Ausgeprägte Hierarchien, autoritärer Führungsstil, ausgebeutete Angestellte - zum Thema Arbeiten in China gibt es viele negative Assoziationen. Der Erfolg der Chinesen gründet aber auch auf ihrer extremen Anpassungsfähigkeit, die vieles möglich macht, was aus deutscher Sicht unmöglich scheint. Zudem schafft die starke Ergebnisorientierung der Chinesen viel Raum für Innovationen.
Diese Erfahrungen machte Ludwig Zink, Practice Head of Advise beim Netzwerk- und IT-Dienstleister BT, der viele Jahre beruflich in China zu tun hatte und in dieser Zeit seine chinesische Frau Dr. Ru He kennenlernte. Im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE erläutert das Ehepaar, wie sich Chinesen und Deutsche in ihrer Arbeitsweise und -moral unterscheiden.
CW: Herr Zink, Sie waren beruflich viel in China unterwegs und haben die Gepflogenheiten in der dortigen Business-Welt kennengelernt. Welche Unterschiede zu Deutschland sind Ihnen besonders aufgefallen?
Ludwig Zink: Ein wesentlicher Unterschied besteht im Umgang mit Geschäftskontakten. Wenn ein chinesisches Unternehmen einen oder mehrere Geschäftspartner empfängt, sitzt man nicht einfach zusammen im Besprechungsraum. Es geht dabei vielmehr um eine Kombination aus verschiedenen Anlässen - etwa eine Besprechung beim gemeinsamen Mittagessen und die anschließende Intensivierung des Kontakts beim Tee. Man verbringt mehr Zeit miteinander.
CW: Warum ist das in China so wichtig?
Ludwig Zink: Die Chinesen pflegen ihr Gegenüber genau zu beobachten, um seine Persönlichkeit so weit wie möglich zu erfassen. Das gilt für private wie berufliche Beziehungen. Für die Chinesen hat der menschliche, persönliche Aspekt einen sehr hohen Stellenwert. Sie sagen sich: Egal, um welche Produkte oder Dienstleistungen es geht - Menschen kaufen immer bei Menschen. Die Qualität der persönlichen Beziehung zum Geschäftspartner ist extrem wichtig. In Deutschland dagegen geht es im beruflichen Bereich in erster Linie um die Sache.
Deutsche sind höflich, aber nicht herzlich
CW: Frau He, Sie sind Chinesin, haben lange in den USA gearbeitet und leben seit 15 Jahren in München. Können Sie das bestätigen?
Ru He: Ich empfinde es sogar so, dass die Deutschen nicht nur sachlich, sondern distanziert miteinander umgehen. Egal ob das Treffen mit dem Kunden, die Taxifahrt oder der Einkauf in einer Modeboutique: Bei eher flüchtigen Begegnungen ist der Umgangston höflich, aber nicht herzlich. Mir kommt es so vor, als ob die Deutschen keine Emotionen investieren, weil sie ihr Gegenüber sowieso nicht wieder sehen werden. Das war für mich ein ziemlicher Schock, als ich nach Deutschland kam. Denn in China ist der Umgang wesentlich herzlicher, weil man davon ausgeht, dass aus jeder Begegnung eine längerfristige, vielleicht sogar lebenslange Beziehung werden könnte. Entsprechend bemüht man sich um den anderen - egal ob es um einen beruflichen oder privaten Kontakt geht.
CW: Und das trifft auch auf das Geschäftsleben zu?
Ru He: Ja, natürlich. Zum Beispiel laden Chinesen ihre Geschäftspartner schon beim ersten Treffen zu einem teuren Essen ein. Der Smartphone-Hersteller Huawei verfügt sogar über ein eigenes Restaurant nur für Gäste. In Deutschland dagegen sind Einladungen zum Essen in der Regel erst nach Abschluss eines Vertrags üblich.
CW: Wo sehen Sie sonst noch besonders große Unterschiede zwischen Chinesen und Deutschen?
