Mit der neuesten Änderung des Algorithmus zeigt Facebook Marketern mal wieder, wo der Hammer hängt: Wer in den Newsfeeds der User auftauchen will, kommt an Facebook Ads nicht mehr vorbei. Es sind solche Momente, in denen vielen Marketern bewusst wird, wie abhängig sie von Walled Gardens wirklich sind. Facebook und Google schotten ihr Werbeumfeld ab und diktieren die Bedingungen.
Die Marketer klagen über Intransparenz, weil die Betreiber der Walled Gardens wichtige Daten für die Planung und Erfolgskontrolle nicht teilen. Procter & Gamble hat schon, unter anderem als Konsequenz davon, sein Budget für digitales Marketing gekürzt. Doch das trauen sich nicht viele Unternehmen und die Werbeumsätze von Facebook und Co. wachsen.
Wenn man bedenkt, wie verlockend das Versprechen der Walled Gardens ist, kann man es den weiterhin dort werbenden Unternehmen allerdings auch nicht übel nehmen: Kleinteilige Datensätze zur genauen Zielgruppenansprache werden angeboten, weil User ihre Daten so gerne dort teilen. Wer personalisierte Werbung schalten will, kommt daran scheinbar nicht vorbei. Dabei können Marketer selbst viel dafür tun, um diese Abhängigkeit zumindest deutlich zu verringern.
Werben im Walled Garden: Daten im Überfluss – Learning nicht enthalten
Das Werben bei Facebook und Co. kann man auch mit einer Sucht vergleichen: Auf den ersten Blick scheinen schier unzählig viele Datensätze innerhalb der geschlossenen Werbeumfelder auf die Marketer zu warten. Wer personalisiertes Marketing mit hoher Reichweite betreiben will, findet hier schnell, was er sucht – doch das böse Erwachen folgt.
Die Walled Gardens enthalten den Marketern nämlich wichtige Targeting-Daten vor. Das führt dazu, dass sie über ihre Zielgruppen mit der Zeit wenig bis gar nichts dazu lernen und sie immer wieder zum Walled Garden zurückkehren müssen, wenn sie effektives Targeting betreiben wollen.
Dieses System der Abhängigkeit hinter den Walled Gardens ist eine sehr gut durchdachte Businessstrategie und Facebook und Co. tun das, was jeder kluge Unternehmer tun würde. Sie haben ein Produkt, die Daten, und dafür bitten sie zur Kasse. Das Entscheidende ist aber, dass sie nicht wirklich das Produkt verkaufen, sondern eigentlich nur dessen Nutzung – und das innerhalb der engen Grenzen des Walled Gardens.
- Pizza kommt per #EasyOrder
Seit Mai 2015 können Domino's-Kunden die Lieferung ihrer Lieblingspizza per Twitter veranlassen – dazu posten sie ein "Pizza-Emoji" an @Dominos oder nutzen den Hashtag #EasyOrder. Mehr als jeder zweite Pizzafan nutzt das bereits. - "Blinde Vorbestellung" bei Taco Bell
Die amerikanische Fast-Food-Kette Taco Bell startete im vergangenen Februar die "blinde Vorbestellaktion" eines neuen Produkts. Um was es sich handelte, blieb geheim – sicher war nur, dass es sich online vorbestellen ließ und dann am 6. Februar zwischen 14 und 16 Uhr im lokalen Restaurant abgeholt werden konnte. Die Taco-Bell-Jünger kamen in Scharen. - Edeka-Video #HeimKommen
Das weihnachtliche Werbevideo der Supermarktkette Edeka berührte im vergangenen Winter viele Hunderttausende Zuschauer. - Niveas zweite Haut
Auch dieser Weihnachtsclip aus 2015 ging viral: Kosmetik-Hersteller Niva stellte sein "Second Skin Project" vor und erreichte deutlich sechsstellige Abrufzahlen. - Snapchat-Kampagne zur Oscar-Verleihung
