Die soziale Verantwortung von Online-Werbung

Politisch korrekt, nachhaltig und transparent

Kommentar  29.09.2022
Von 
Christoph Berg ist Co-Gründer und Geschäftsführer der Strategie- und Technologieberater für datengetriebenes Marketing MINT Square.
Wir leben momentan in schwierigen Zeiten - es scheint, als jage eine Krise die nächste. Inmitten dieser Herausforderungen müssen sich auch Werbetreibende fragen, wie sie damit umgehen.
Von Werbetreibenden gern genutzt: Der Panda des WWF.
Von Werbetreibenden gern genutzt: Der Panda des WWF.
Foto: Piotr Swat - shutterstock.com

Darüber, dass Werbung eine soziale Verantwortung hat, sind sich die meisten Angehörigen der Branche einig. "Alle können und sollten verantwortungsvoll kommunizieren," sagt auch Michael Fritz, Konzeptions-Aktivist und Mitbegründer der Initiative Viva con Agua. "Ein Business ohne soziale Verantwortung macht heute einfach keinen Sinn mehr." Das haben viele Unternehmen bereits verstanden und versuchen, ihre (Werbe-)Botschaften dementsprechend zu präsentieren.

Marketing in Krisenzeiten

Insbesondere in Krisenzeiten setzen Marketingabteilungen oft auf soziale Verantwortung. In Werbekampagnen wird dabei zumeist auf Markenbotschaften verzichtet, stattdessen treten Zusammenhalt, Mitgefühl und Solidarität in den Vordergrund. Mit kreativen Mitteln und viel Empathie wollen Unternehmen ihren Kundinnen und Kunden in schwierigen Zeiten Mut machen – zumindest wirkt es auf den ersten Blick oft so.

Zu Hochzeiten der Corona-Pandemie trendeten die Hashtags #StayHome und #wirbleibenzuhause auf sämtlichen sozialen Kanälen, und wurden nicht selten auch von Unternehmen genutzt. Diese bedankten sich bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Gesundheitswesen und Versorgung, und sprachen den Menschen Mut zu. Sie appellierten an die soziale Verantwortung und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen.

Edeka und Penny produzierten beispielsweise gefühlsbetonte Werbespots, in denen sie sich bei ihren Angestellten und Zulieferern für deren starken täglichen Einsatz bedanken. "Gemeinsam packen wir das an. Wir und jetzt für alle!" lautet die optimistische Botschaft des Edeka-Spots. Der Getränkehersteller Fritz-Kola, der schon vor der Pandemie für soziales Engagement bekannt war, unterstützt mit den Aktionen "Tresenretter" und "Couch-Kulturrettung" die Club- und Gastronomiebranche, McDonalds unterstützt Tafeln mit Lebensmitteln und lässt die eigenen Angestellten – sofern diese nicht in den eigenen Filialen gebraucht werden – in Supermärkten Regale auffüllen.

Auch Nachhaltigkeits- und Klimaschutzthemen werden immer häufiger in Werbekampagnen aufgegriffen. Supermarktketten bewerben Produktlinien, die mit zahlreichen Gütesiegeln ausgezeichnet werden – sei es das Tierwohl-Label, die MSC- und FSC-Siegel (Marine/ Forest Stewardship Council) oder das Panda-Logo des WWF. Mindestens genauso oft werden auch nachhaltige Produktionstechniken zur Eigenwerbung genutzt – frei nach dem Motto "Tu Gutes und sprich darüber". Viele Werbetreibende sind sich ihrer Verantwortung demnach eindeutig bewusst und versuchen danach zu handeln – zumindest nach außen hin. Doch was steckt eigentlich hinter dem Buzzword „soziale Verantwortung“?

Lesetipp: Wie Ihre Firma soziale Verantwortung übernimmt

Die Grundregeln der kommerziellen Kommunikation

In Deutschland unterliegt Werbung gesetzlichen, sowie von der Wirtschaft freiwillig festgelegten Grenzen. Als Organ der freiwilligen Selbstkontrolle fungiert der Deutsche Werberat. Durch diese Kontrollen wird nicht nur das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Werbekommunikation gestärkt. Unternehmen zeigen auch gegenüber Gesellschaft und Politik, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind.