Ludwig Zink: Für mich ist es vor allem die Art und Weise, mit Veränderungen umzugehen. Ob Wirtschaft, Verkehr, Infrastruktur - China wandelt sich ständig, und die Veränderungen sind ja teilweise massiv. Mich erstaunt es immer wieder, wie gut die Menschen damit klarkommen. Die Chinesen sind ein extrem anpassungsfähiges Volk.
Ru He: Das liegt auch daran, dass Chinesen eine für deutsche Verhältnisse unglaubliche Gelassenheit gegenüber Chaos an den Tag legen. Wenn sich ein Land so schnell verändert wie China zurzeit, läuft natürlich nicht alles in geordneten Bahnen. Und damit haben Chinesen kein Problem. Den Deutschen fehlt diese Gelassenheit, sie können Chaos nicht ertragen. Ein derart rasanter Wandel, wie er sich in China vollzieht, wäre für sie ein Kulturschock.
Deutsche streben nach Perfektionismus, Chinesen sind flexibler
CW: Das impliziert wahrscheinlich auch, dass die Chinesen nicht so perfektionistisch sind wie die Deutschen?
Ru He: Genau. Chinesen sind ergebnisorientiert - ihnen kommt es darauf an, zu liefern, selbst wenn das Produkt noch nicht ganz ausgereift ist. Die Deutschen legen Wert auf Perfektion - sie konzentrieren sich auf Strukturen, Systematiken, Prozesse. Man könnte es so ausdrücken: Für die Deutschen geht es darum, die Dinge richtig zu tun. Den Chinesen dagegen kommt es darauf an, die richtigen Dinge zu tun. Sie sind extrem flexibel und geben sich auch mit unperfekten Lösungen zufrieden. Entscheidend ist für sie, überhaupt erst einmal eine Lösung bieten zu können.
CW: Mit unausgereiften Produkten auf den Markt kommen - ist das nicht riskant?
Ludwig Zink: Im Normalfall werden 80 Prozent der Funktionen eines Produkts nicht genutzt - weil man sie nicht kennt oder nicht braucht. Die Chinesen konzentrieren sich daher auf die wichtigsten Features - und auf das Feedback vom Kunden. Ihr Erfolgsrezept besteht also in Trial and Error plus starke Kundenorientierung. Solche Ansätze gibt es ja auch in den USA: Fehler sind erlaubt, man darf auch einmal mit einer Idee scheitern. In Deutschland dagegen sind Fehler etwas Schlechtes und werden bestraft. Das bremst die Innovation. Die deutsche Automobilindustrie ist meiner Ansicht nach auch nur deshalb so erfolgreich, weil sie über jahrzehntelange Erfahrungen verfügt - nicht weil die deutsche Arbeitsmoral so besonders innovationsfreundlich ist.
Ru He: Ein wesentlicher Faktor für den wirtschaftlichen Aufschwung in China ist aber natürlich auch der Arbeitsethos: Die Chinesen wollen arbeiten, sie sind total motiviert. Für einen Chinesen bedeutet Arbeiten mehr als ein Job. Es ist für ihn die Verwirklichung eines Traums. Denn selbst mit einem Hochschulabschluss ist es nicht leicht, in China einen Job zu bekommen. Deshalb ist auch nichts dabei, einen Schlafsack mit ins Büro zu nehmen, um gegebenenfalls dort zu übernachten, wenn es später wird. In Deutschland wäre das undenkbar. Nicht nur wegen der starken Gewerkschaften, sondern auch weil hier eine völlig andere Arbeitsmoral herrscht.
CW: Sind die Chinesen auch offener für Neues als die Deutschen?
Ludwig Zink: Auf jeden Fall. Chinesen sind extrem aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien und Projekten. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die chinesische Regierung plant, alle Städte in der Provinz Guandong zu einer Mega-City mit rund 60 Millionen Einwohnern zusammenzulegen. Gegen so ein Vorhaben würde sich in Deutschland sofort massiver Widerstand formieren.
