Dropbox berichtet

Remote Work - und sonst gar nix

28.07.2022
Von 


Charlotte Trueman schreibt für unsere US-Schwesterpublikation Computerworld. Sie beschäftigt sich unter anderem mit den Themenbereichen Collaboration und Nachhaltigkeit.
Fast zwei Jahre, nachdem Dropbox - mitten in der Pandemie - ankündigte, seine Büros für immer zu schließen, erklärt Andy Wilson, Director of Product, die Beweggründe und berichtet über die Erfahrungen.
Dropbox schafft mit seinem Cloud-Speicher- und File-Sharing-Dienst die Voraussetzungen für virtuelle Zusammenarbeit. Kein Wunder, dass das Unternehmen in der Pandemie entschieden hat, selbt voranzugehen.
Dropbox schafft mit seinem Cloud-Speicher- und File-Sharing-Dienst die Voraussetzungen für virtuelle Zusammenarbeit. Kein Wunder, dass das Unternehmen in der Pandemie entschieden hat, selbt voranzugehen.
Foto: Nopparat Khokthong - shutterstock.com

Dropbox kündigte am 13. Oktober 2020 an, ab sofort ein "Virtual-First-Unternehmen" zu sein. In einer Erklärung des Unternehmens hieß es: "Remote-Arbeit (außerhalb eines Firmenbüros) wird die primäre Erfahrung für alle Mitarbeitenden und der tägliche Standard für die individuelle Arbeit sein." Die Firmenbüros wurden geschlossen, statt dessen eröffnete Dropbox sogenannte Studios zum Zweck der Zusammenarbeit und des Community Buildings. Sich dorthin zurückzuziehen, um alleine zu arbeiten, war den Beschäftigten allerdings untersagt. Andy Wilson, Director of Product bei Dropbox, berichtet über die Erfahrungen und die Lektionen, die Dropbox gelernt hat.

Warum hat sich Dropbox dazu entschlossen, ein reines Remote-Unternehmen zu werden, und wie sind Sie bei der Entwicklung Ihrer "Virtual-First"-Strategie vorgegangen?

Andy Wilson: Wir sind ein Unternehmen, das Produkte herstellt, mit denen Menschen über Distanzen zusammenarbeiten. Deshalb haben wir schon früh entschieden, dass wir uns an diesem Anspruch messen lassen und Remote Work einführen wollen - auch um zu lernen, wie das mit unseren eigenen Teams funktioniert, bevor wir unsere Produkte in die Welt entlassen.

Wir haben die Strategie Virtual First genannt, das war ein sehr durchdachter Prozess. Wir sprachen mit anderen Unternehmen, die schon vor der Pandemie in einem virtuellen Verbund arbeiteten, und fragten sie, was für sie erfolgskritisch und was herausfordernd war und welche Prozesse sie eingeführt haben. Auf der Grundlage dieser Gespräche begannen wir, unsere neue Unternehmensstrategie zu entwickeln.

Remote Work heißt nicht, dass wir uns nie treffen. Wir haben unsere Büros durch offene Studios ersetzt, damit die Kollegen dort mit ihren Teams zusammenarbeiten können. Dabei war uns aber wichtig, dass die Mitarbeiter jetzt nicht fünf Tage in der Woche im Studio statt im Firmenbüro arbeiten. Wir wollen auch nicht, dass sie sagen: 'Ich bin ab jetzt jede Woche montags und dienstags im Studio statt im Büro'. Wir wollten den Ansatz der Fernarbeit wirklich leben und verstehen, was es bedeutet, wenn die Mitarbeiter arbeiten können, wo sie es wollen.

Weltweite Neueinstellungen machten Hybrid Work unmöglich

Warum haben Sie sich nicht für ein Hybridmodell mit einer Kombination aus Firmenbüro und Home-Office entschieden?

Wilson: Während des Entwicklungsprozesses haben wir verschiedene Arbeitsmodelle abgewogen. Letztendlich fiel die Entscheidung gegen einen hybriden Ansatz, weil wir der Meinung waren, dass dies nach der Pandemie nicht für all unsere Mitarbeiter fair wäre. Wir hatten ja schon damit begonnen, unseren Einstellungspool geografisch auszuweiten und wollten uns nicht durch einen Standort einschränken lassen.

Wie hat sich Ihre Strategie weiterentwickelt, als sich die Welt allmählich von der Pandemie erholte?

Wilson: Hinter Virtual First steht eine Reihe von Grundsätzen, die unser Denken über die Zukunft der Arbeit bestimmen. Einer davon lautet "Asynchron by Default". Gemeint ist, dass Menschen, die aus der Ferne arbeiten, nicht acht Stunden pro Tag mit Videoanrufen verbringen sollten. Stattdessen werden die Beschäftigten bei Dropbox an ihrer Leistung und ihrer Wirksamkeit gemessen, nicht daran, an wie vielen Meetings sie teilnehmen.

