"Corona war ein deutlicher Beschleuniger für die Einführung von digitalen Arbeitsstrukturen, und die positive Einstellung von Arbeitgebern bezüglich Home-Office hält auch jetzt nach Abflachen der Pandemie weiter an", beobachtet Thomas Biber, Geschäftsführer der auf SAP spezialisierten Personalberatung Biber & Associates. "Für 80 bis 90 Prozent der SAP-Anwenderunternehmen ist Remote-Work nun als Hybrid-Lösung mit einem 40- bis 60-prozentigen Home-Office-Anteil fester Bestandteil ihrer Rekrutierungsstrategie.
Für zehn bis 20 Prozent der Arbeitgeber kommt laut Bibers Erfahrung mittlerweile sogar eine nahezu vollständige Remote-Lösung in Frage, bei der die Fachkraft nur noch einmal pro Woche oder sogar nur einmal im Monat physisch vor Ort erscheinen muss. Nur für einen geringen Prozentsatz von SAP-Anwenderunternehmen sei Home-Office noch immer überhaupt keine Option.
Enorme Reisetätigkeit ist passé
Auch in SAP-Consultinghäusern gibt es große Veränderung in puncto Remote-Work: "War es vor drei Jahren noch absoluter Standard, dass von Beratern eine enorm hohe Reisetätigkeit gefordert wurde, hat sich dies mittlerweile komplett gedreht", so Biber. "Waren zuvor bei einem Projekt vier bis fünf Tage Präsenz beim Kunden vor Ort normal, sind jetzt vier bis fünf Tage Home-Office oft üblich geworden. Auch viele Projektkunden sind dankbar, wenn sie externen Beratern seltener physische Arbeitsplätze zur Verfügung stellen zu müssen."
Bei SAP-Anwenderunternehmen wie auch in Consultinghäusern haben zudem digitale Kollaborationstools wie Teams und Slack nun großflächig Einzug gehalten. "Hier bleiben Fachkräfte miteinander während der Arbeit im Home-Office in Kontakt. Darüber hinaus werden diese Tools nun auch standardmäßig bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter genutzt", erläutert Biber. "80 bis 90 Prozent der Arbeitgeber setzen mittlerweile bei Erst-Interviews im Bewerbungsverfahren auf diese Werkzeuge. Für Bewerber wie Unternehmen vereinfacht dies eine Terminfindung enorm, da sich Fachkräfte für ein Bewerbungsgespräch nicht mehr extra beim aktuellen Arbeitgeber freinehmen müssen."
Für Arbeitgeber liegen die Vorteile auf der Hand: Da sie nicht mehr nur an ihrem eigenen Standort nach Mitarbeitern suchen, sondern dank Remote-Work deutschlandweit oder gegebenenfalls auch grenzübergreifend, vergrößert sich die Auswahl an qualifizierten Fachkräften erheblich. Zudem profitieren sie durch Einsparungen bei der Büroinfrastruktur - und im Falle von SAP-Consultinghäusern, deren Projekte bei Unternehmen in ganz Deutschland stattfinden, auch durch hohe Einsparungen bei den Reisekosten.
Fachkräfte profitieren von einer noch größeren Stellenauswahl und zudem von einer hohen Zeitersparnis, die sie früher unbezahlt aufgrund hoher Reisetätigkeit aufwenden mussten. Zudem kommt es trotz Anstieg des Home-Office-Anteils, der früher in Vertragsverhandlungen als nicht-monetärer Benefit galt, zu keinerlei Gehaltseinbußen. Im Gegenteil: Fachkräfte können auch außerhalb der großen Ballungsräume ihren Lebensmittelpunkt einrichten, bei geringeren Lebenserhaltungskosten und mit hoher Flexibilität bezüglich des Wunschwohnorts, etwa mit mehr Nähe zur Natur.