Werbekommunikation sollte die allgemein anerkannten Grundwerte der Gesellschaft und die dort vorherrschenden Moralvorstellungen beachten. Fairness im Wettbewerb und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft sollten dabei im Mittelpunkt stehen. So darf Werbung:

  • keinesfalls das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher missbrauchen oder mangelnde Erfahrung sowie Unwissen ausnutzen.

  • Kindern und Jugendlichen weder körperlichen noch seelischen Schaden zufügen.

  • keine Form der Diskriminierung fördern oder kommentarlos hinnehmen, die auf Rasse, Abstammung, Religion, Geschlecht, Alter, Behinderung oder sexuelle Orientierung bzw. die Reduzierung auf ein sexuelles Objekt abzielt.

  • kein gewalttätiges, aggressives oder unsoziales Verhalten fördern oder hinnehmen.

  • kein Unglück oder Leid instrumentalisieren oder Ängste schüren.

  • keine Verhaltensweisen anregen oder hinnehmen, die die Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher gefährden.

Da sich ständig neue Werbemöglichkeiten ergeben und sich Lebenssachverhalte sowie die gesellschaftliche Stimmung und Situation ständig verändern, ist es jedoch schwierig, allgemeingültige Verhaltenskodizes für Verstöße gegen diese Grundregeln zu entwickeln. Hier muss je nach Situation abgewägt werden. Bei der Beurteilung einer Werbemaßnahme berücksichtigt der Deutsche Werberat:

  • das Leitbild der durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucherinnen und Verbraucher, die den angesprochenen gesellschaftlichen Kreisen angehören.

  • die Tonalität und Themenvielfalt in den redaktionellen Teilen der Medien als Ausdruck gesellschaftlicher Realität.

  • den Charakter des Mediums, über das die Werbebotschaft verbreitet wurde.

  • die Situation, in der Zielgruppen mit der Werbung konfrontiert werden.

Die Grundregeln der kommerziellen Kommunikation sollten den meisten Werbetreibenden definitiv bekannt sein, und zumeist sollte auch einfach gesunder Menschenverstand zur Einhaltung derselben genügen. Doch die Realität sieht oft anders aus, und viel zu häufig werden monetäre Ziele in der Werbung über Ethik und Moral gestellt.

Vorsicht vor Green- und Social Washing

Unternehmen, die finanzielle Interessen hinter Nachhaltigkeit und sozialem Engagement verbergen, betreiben Green- bzw. Social Washing. Oft ist das allerdings nur schwer zu erkennen. "Wenn aber zum Beispiel die Marketing-Ausgaben höher sind als der angegebene Impact, dann sollte man schon mal stutzig werden.", findet Fritz. "Oder wenn zwar vereinzelt gute Projekte unterstützt werden, das Unternehmen an sich aber nicht nach sozial-ökologischen Kriterien handelt." Auch die Relation sollte man nach Meinung des Aktivisten im Auge behalten: Wenn ein großer Konzern ein einziges, kleines Projekt unterstützt, dann riecht das schon gewaltig nach Heuchelei. Dieser Meinung ist auch Vreni Frost, Moderatorin und Autorin, die sich stark für Themen wie Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Gesundheit einsetzt: "Es geht immer um einen ganzheitlichen Ansatz, man kann nicht nur in Teilen sozial, divers oder grün sein und das als Gesamtkonzept verkaufen."

"Grundsätzlich hat Kommunikation immer das Ziel, Produkte oder Marken zu verkaufen.", sagt Jule Fuhrmann, Copywriting Analyst bei Accenture Song. "Doch Brand Activism – also Markenkommunikation mit dem Ziel, gesellschaftlich etwas zu verändern – bietet die Möglichkeit, gleichzeitig sowohl in eine Marke als auch in ein gesellschaftlich relevantes Thema zu investieren. Jeder Cent, der in die Aufmerksamkeit für Themen fließt, die gesellschaftlich relevant sind, ist für mich erst einmal gut investiert. Trotzdem ist es wichtig, dass Marken sich genau Gedanken darüber machen, welche Themen zu ihnen passen und welche sie glaubwürdig repräsentieren können."

