CIO Andreas König sucht Innovationen

ProSiebenSat.1 unterstützt Startups

04.06.2014
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Der TV-Sender ProSiebenSat.1 kauft sich in Startups ein. CIO Andreas König stellt die Basis für das Innovations-Management bereit - mit mobiler IT, Collaboration und Klebeband.

Zwei Minuten im Büro von Andreas König, und es wird einem übel. Alles dreht sich, vor einem klafft ein bodenloser Abgrund, von hinten rast eine Steinkugel heran. Irgendwo lodern plötzlich Flammen auf. "Und?", grinst König. Der CIO der ProSiebenSat.1 Media AG in München hat die rasante Achterbahnfahrt schon mehrfach hinter sich gebracht – ganz gemütlich am Bildschirm, eine neuartige Cyber-Brille vor dem Gesicht. Diese vermittelt dem Nutzer das Gefühl, mitten in einer Fantasy-Welt zu stehen. "Das ist zum Beispiel für den Gaming-Bereich interessant", sagt König. Solche und andere Innovationen probiert der CIO in seinem TekLab aus.

Andreas König, CIO bei ProSiebenSat1: "Noch vor wenigen Jahren waren wir ein reines TV-Haus, heute wachsen wir in neue Märkte hinein."
Andreas König, CIO bei ProSiebenSat1: "Noch vor wenigen Jahren waren wir ein reines TV-Haus, heute wachsen wir in neue Märkte hinein."
Foto: Joachim Wendler

Das Thema Innovation ist bei ProSiebenSat.1 kein Nice-to-have, sondern Kernbestandteil. "Noch vor wenigen Jahren waren wir ein reines TV-Haus", sagt König, "heute wachsen wir in neue Märkte hinein." Im ProSiebenSat.1-Sprech steht am Ziel dieser Entwicklung ein Broadcasting Digital Entertainment and Commerce Powerhouse. Grob gesagt geht es um die Verlängerung der TV-Inhalte. Der CIO beschreibt das Finden, Entwickeln und Umsetzen neuer Ideen als Mannschaftssport. Über seine Rolle dabei sagt er: "Ich muss durch mobile IT, Collaboration und Vernetzung die Basis bereitstellen." Erfolgreiche Innovation braucht für ihn vor allem eines: Struktur.

Accelerator-Programm für Startups

Diese Struktur zeigt sich bei ProSiebenSat.1 in Schlagwörtern wie Learning Expeditions und Accelerator. Hinter dem Accelerator-Programm steht ein Innovationswettbewerb, an dem kreative Startups teilnehmen können. Wer sich durchsetzt, bekommt Förderung in Form von Coaching und Mentoring, Bürofläche, Funding, Marketing-Unterstützung und Networking durch das Medienunternehmen. Zweimal pro Jahr startet das international ausgerichtete Programm. Derzeit läuft die dritte Auflage. Rund 300 Startups haben ihre Ideen eingeschickt. Die Bewerbungen kommen unter anderem aus der Ukraine, Israel und Nigeria. Dabei reicht der Investmentfokus von ProSiebenSat.1 etwa von einem Online-Shop für Brillenverglasungen bis zu einem Entwicklerteam für digitale Talent-Management-Lösungen.

Dieses Programm kam im Reisegepäck einer der Learning Expeditions ins Unternehmen. Diese besondere Form des Betriebsausflugs hat die Human-Resources-Abteilung des Unternehmens initiiert, das Team der lernenden Reisenden ist interdisziplinär besetzt und umfasst unter anderem auch Mitarbeiter von König. Die Mediengruppe schickt die Leute ins Silicon Valley oder nach Shanghai, in Hacker-Garagen und in Universitäten.

Der Accelerator konzentriert sich auf Firmen aus den Bereichen E-Commerce, Unterhaltung und Werbung. Diese stecken typischerweise fast noch in der Gründerphase und suchen einen Partner für den Markteintritt. Hier liegt der Unterschied zu Seven Ventures, der hauseigenen Corporate-Venture-Capital-Einheit, die sich an etablierte Firmen mit dem Wunsch nach Cross-Media-Unterstützung richtet. Wird etwa eine Online-Plattform aus dem Accelerator-Programm aufgebaut, muss König sicherstellen, dass Infrastruktur und Systeme der Start-ups den Zulauf verkraften, wenn ProSiebenSat.1 deren Angebote bewirbt. "Es geht nicht an, dass die URL zusammenbricht, wenn wir zur Prime Time einen Spot geschaltet haben", sagt der CIO.

Im Gegenzug für die Förderung kauft sich das Medienunternehmen in die Firmen ein oder übernimmt sie komplett. Jens Pippig, Leiter des ProSiebenSat.1-Accelerators, arbeitet eng mit König zusammen. Nach Pippig dürfen zehn bis 20 Prozent der Innovationen floppen. Als Spielerei aber sieht er das Programm nicht. Die Learning Expeditions ebenso wenig. Kommen die Teams von der Reise zurück, haben sie zwei Wochen Zeit, aus einer vagen Idee einen konkreten Plan zu entwickeln. Dabei können sie nicht nur auf Pizza und Redbull, sondern auch auf standardisierte Tools und Prozesse zurückgreifen - Struktur eben.

Eine Fernsehrolle für kreative Mitarbeiter

Den nicht strukturierbaren Teil von Innovationsfähigkeit, etwa Begeisterung und Eifer, produziert ProSiebenSat.1 anders. Ein interner Wettbewerb, der "Allstars Award", belohnt Kreativität - mit Preisen, die sich keiner kaufen kann. So dürfen die Gewinner beispielsweise eine Statistenrolle in ihrer Lieblingsserie übernehmen.

