Wie ein Militärseelsorger digitale Medien einsetzt

Pragmatisches eGovernment - Telearbeit mal anders

10.07.2015
Von   
Dirk Stähler befasst sich seit vielen Jahren mit der innovativen Gestaltung von Organisationen, Prozessen und IT-Systemen.
Internationale Mobilität ist nicht nur in privatwirtschaftlichen Unternehmen gefragt. Auch staatliche Organisationen senden Menschen ins Ausland. Dort können sie dann allerdings auf große technologische Herausforderungen stoßen.

Die Bundeswehr zählt in Deutschland zu den öffentlichen Arbeitgebern mit großem Kontingent an Expatriates. Alleine im Jahr 2015 sind über 2600 Soldaten und Soldatinnen in einem Auslandseinsatz in Krisengebieten tätig. Was viele nicht wissen: darüber hinaus sind etwa 2000 Soldaten weltweit mit ihren Familienangehörigen im Rahmen der Bundeswehr tätig. Das erfordert neben dem Aufbau militärischer Strukturen auch die zivile und seelsorgerische Betreuung der Soldaten und ihrer Angehörigen. Eine Betreuung, die für Pfarrer Uwe Becker - einziger Militärpfarrer im Norden der USA und Südkanada mit Sitz in Washington DC - eine Herausforderungen darstellt.

Pfarrer Becker an seinem Arbeitsplatz n Washington DC.
Pfarrer Becker an seinem Arbeitsplatz n Washington DC.
Foto: Dirk Stähler

Wie wird zum Beispiel ein ganz Nordamerika übergreifender Konfirmationsunterricht durchgeführt? Pfarrer Becker hat eine für den deutschen Steuerzahler kostengünstige Lösung gefunden. Eine Lösung, die pragmatisch das von der Bundesregierung propagierte eGovernment umsetzt: Konfirmationsunterricht über Skype.

Pfarrer Becker erläutert warum sein Angebot in dieser schwierigen Gemeindestruktur überhaupt erforderlich ist: "Ein Hauptargument ist für mich das Alter der Konfirmanden. Wenn Soldaten und ihre Familien nach Amerika umziehen, ist der Dienstauftrag meistens auf drei Jahre ausgelegt. Ist ein evangelischer Jugendlicher 12 Jahre alt, dann kehrt er mit 15 Jahren wieder nach Deutschland zurück. Würde er erst dann in den Konfirmandenunterricht gehen, wäre er 16 Jahre alt. Der Altersunterschied zu den regulären 13 jährigen Konfirmanden führt häufig dazu, dass sich die Jugendlichen dann entscheiden, gar nicht am Konfirmandenunterricht teilzunehmen. Deshalb hat der Unterricht im Ausland eine besondere Notwendigkeit."

Alle unter einem Hut

Aber Pfarrer Becker stand vor einer logistischen Herausforderung. Wie gelingt es einem einzelnen Menschen einen ganzen Kontinent mit Unterricht zu versorgen, erfordert doch alleine der Flug von der Ost- zur Westküste schnell mehr 6 Stunden Reisezeit? Das gelang nur mit Hilfe digitaler Medien.

"Voraussetzung für mich war ausreichend Unterrichtseinheiten mit einem persönlichen Kennenlernen, gemeinsamem Lernen und Gottesdienstfeiern zu verbinden. Somit konzipierte ich eine entsprechende Einheitenzahl und ein Freizeitelement. Die Konfirmanden müssen zu Beginn für ein Wochenende nach Washington anreisen. Ein erstes persönliches Kennenlernen darf auch im digitalen Zeitalter nicht fehlen. Anschließend werden die Unterrichtseinheiten digital über Skype durchgeführt, inklusive eines Skype-Elternabends. Den Abschluss bildet ein gemeinsames Wochenende an dem alle Familien in Washington teilnehmen. Neben den medialen Erfordernissen wird von den Familien auch eine gewisse Mobilität erwartet. Das ist der Preis des Konzepts."

Um digitale Lehrangebote erfolgreich durchzuführen, müssen aber Rahmenbedingungen eingehalten werden. Pfarrer Becker erläutert, was das für seine Arbeit bedeutet: "Unterricht über eine so große Fläche verbindlich durchzuführen erfordert deutliche Absprachen. Ein Problem ist, dass jedes Jahr ein Wechsel in der Community der Soldaten stattfindet. Deshalb muss schnell Kontakt zu den neuen Familien aufgebaut, das Konzept erklärt und die technischen Voraussetzungen sichergestellt werden.