PricewaterhouseCoopers (PwC) kümmert sich seit 82 Jahren um die Auszählung der Stimmen für die Academy Awards, im Volksmund auch Oscar-Verleihung genannt. Für die 2016er-Ausgabe startete PwC eine Snapchat-Story rund um die berühmten goldenen Umschlägen mit den Oscar-Gewinnern. Viele neue Fans und ein Shorty Award waren der Lohn. - Lustige Sprüche frei Haus
"Unsere Klingen sind so gut, dass du sie einen ganzen Monat lang benutzen kannst" - das Start-up Dollar Shave Club verschickt unter diesem Claim im Monatsabo Rasierer und Rasierklingen per Post. Die zugehörige Marketing-Kampagne mit Bildern abgewetzter Klingen und lustigen Sprüchen sorgte für eine große Aufmerksamkeit im Social Web. - Für eine Handvoll Dollar
Black Friday als Konsum-Höhepunkt des Jahres? Der Partyspiel-Anbieter "Cards Against Humanity" machte da im vergangenen Jahr nicht länger mit. Er nahm seinen Shop einen Tag lang vom Netz und bot den Kunden stattdessen "nichts" für fünf Dollar an. Die dankten es ihm und zahlten - es kamen über 71.000 Dollar zusammen. - Luxus bei Snapchat
Das britische Modelabel Burberry war im April 2016 die erste Luxusmarke, die eine native Snapchat-Werbeanzeige buchte. 24 Stunden lang wurde ein neues Parfum beworben - mit exklusiven Videos, darunter dem Kurzfilm "Mr. Burberry" des Oscar-prämierten Regisseurs Steve McQueen, der binnen eines Monats bei Youtube fast 370.000 Mal aufgerufen wurde. - "Deadpool" – ein durchschlagender Erfolg
Das Antihelden-Epos "Deadpool" verhalf 20th Century Fox zu neuen Social-Web-HöhenflügeN: Die fast 500.000 Follower des @deadpoolmovie-Twitter-Kanals, der fast ein Jahr (!) vor dem Kinostart mit einem mehr als 55.000 Mal retweeteten Posting gestartet ist, die vielen prominenten Fans der Comicreihe und der im Social Web ebenfalls sehr aktive Hauptdarsteller Ryan Reynolds ließen die Grenzen zwischen PR und purer Fan-Vorfreude verschwimmen. - Verkaufen per Pinterest
Nach dem "127 Corridor Sale" im vergangenen Jahr bot der Spraydosen- und Farbenverkäufer Krylon dort erworbene und aufgehübschte Waren online via Pinterest Buyable Pins zum Verkauf an - als erster Anbieter überhaupt. Neben den erzielten Einnahmeen, die kmplett gespendet wurden, erfuhr Krylon für die Aktion eine mediale Aufmerksamkeit, die das Unternehmen ein Vielfaches von dem gekostet hätte, wäre sie auf klassischem Wege per Werbeanzeige zustande gekommen.
Aus diesem System auszubrechen ist vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen abschreckend, weil der Aufbau eines eigenen personalisierten Marketings so aufwendig erscheint. Und ganz ohne Mühe geht es tatsächlich nicht. Das Schwierige ist dabei nicht unbedingt, die Daten zu erhalten. Wer mit seinen Kunden oder Usern in irgendeiner Weise in Kontakt kommt, sammelt Daten, sei es beim Bestellvorgang oder bei einem Zugriff auf die Unternehmenswebseite. Es ist eher die Frage: Wie wertet man diese Daten richtig aus?
KI hilft dabei, eigene Datenschätze zu heben
Eine Antwort: Man lässt die Datenauswertung von Maschinen erledigen. Genauer gesagt von KI- und Machine-Learning-Lösungen. Sie erkennen Regelmäßigkeiten im Nutzerverhalten und vergleichen diese mit anderen Daten, zum Beispiel aus wissenschaftlichen Untersuchungen. Mit der Zeit, lernen diese Systeme immer besser, wie die Nutzer agieren – und können auch immer besser ableiten, wie, wann und wo sie angesprochen werden müssen.