Über Meetings haben wir genau nachgedacht und schließlich die "Core Collaboration Hours" eingeführt. Sie sehen vor, dass die Mitarbeitenden maximal vier Stunden am Tag für Meetings reservieren, also für ihr Team oder andere Personen im Unternehmen erreichbar sind. In der anderen Zeit konzentrieren sie sich ganz auf ihre Arbeit.

Da wir über verschiedene Zeitzonen hinweg zusammenarbeiten, muss jede Einzelperson seine Zeit selbst verwalten. Wir messen die Menschen an ihrer Wirkung und dem Output, den Sie erzielen. Zeit ist eine kostbare Ressource, und wir wollen, dass unsere Mitarbeiter lernen, sie mehr zu schätzen und optimal zu nutzen. Ebenso wichtig ist es uns als Unternehmen, die Arbeit menschlich zu gestalten. Wir wollen unsere Strategie optimal umsetzen, aber wir müssen dabei schrittweise vorgehen und immer wieder nachjustieren, um die Dinge auf Kurs zu halten. Wir lernen immer noch dazu.

Große Zustimmung unter den Dropbox-Beschäftigten

Wie haben die Dropbox-Mitarbeiter die Entscheidung, vollständig auf Remote Work umzustellen, aufgenommen?

Wilson: Bevor wir es bekanntgaben, hatten wir einige Umfragen im Unternehmen durchgeführt und festgestellt, dass ungefähr Dreiviertel unserer Leute teilweise oder größtenteils aus der Ferne arbeiten wollten. Nach etwa sechs Monaten Fernarbeit haben wir sie erneut befragt und festgestellt, dass sie die gewonnene Flexibilität sehr schätzen. Wir wiederholten die Umfrage Ende 2021 noch einmal und stellten fest, dass 63 Prozent Asynchron by Default und über 80 Prozent die Core Collaboration Hours angenommen hatten.

Was wirklich interessant ist: 72 Prozent der Befragten gaben an, sich durch die Änderungen produktiver zu fühlen. Und ebenso viele meinten, dass sie eine bessere Work-Life-Balance hätten und ihre Arbeit nun als humaner empfänden. Wir wollen erreichen, dass unsere Mitarbeiter ein echtes Leben haben, flexibel sind und doch voll die Verantwortung für ihre Arbeitsergebnisse übernehmen. Wir haben sie auf der gesamten Reise immer wieder gefragt, ob das die Art und Weise ist, wie sie arbeiten wollen.

Andy Wilson von Dropbox beschreibt die virtuelle Arbeitswelt beim Filesharing-Unternehmen.
Andy Wilson von Dropbox beschreibt die virtuelle Arbeitswelt beim Filesharing-Unternehmen.
Foto: Dropbox

Welche Herausforderungen sind Ihnen seit der Einführung Ihres virtuellen Arbeitsmodells begegnet?

Wilson: Als wir mit Virtual First im Oktober 2020 starteten, befanden wir uns alle noch in einer von der Pandemie geprägten Welt, so dass die Umstellung zu diesem Zeitpunkt nicht besonders groß war. Die meisten Mitarbeiter waren im Lockdown und arbeiteten ohnehin von zu Hause. Deshalb war die Umsetzung der Strategie viel einfacher, als es sonst der Fall gewesen wäre.

Insofern würde ich nicht sagen, dass es besondere Herausforderungen gab. Aber wir mussten unsere Denkweise über viele Dinge ändern, die wir früher für selbstverständlich hielten. Zum Beispiel muss man beim Anheuern neuer Mitarbeiter anders denken, denn plötzlich konnten wir auf der ganzen Welt Talente einstellen. Ich habe allein in den letzten sechs Monaten fünf Mitarbeiter angeheuert, die an ganz unterschiedlichen Orten rund um den Globus sitzen. Am Anfang musste ich ein wenig umdenken, aber letztendlich ist nun klar, dass wir uns aus einem viel größeren Talentpool bedienen können.

Wir haben Schulungen durchgeführt, um den Managern dabei zu helfen, Talente in aller Welt einzustellen, Remote-Teams zu bilden und all die neuen Mitarbeiter dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten und persönliche Bindungen einzugehen. Das ist remote natürlich eine ganz andere Erfahrung, als wenn Sie es persönlich tun. Wir haben auch Workshops abgehalten, in denen wir darüber gesprochen haben, wie virtuelles Brainstorming funktioniert, wie man seine Zeit optimal einteilt, wie Projektmanagement funktioniert und sich die Kernzeiten der Zusammenarbeit so einrichten lassen, dass alle davon profitieren.