Lesetipp: Greenwashing, Preistrickserei & Co. - Verbraucherschützer mahnend Refurbished-Anbieter an

Das Gegenteil von Gut ist gut gemeint

Doch auch Unternehmen, die ihre Reichweite oft für die gute Sache nutzen, schießen mal übers Ziel hinaus. So sorgte beispielsweise eine Edeka-Werbung im Februar 2022 für Furore. Die Lebensmittelmarke, deren Unternehmensfarben die gleichen sind wie die der ukrainischen Flagge, nutzte im Rahmen des dort gerade begonnenen Angriffskrieges den Slogan "Freiheit ist ein Lebensmittel".

Vermutlich stecken nur gute Absichten hinter dieser Botschaft, doch gut gemeint war hier definitiv nicht gut gemacht. Die Kampagne wurde von vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern als nichtssagend und geschmacklos empfunden. Scheinbar wurde hier das Leid anderer Menschen zu Marketingzwecken thematisiert, was man sogar als Verstoß gegen die Grundregeln des Werberates bezeichnen könnte.

Auch die Weihnachtskampagne der Supermarktkette Penny aus dem vergangenen Jahr erntete einiges an Kritik. In dem Spot fragt ein Sohn seine Mutter, was sie sich zu Weihnachten wünsche. Eine Filmmontage zeigt daraufhin die verpasste Jugend des Sohnes, mit dem Reisen, Partys und dem ersten Liebeskummer – Dinge, die vielen Jugendlichen durch die Coronapandemie erschwert wurden. Die Mutter wünscht sich für ihren Sohn ein normales Leben als Teenager, und um dabei ein Stück weit zu helfen, verlost Penny unvergessliche Ereignisse für Jugendliche – und geht mit der emotionalen Botschaft des Spots viral. Die gute Absicht ist klar erkennbar – doch auch hier wurde eine weltweite Krise für Marketingzwecke instrumentalisiert.

Krisen für eigene Werbezwecke zu nutzen, ist in Fritz's Augen ein absolutes No-Go, und auch Vreni Frost findet es geschmacklos, Werbung angesichts des Leids vieler Menschen zu machen. "Es sei denn, es geht darum, durch das Bewerben des Produkts aktiv etwas an der Situation zu ändern. Ich habe beispielsweise selbst über die Impfung aufgeklärt und dafür geworben, dass sich mehr Menschen impfen lassen sollen. Auch dass viele Marken durch ein bestimmtes Produkt Geld gespendet haben, finde ich in Ordnung. Aber ich glaube viele von uns sind sich darüber einig, dass man aus dem Leid von Menschen keinen Profit schlagen sollte."

Transparenz, Ehrlichkeit und Mut

Egal wo wir sind, wir werden täglich mit Werbung konfrontiert – und diese hat keinen unerheblichen Einfluss darauf, wie wir die Welt wahrnehmen. Laut Jule Fuhrmann spiegeln Werbetreibende einerseits die Gesellschaft, formen sie aber andererseits auch durch das, was sie zeigen: "Mit dieser Wechselwirkung geht definitiv eine Verantwortung, aber auch ganz viele Chancen und Möglichkeiten einher."

Dennoch erwarten Konsumentinnen und Konsumenten keine Perfektion. "Es geht vielmehr um die transparente Auseinandersetzung mit dem Ist-Stand und den eigenen Zielen", findet Fuhrmann. "Wenn man sich fragt: 'Was können wir besser machen?', 'Was können wir zu einer Gesellschaft beitragen, in der alle sich wohlfühlen?' und den eigenen Weg dahin ehrlich anerkennt und kommuniziert, dann muss man sich keine Gedanken um Green- oder Social Washing machen." In Fuhrmanns Augen ist es völlig in Ordnung, wenn Unternehmen sich nicht in allen Punkten perfekt auskennen. Doch nur wer den Mut hat sich das einzugestehen, kann auch dazulernen. "Ich glaube das machen wir in der Werbung viel zu selten – also ehrlich sagen, dass wir nicht alles wissen und Hilfe holen." (bw)