Dazu zählt nicht nur der Computer, sondern auch die kommunikative Erreichbarkeit falls Skype ausfällt oder Absprachen außerhalb des Netzes getroffen werden müssen. Ein weiteres Problem ist die Zahl der Konfirmanden. Es hat sich gezeigt, dass zehn Personen für eine Konferenzschaltung das obere Ende markieren. Die unterschiedliche Personenzahl macht die Wechselsituation deutlich und fordert eine Flexibilität des medialen Systems. Erschwerend kommt hinzu, dass die Konfirmanden in verschiedenen Zeitzonen leben und verschiedene Schulsysteme besuchen. Der Zeitraum ist daher auf den Abend gelegt, um einen gemeinsamen Termin für die Konferenz zu finden. Hinzu kommt, dass ich als Reisepfarrer selber viel unterwegs bin und auch auf Reisen erreichbar sein muss, damit nicht zu viel Zeit verloren geht."

Pfarrer Becker mit einer Gruppe seiner Konfirmanten bei einem persönlichen Treffen.
Pfarrer Becker mit einer Gruppe seiner Konfirmanten bei einem persönlichen Treffen.
Foto: Dirk Stähler

Auch Pfarrer Becker gewinnt durch die Nutzung digitaler Medien an Flexibilität. "Ein Highlight war ein Unterricht, den ich von Südamerika aus durchführte. Mich selber fasziniert es, welche Möglichkeiten mittlerweile medial verfügbar sind um neue Lösungswege zu gehen. Das frühere System, Unterlagen für den Konfirmandenunterricht zu versenden und schriftliche Ausarbeitungen zu fordern war zu aufwändig. Da ich aus der Jugendarbeit komme suchte ich nach einer Möglichkeit, die Jugendliche anspricht. Der Erfolg gibt mir rückblickend Recht. Man muss nur offen für Neues sein und Flexibilität an den Tag legen. Als glaubender Mensch bringe ich beides zumindest mit".

Skype ist kein billiger Ersatz für Präsenzunterricht. Er öffnet Perspektiven, die ein normaler Unterricht nicht direkt beinhaltet. Für Pfarrer Becker stellte sich heraus, dass die Einbindung des Internets in den Unterricht neue Horizonte eröffnet. Konfirmanden können schnell Aufgaben zur Recherche gegeben werden, zum Beispiel in welchen Staaten Amerikas die Todesstrafe noch gilt. Auch ist es egal, welche Wettervoraussetzungen gerade herrschen. Die Zimmer der Jugendlichen sind warm, trocken und hell und selbst mit weniger ernsthaften Erkrankungen kann weiter am Unterricht teilgenommen werden. Als schwierig stellt sich aber selbst in den USA die Stabilität des Netzes heraus. Klar ist auch, dass der Unterricht nicht die persönliche Begegnung ersetzen kann. Doch das Konzept, das beides verbindet, kommt bei den Konfirmanden sehr gut an.

Pläne und Wünsche

Pfarrer Becker ist aber noch nicht völlig zufrieden und arbeitet an der kontinuierlichen Verbesserung seines digitalen Angebotes. "Um den Unterricht weiter zu professionalisieren, wäre eine Ausweitung der Bandbreite an den einzelnen "Skype-Stationen" wünschenswert. Ein Konfirmand wurde vor kurzem von mir in Alabama in einem Gottesdienst getauft. Leider waren die technischen Voraussetzungen nicht vorhanden, dass die anderen per Konferenzschaltung zum Gottesdienst zugeschaltet werden konnten. Der Versuch scheiterte.

Auch der visuelle Teil sollte noch weiter ausgebaut werden. Für Konferenzen wäre zum Beispiel eine Tafel wünschenswert, auf der jeder sich beteiligen kann und das Bild für alle sichtbar bleibt. Es wäre toll, wenn jeder Konfirmand einen digitalen Stift hätte mit dem er an die Tafel schreiben kann. Weiterhin suche ich noch nach einer Lösung Unterrichtsmaterial kontinuierlich einzublenden. Und wenn noch ein zusätzlicher Audiokanal angeboten würde, wäre es perfekt. Vor kurzem haben wir online gesungen. Eine digitale Percussion hatte mir dabei gefehlt. Soweit ein paar Ideen zum Weiterdenken für die Entwickler von Skype."

Der gesellschaftliche und technologische Wandel hin zur Digitalisierung wird auch für die öffentliche Verwaltung immer wichtiger. Die digitale Modernisierung der öffentlichen Verwaltung soll helfen anstehende Aufgaben effizient und in hoher Qualität zu erfüllen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2013 eine digitale Agenda für Deutschland formuliert.

Mit seiner Idee zeigt Pfarrer Becker, dass nicht jedes Problem aufwändige und kostenintensive IT-Lösungen benötigt. Manchmal reichen kreative Ideen und die Nutzung kostenfreier Lösungen im Netz um öffentliche Aufgaben wahrzunehmen. An dieser Stelle muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass sensible und hoheitliche Aufgaben für diesen Ansatz nicht geeignet sind. Wo es sinnvoll ist, sollten die Verantwortlichen in staatliche Einrichtungen aber über schnell zu realisierende und kostengünstige Lösungen nachdenken. (bw)