Unsere Studios sind auch eine echte Chance für Dropbox, sie öffnen das nächste Kapitel in unserer neuen Form der Zusammenarbeit. Wo immer es möglich ist, wollen wir unsere Teams mindestens einmal im Quartal in unseren Studio-Räumen zusammenbringen, um Ideen zu entwickeln und persönliches Kennenlernen zu ermöglichen. Es geht keineswegs darum, diese Räumlichkeiten für klassische Meetings zu nutzen. Das ist uns sehr wichtig, deshalb haben unsere Studios auch keine Schreibtische. Sie sind da, um Menschen zusammenzubringen, kreativ zu sein und Dinge voranzutreiben.

Im Urlaub gibt es auf Wunsch die totale Entspannung

Was sind die größten Vorteile von Virtual First?

Wilson: Der Ansatz erlaubt es uns, zur eigentlichen Mission unseres Unternehmens zurückzukehren, die darin besteht, eine bessere, aufgeklärtere Arbeitswelt zu schaffen. Außerdem werden wir tagtäglich mit der ganzen Wahrheit unserer Produkte konfrontiert: Wir können prüfen und gegebenenfalls beweisen, dass sie funktionieren und unsere Strategie voll unterstützen. Unsere Mitarbeiter fühlen sich produktiver und haben eine bessere Work-Life-Balance, weil sie ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen und so gestalten, wie es für sie am besten ist.

Eine weitere wichtige Maßnahme, die wir ergriffen haben, ist ein besserer Schutz der Freizeit unserer Mitarbeiter. Dazu haben wir die "Unplugged Paid Time Off" eingeführt. Hintergrund ist, dass wir alle permanent digital kommunizieren und es manchmal schwierig ist, Arbeit und Freizeit voneinander zu trennen. E-Mails kann man schließlich auch nach Feierabend lesen. Wenn Mitarbeitende bei uns ihren Urlaub anmelden, kreuzen Sie einfach ein Kästchen an, in dem steht: 'Ich möchte unplugged sein'. Wenn der Urlaub beginnt, schalten wir dann die Benachrichtigungen ab und trennen alle Konten, bis sie zurückkommen.

Wir versuchen also wirklich, den Aspekt des Wohlbefindens zu berücksichtigen. Eine der größten Herausforderungen bei Remote Work ist es dafür zu sorgen, dass die Leute richtig abschalten können. Wir stellen sicher, dass alle unsere Beschäftigten eine bessere Mitarbeitererfahrung haben - und im Ergebnis freuen wir uns mittlerweile über einen 1,7-fachen Anstieg der Bewerbungen.

Der persönliche Austausch ist auch virtuell möglich

Was sind die wichtigsten Lehren, die Dropbox aus dieser Umstellung gezogen hat?

Wilson: Zunächst mal zeigt sich, dass großartige Talente wirklich von überall her kommen. Man muss sich aber anstrengen, sie zu finden und eine Arbeitswelt schaffen, die alle anspricht und einbindet. Wenn Ihr Team fünf Tage in der Woche von neun bis 17 Uhr im Büro sitzt und Sie jemanden aus einer anderen Zeitzone und einem anderen Land dazu holen, wie wollen Sie dann dafür sorgen, dass sich diese Person als geschätztes und gleichberechtigtes Mitglied des Teams fühlt?

Der zweite Punkt ist, dass man die persönlichen Beziehungen der Mitarbeiter im Auge haben muss. Kommt ein Team am Montag aus dem Wochenende zurück in ein klassisches Büro, werden wohl alle erstmal darüber reden, wie das Wochenende war und was sie erlebt haben. In einer Remote-Work-Welt dürfen sie diesen wichtigen persönlichen Austausch nicht aus den Augen verlieren. Das lässt sich auch virtuell umsetzen: Wir haben zum Beispiel regelmäßige Kaffeegespräche, und bei meinen wöchentlichen Teambesprechungen wird jeder nach einem Ereignis gefragt, das in seinem Leben außerhalb der Arbeit passiert ist.

Der dritte Punkt ist die Abschaffung unnötiger Meetings. Als wir die ersten virtuellen Konferenzen einführten, gab es den einen Moment, in dem wir alle auf unsere Kalender schauten und dachten: 'Welche Meetings stehen da drin, die nicht sein müssten?' Wir haben uns dann genau angesehen, wann ein Meeting nötig ist und wo eine asynchrone Aktualisierung ausreicht. Das sind die Lektionen, die ich gelernt habe, und ich glaube, dass virtuelles Arbeiten eine riesige Chance für jeden ist, der großartige Talente einstellen, eine bessere Work-Life-Balance haben und seine Mitarbeiter produktiver machen will. (hv)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.