Weil Kreativität nicht immer nur von neun bis fünf am Schreibtisch stattfindet, konzentriert sich König seit etwa drei Jahren stark auf Mobile Working. Den Mitarbeitern des Senders stellt er verschiedenste Gerätetypen bereit. Im firmeneigenen Device-Center können die Kollegen alles ausprobieren. Bei der Einrichtung dieses Centers hat der CIO nicht nur auf Funktionalität geachtet, sondern auch auf die Anmutung der Räume. "Es sieht aus wie ein Showroom", sagt König. Dieser Showroom liegt praktischerweise auf dem Weg zur Kantine. Positiver Nebeneffekt: Der Trend zu Bring Your Own Device (BYOD) spielt bei ProSiebenSat.1 kaum eine Rolle.

Königs Aufgabenfeld ist weit: Enterprise und Unternehmens-IT, SAP und Operations-IT zählen ebenso dazu wie die Produktions-IT, also der Bereich, der TV-Sendungen herstellt. Ein Spagat zwischen alten Fernseh-Hasen einerseits und Digital Natives andererseits. König weiß das zu schätzen. "Die alten Analog-Leute sind extrem pragmatische Problemlöser", grinst er. "Die können notfalls schnell was zusammenlöten. Klebeband haben sie auch immer griffbereit." Mit dieser Sicherheit im Rücken traut er sich denn auch in jede Cyber-Achterbahn.

Diese Ideen und Startups fördert ProSiebenSat1:

Kinematics: Robotik für Kinder

Spielzeug Roboter, Ameise, Kinderspielzeug
Spielzeug Roboter, Ameise, Kinderspielzeug
Foto: Kinematics

Roboter für alle verspricht das Berliner Start-up Kinematics. Nach dem Motto "Zusammenstecken und spielen" könne jedes Kind ab etwa fünf Jahren seinen eigenen Roboter bauen. Kinematics bietet ein modulares Robotik-Baukastensystem aus aktiven Bewegungsmodulen und passiven Bausteinen. Das "ermöglicht Kindern, ohne komplizierte Bauanleitungen bewegungsfähige interaktive Roboter zu bauen, und führt sie spielerisch an Themen wie Robotik und erneuerbare Energien heran", so Initiator Leonhard Oschütz. Durch eine Construct-and-Play-Funktion können während des Bauens Änderungen vorgenommen und der Roboter durch systematisches Ausprobieren weiterentwickelt werden. "Die Notwendigkeit eines Computers zur Programmierung entfällt somit", erklärt Oschütz.

"Tvib" synchronisiert Werbung

Fernsehzuschauer nutzen parallel auch das Internet. Das Berliner Startup Storyfeed synchronisiert mit "Tvib" Werbeaktivitäten auf beiden Medien. "So können die TV-Werbewirkung optimal ausgenutzt und die Marke online weitergeführt werden: Immer wenn im Fernsehen beispielsweise ein Mode-Label einen Spot schaltet, bewirbt zeitgleich ein Online-Banner den Webshop des Labels", verspricht das Start-up. Seine Technologie könne die Werbewirkung von Kampagnen messen und präzise auswerten, wie viele User aufgrund welchen TV-Spots auf welchem Sender den Online-Shop oder die Website besucht haben.

Talentry für besseres Recruiting

Das Münchner Team von Talentry bietet eine Web-basierte Social-Recruiting-Software, die - so verspricht das Startup - schneller und günstiger Mitarbeiter findet als konventionelle Wege. "Herkömmliche Recruiting-Kanäle wie Online-Stellenbörsen und Headhunter entsprechen immer weniger dem Puls der Zeit", behauptet jedenfalls Michael Blazek, Gründer und Geschäftsführer des jungen Unternehmens. Die Software unterstütze Unternehmen beim Aufbau eines individuell anpassbaren Karriereportals und stärke so die Marke als Arbeitgeber. Die ProSiebenSat.1 Media AG arbeitet mittlerweile selbst mit Talentry.

Eyeglass24 ersetzt Optiker

Die Brille passt noch, aber die Gläser sind zerkratzt. Dass das nicht unbedingt den Gang zum Optiker bedeuten muss, ist die Idee hinter Eyeglass24. Das Münchner Startup versteht sich als Online-Spezialist für Neu- oder Wiederverglasungen alter Brillenfassungen. Kunden können ihre bisherige Brille samt Brillenpass einschicken oder abholen lassen. Binnen Wochenfrist kann sich der Kunde seine Sehhilfe wieder auf die Nase setzen. Weil der Zwischenschritt stationärer Optiker wegfällt, seien die Gläser für den Kunden deutlich günstiger, so Eyeglass24. Das Unternehmen verspricht den Kunden ein 100-Tage-Rückgaberecht.

Finaki bringt Erfinder und CIOs zusammen

Der Veranstalter Finaki bringt am 3. Juli in München Erfinder und CIOs zusammen. Beim "Innovation Summit" vernetzen sich Anwender- und Anbieterseite. Eine Jury aus CIOs und Forschern sucht dafür kreative Ideen und zeichnet diese mit dem "IT-Innovation Award" aus.

Die Gewinner präsentieren ihre Innovationen außerdem auf der CIO-Tagung INKOP2014, die vom 9. bis zum 12. Oktober in Lissabon stattfinden wird. Bis zum 16. Mai können kreative Köpfe ihre Ideen einreichen. Weitere Informationen unter:www.finaki.de