Raus aus dem Ballungsraum
"So haben wir kürzlich eine erfahrene Fachkraft als Projektleitung im Bereich Supply Chain Management bei einem Unternehmen in Nürnberg vermittelt, die ihren Lebensmittelpunkt im ländlichen Raum in Rheinland-Pfalz hat", erzählt Biber aus seiner Praxis. "Die nachhaltige Aufgeschlossenheit von Arbeitgebern zu mehr Home-Office ist insbesondere für Fachkräfte mit Familie sehr attraktiv, da sie enorm zur Work-Life-Balance beiträgt, die traditionell in der IT-Beratung früher wenig im Fokus stand."
Arbeitsmarkt bleibt weiterhin angespannt, aber ...
Nach der kurzen Zurückhaltung zu Beginn der Pandemie zeige sich mittlerweile wieder ein großer Projektbedarf bei Unternehmen, sagt Biber. Als Gründe hierfür sieht er unter anderem auch geopolitische Veränderungen, die zu Verschiebungen in Lieferketten und Verlagerungen von Produktionsstandorten führten. "Diese Veränderungen müssen natürlich auch in den Software-Systemen der Unternehmen abgebildet werden. Auch die Umbrüche in der Arbeitswelt durch Home-Office benötigen die Anpassung von HR-Systemen", weiß Biber.
... Wechselwilligkeit ist gering
Im Kontrast zur großen Nachfrage steht eine aktuell geringe Wechselwilligkeit bei Fachkräften: "Unsicherheiten durch den Gaspreisschock und der immer noch nicht ganz überwundenen Corona-Krise führen dazu, dass Berater weniger dazu bereit sind, ihre derzeitige Arbeitsstelle zu kündigen und sich neu zu orientieren", führt Biber aus. "Darüber hinaus gibt es auch weniger jüngere Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt. Dieser fehlende Nachwuchs ist einerseits auf den demographischen Wandel zurückzuführen. Zudem ist auch das Thema SAP bei jungen Talenten nicht mehr ganz so gefragt wie früher."
Da Fachkräfte händeringend gesucht werden, bewegen sich die Gehälter gerade für SAP-Profis weiterhin auf hohem Niveau. Einsteiger können bereits mit Gehältern von 40.000 bis 50.000 Euro rechnen. Nach drei Jahren geht es steil bergauf mit einer Vergütung von bis über 80.000 Euro. Nach fünf bis sieben Jahren können erfahrene SAP-Beraterinnen und -Berater 90.000 bis 100.000 Euro verdienen, beispielsweise mit komplexen Themen wie Supply-Chain-Management oder Payroll. Auch starke Entwicklerinnen und Entwickler liegen nach drei Jahren bereits bei über 80.000 Euro und können nach fünf bis sieben Jahren mit einem Gehalt von bis zu 100.000 Euro rechnen.
Weniger Altersdiskriminierung
Neben dem starken Trend hin zum Home-Office, zeigt sich eine weitere Veränderung in der Rekrutierungsstrategie von Unternehmen: "Die Altersdiskriminierung hat massiv abgenommen", erklärt Biber. "War es vor 15 Jahren noch ein Problem, eine erfahrene Fachkraft über 50 zu vermitteln, bekommen heutzutage SAP-Profis zwischen Ende 50 und Anfang 60 problemlos eine neue Stelle. Hier zeigt sich eine sehr positive Entwicklung."
Um den Fachkräftemangel weiter zu bekämpfen, wird der nächste Schritt laut Biber ein Umdenken in Unternehmen hinsichtlich der Einstellung internationaler Fachkräfte sein: "Aktuell ist die Bereitschaft bei Unternehmen, rein englischsprachige Fachkräfte einzustellen, noch sehr gering", berichtet Biber. "Doch in Anbetracht des Fachkräftemangels wird dies der logische nächste Schritt sein, nachdem Arbeitgeber bereits hinsichtlich älterer Fachkräfte sowie Remote-Arbeitsmodellen erkannt haben, dass dies nachhaltige Mittel sind, ihre Personallücken mit qualifizierten Mitarbeitern zu schließen."