- Oliver Bracht, Chief Data Scientist bei Eoda
"In der Frage der Akzeptanz von KI und Machine Learning ist die Varianz unter den deutschen Unternehmen sehr hoch. Einige stehen noch ganz am Anfang, andere sind schon weit vorangeschritten." - Robert Gögele, General Manager bei Avanade Deutschland
"Im Feld KI und Machine Learning können in Deutschland viele neue Jobs entstehen. Dafür brauchen wir aber einen Kulturwandel, in dem wir uns als Gesellschaft und im öffentlich Diskurs deutlich mehr den Chancen widmen, als uns hinter den wohlbekannten und legitimen Risiken zu verstecken." - Stefan Gössel, Partner bei Reply
"Im ersten Schritt geht es um die eigene Effizienz. Der wesentliche Treiber ist es jedoch, die Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen, um neues Wachstum zu generieren." - Franz Kögl, Vorstand von Intrafind
"Unsere Kunden haben mit dem Thema AI keine Berührungsängste. Alle gehen das pragmatisch an: Business Case und Anforderungen definieren, dann für den Use Case die beste Kombination aus AI-Verfahren auswählen und die Machbarkeit testen." - Ronny Kroehne, Senior IT Architect bei IBM
"Wir reden immer öfter direkt mit den Fachbereichen. Da ist der Innovationsdruck am Größten." - Katharina Lamsa, Pressesprecherin für die Division Digital Factory bei Siemens
"Die zunehmende Digitalisierung ist ein wesentlicher Treiber für die Entwicklung und die Akzeptanz von KI und Machine Learning bei unseren Kunden. Insbesondere im Maschinenbau sehen wir Ansätze, sich mit diesem Innovationsfeld intensiv zu befassen. Darunter finden sich auch kleinere, sehr innovative Unternehmen, die das Zukunftspotenzial des Themas erkannt haben." - Markus Noga, Leiter Maschinelles Lernen, SAP SE
"Unsere Vision ist das intelligente Unternehmen. Dank maschinellem Lernen und natürlicher Sprachverarbeitung werden Softwaresysteme Mitarbeiter zukünftig in allen Routinetätigkeiten unterstützen und ihnen die Möglichkeit geben, sich auf kreative und strategische Aufgaben zu fokussieren. Wir treiben diese Entwicklung mit intelligenten Applikationen und Services voran und bieten Anwendungsmöglichkeiten für jeden Kenntnisstand." - Klaus-Dieter Schulze, Senior Vice President Digital Business Solutions bei NTT Data Deutschland
"Ich muss immer mit der Business-Frage anfangen, nicht mit der Technologie." - Max Zimmermann, Data Scientist von Lufthansa Industry Solutions
"Man muss die unterschiedlichen Bereiche Künstlicher Intelligenz definitorisch voneinander abgrenzen. Einfache Regressionsverfahren zum Beispiel genießen derzeit hohe Akzeptanz."
Die Software dafür ist mittlerweile, mehr oder weniger gut, in verschiedenen Marketing-Suiten integriert. Diese führen Datensätze zusammen und reichern sie sinnvoll mit anderen Daten an. Wichtig dabei ist: Das nutzende Unternehmen kann die Daten über seine User nutzen, weil es sie selbst erhoben hat.
Nicht immer einfach: Die richtige Personalisierungslösung finden
Bei der Auswahl der richtigen Suite sollten Marketer auf mehrere Features achten. Lösungen, bei denen Personalisierung einen integralen Teil der Suite bilden, bieten zum Beispiel Echtzeit-Personalisierungen an. Die Zielgruppe bekommt also je nach Tageszeit automatisch anderen Content ausgespielt.
Auch wichtig ist die Frage: Wie gut ist die Verbreitung der Werbung im Omnichannel gelöst? Zwar sind die meisten Suites durchaus darauf ausgelegt, möglichst viele Kanäle zu bespielen, das ist aber verschieden gut gelöst. Möglichst nahtlos sollte es sein. Bei guten Lösungen hat man keinen oder kaum Extra-Aufwand, wenn man eine Maßnahme per E-Mail, Push-Nachricht und per Post verschicken will oder sie sogar auf der eigenen Landingpage integriert.
Unternehmen, die so eine Personalisierungslösung aufsetzen, merken irgendwann, wie sie ihre Kunden besser kennenlernen – besser als sie es je durch Marktforschung könnten. Und die Walled Gardens? Diese werden dadurch nicht ersetzt und sind auch weiterhin attraktive Werbeumfelder. Doch mit eigenem Wissen über den Kunden ausgerüstet, fällt es Unternehmen leichter zu verstehen, warum dort bestimmte Maßnahmen funktionieren – und andere nicht. Und wenn mal wieder ein neuer Algorithmus Marketer in Aufregung versetzt und die Werbepreise steigen, können sich Unternehmen mit Personalisierungslösung auch entspannt zurücklehnen und warten, bis sich die Lage wieder beruhigt.