Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erkennen

PLM-Software als Basistechnologie für den Digital Thread

26.07.2019
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Raimund Schlotmann ist Experte für Unternehmens- und Führungskräfteentwicklung. Er ist als Geschäftsführer und im Portfolio Management tätig. Zu seinen Erfolgen zählt u.a. der Aufbau der ONVENTIS GmbH (SaaS), die Weiterentwicklung der PROCAD GmbH & Co KG und weiterer Unternehmen im Software Bereich. Er ist Autor des Buchs „Digitalisierung auf mittelständisch“ (Springer).
Vorhandenes Beziehungswissen zwischen Produktstrukturen und Reklamationen im PLM-System senkt die Anzahl der Reklamationen und steigert die Produktqualität.

Wer eine Flaschenpost versendet, braucht Geduld und verbleibt im Ungewissen: Wird irgendwann jemand die Nachricht lesen, gar Rückmeldung geben? Beim E-Mail-Verkehr mit Empfangsbestätigung hat der Absender hier schon deutlich bessere Kontrolle. Wer als Konstrukteur arbeitet, muss sich dennoch oft fühlen wie zu Zeiten der Flaschenpost. Ein komplexes Produkt nimmt unter seinen Händen erste konkrete Formen an, später dann wird es verkauft und versieht beim Kunden seinen Dienst. Feedback darüber, wie zuverlässig es arbeitet, ob etwas hätte anders konstruiert werden müssen, weil Fehler auftreten, dringt nicht bis zu ihm vor.

Vorhandenes Beziehungswissen zwischen Produktstrukturen und Reklamationen im PLM-System senkt die Anzahl der Reklamationen und steigert die Produktqualität.
Vorhandenes Beziehungswissen zwischen Produktstrukturen und Reklamationen im PLM-System senkt die Anzahl der Reklamationen und steigert die Produktqualität.
Foto: Igor Samoilik - shutterstock.com

Vielleicht ist die Maschine an einer Stelle zu eng konstruiert, weswegen der Kondensator regelmäßig überhitzt. Oder es gibt Teile, die häufig kaputt gehen und ausgetauscht werden müssen – einfach weil sie nicht optimal konstruiert sind (das Phänomen der Obsoleszenz einmal außen vorgelassen). Besonders heikel wird es, wenn solche Komponenten gleich in vielen verschiedenen Maschinen verbaut sind.

In solchen Fällen gehen später Störungsmeldungen des Kunden beim Service ein. Er behebt die Störung adhoc, meldet dies aber nicht automatisch dem Produktmanagement und der Konstruktion. Informationen darüber verlaufen nur sporadisch; höchst ungesteuert und individuell werden Reklamationen zwischen den einzelnen Fachbereichen abgestimmt. Der Informationsfluss folgt keinem Plan und ist auch nicht auswertbar, weil es keinen direkten Bezug zwischen ihm und der Produktstruktur im PLM-System (Produkt Lifecycle Management) gibt.

Prävention statt Adhoc-Reparaturen

Soll also die Einbausituation grundsätzlich verbessert werden, muss ein produzierendes Unternehmen wissen, bei welchen Komponenten seiner Produkte häufiger Defekte auftreten. Mit diesem Wissen ausgestattet, können Entwicklung und Konstruktion Defekte präventiv verhindern. Im Nachgang kann das Unternehmen auch seinen Service besser planen. Ein strategisches Instandhaltungsmanagement wird aufgebaut, die Maschinen aller Kunden, in denen das mangelhafte Teil verbaut ist, werden im Vorhinein gewartet und das Teil ausgetauscht – noch bevor es zum Servicenotruf kommt. So werden Service Level Agreements eingehalten und Garantiefälle minimiert.

Voraussetzung dafür ist es, einen Informationsrückfluss im Reklamationsprozess über einen Digital Thread, also eine digitale Rückverfolgbarkeit von der Wirkung zur Ursache und den Zusammenhängen, zu definieren und über diesen die Fehleranfälligkeit der konstruierten Teile auszuwerten. Wird im Unternehmen bereits eine Software für das Produktdaten-Management (PDM) oder Produkt Lifecycle Management (PLM) eingesetzt, ist das dafür notwendige Vehikel bereits vorhanden. Über sie lässt sich ein eindeutiger Bezug zwischen Reklamation und besagtem Teil herstellen und damit der gewünschte Informationsfluss aufsetzen.

Auch im CRM-System existiert zwar ein solcher Bezug zwischen Kunde und Kaufteil. Dies hilft allerdings nur dem Vertrieb beziehungsweise dem Support. Der Konstrukteur bekommt dadurch noch längst nicht mit, an welcher Stelle wieder und wieder Reklamationen anfallen. So wird er auch besagtes Teil stets aufs Neue verbauen – mit bekannten Folgen für Support und Service. Ist der Bezug hingegen über das PLM-System hergestellt, wird die Konstruktionsabteilung in die Lage versetzt, den Defekt sofort zu beseitigen.

Kontrolle über Defekte bei Kaufteilen

Nicht nur eigene Teile können fehlerhaft sein, sondern auch zugekaufte. Eine Verbindung zwischen PLM-System und der betriebswirtschaftlichen Software – in der solche Kaufteile verwaltet werden – lässt die Konstruktionsabteilung an diesem Wissen teilhaben. Denn Zukaufteile tauchen in ihrem Umfeld zunächst einmal gar nicht auf. Durch ERP-PLM-Kopplung aber kann die Konstruktion bei Qualitätsproblemen mit einem Kaufteil selbst ein passendes Ersatzteil entwerfen bzw. veranlassen, dass der Hersteller des zugekauften Teils gewechselt wird.

Um herauszufinden, was wie oft defekt geht und daraufhin Serviceleistungen bezogen auf einzelne Artikel auswerten zu können, empfiehlt es sich ferner, im PLM-System einen gesteuerten Änderungs- beziehungsweise Verbesserungsprozess zu installieren. Dies, verbunden mit der Herstellung von Bezügen zwischen allen Abteilungen im Unternehmen über den Digital Thread im PLM-System, führt rasch zu einer deutlichen Verringerung von Serviceeinsätzen. Konstruktionsverbesserungen lassen sich präventiv planen, anstatt ständige Ad-hoc-Serviceeinsätze zwischenschieben zu müssen. Service Level Agreements können höher angesetzt und leichter eingehalten werden. Und die Produktqualität verbessert sich, weil defekte Teile eher erkannt und optimiert werden. Mit der Flaschenpost können sich Konstrukteure dann immer noch im Privatleben beschäftigen – aus Neugier, ob wohl jemand zurückschreibt. Im Berufsleben vertrauen sie besser auf den Digital Thread. (mb)