird hier Just-in-Time und Just-in-Sequence produziert. Bei bis zu 30.000 Teilen, die in einem Fahrzeug verbaut werden, sind die Lieferketten hier besonders komplex. Eine verspätete Lieferung kann das fragile Just-in-Sequence-Gebilde schnell zum Einsturz bringen. Weiß die Produktion jedoch, wie sich eine Lieferung verspäten wird, lässt sich die Sequenz umstellen und es kann ohne Unterbrechung weiter produziert werden.
Für die Integration einer Lösung zur Real-Time-Visibility von Lieferketten, die exakte ETAs abbildet, bietet sich eine Cloud-Plattform an. Mit offenen APIs ausgestattet, stellt die Integration in andere Systeme, wie ein WMS, ein TMS oder ein YMS keinen großen Aufwand mehr dar. Eine Cloud-Plattform für Supply-Chain-Transparenz kann nicht nur an andere Cloud-Plattformen anbinden, sondern auch an on-premises-Lösungen. Sollten diese ihr End-of-Life erreicht haben und durch eine Cloud-Lösung ersetzt werden, ist der initiale Integrationsaufwand überschaubar. Wer eine transparente Lieferkette haben möchte, setzt also auf die Cloud und macht somit seine Logistik zukunftssicher und stellt das Zusammenspiel zwischen Produktion und Logistik auf ein langlebiges Fundament.
Resilienz durch Transparenz
Transparenz über die eigene Supply Chain ist also die Basis für eine erhöhte Resilienz. Das Wissen über die Pünktlichkeit einer Lieferung erlaubt es, den Personaleinsatz intelligent zu planen, Produktionsprozesse spontan anzupassen und letztlich Prozesskosten zu optimieren. Im Umkehrschluss bedeutet das: Mangelnde Transparenz ist ein Risiko für produzierende Unternehmen, was auch die Unternehmensberatung McKinsey bestätigt. Logistik 4.0, die Vernetzung von Produktion und Logistik benötigt ein hohes Maß an Transparenz und Verlässlichkeit. Wenn dies gegeben ist, profitieren Unternehmen von schlankeren Prozessen, niedrigeren Betriebskosten und erhöhter Kundenzufriedenheit.