CW: Ja, weil die Deutschen Wert auf Lebensqualität legen. Das ist ja in China kein Thema - ebenso wenig wie Umwelt- und Naturschutz…
Ludwig Zink: Die Ausbeutung der Natur und die Luftverschmutzung stellen China natürlich vor große Probleme. Aber gleichzeitig sind die Chinesen sehr aufgeschlossen für umweltfreundliche Technologien. Ein Beispiel: In einer südchinesischen Kleinstadt hatte die Stadtverwaltung allen Fahrern von konventionellen Mopeds finanzielle Unterstützung beim Kauf eines Elektrorollers versprochen. Das Konzept ging auf - und heute ist in der Stadt kein einziges benzinbetriebenes Moped mehr unterwegs.
Warum die Einladung zu Tee so viel bedeutet
CW: Was sollte ein Deutscher beachten, der beruflich in China zu tun hat?
Ludwig Zink: Ich beobachte, dass viele Deutsche sich sehr selbstgefällig, fast überheblich über China äußern, obwohl sie nichts über das Land wissen. Dieses Überlegenheitsgehabe ist völlig unangebracht. Wir Deutschen halten uns immer noch für die Experten, dabei hat uns China mittlerweile in einigen Bereichen längst überholt. Auch die Annahme, in China sei alles veraltet und in schlechtem Zustand, ist falsch. Ich habe mal eine Fabrik in Chenzen besucht, die war moderner als die PC-Produktion von Siemens in Augsburg!
Ru He: China ist ein riesiges Land - und entsprechend vielfältig. Wir sprechen in China 17 verschiedene Sprachen und es gibt große kulturelle Unterschiede - ähnlich wie Europa. Das ist vielen Deutschen nicht bewusst. Es gibt einfach noch viele Vorurteile. Zudem haben die Deutschen Probleme damit, Andersdenkende zu akzeptieren. Da sind China und auch die USA wesentlich toleranter.
CW: Noch einmal zurück zu den Gepflogenheiten: Was sollte ein Deutscher noch wissen, wenn er beruflich in China zu tun hat?
Ludwig Zink: Die besondere Bedeutung von Tee. Es gibt sehr viele verschiedene Teesorten in China, die zum Teil sehr teurer sind. Manche Tees werden in Gold aufgewogen - so kostbar sind sie. Und eine Einladung zum Tee bei einem Chinesen hat einen ähnlichen Stellenwert wie wenn Ihnen hierzulande ein Geschäftspartner einen guten Wein kredenzt. Das war mir bei meinen ersten Besuchen in China auch nicht bewusst. Ich musste lernen, diese Geste richtig einzuschätzen und wertzuschätzen.
CW: Gibt es etwas, was Deutsche und Chinesen verbindet?
Ru He: Eine Gemeinsamkeit ist auf jeden Fall die besondere Wertschätzung der eigenen Tradition und Geschichte. Darin unterscheiden sich China und Deutschland stark von den USA, wo ja viele verschiedene Kulturen nebeneinander leben.
Ludwig Zink: In China gibt es viele Familienunternehmen, die ähnliche Strukturen haben wie der deutsche Mittelstand. Sogar bei vielen großen Firmen wie zum Beispiel Huawei handelt es sich um ehemalige Familienunternehmen, in denen der Einfluss der Familie noch immer zu spüren ist. Eine weitere Gemeinsamkeit von Deutschen und Chinesen ist die Liebe zu teuren Autos. Obwohl das in China mittlerweile wesentlich ausgeprägter ist als hierzulande. Dort werden heute mehr 7er BMWs verkauft als in ganz Europa.
Mit deutschen CIOs in China unterwegs
20 Teilnehmer des Leadership Excellence Program haben ihr Auslandsmodul in China absolviert. Hier die wichtigsten Learnings des LEP 2014, aufgeschnappt an der WHU-Partner-Uni und in Firmen vor Ort.
- Die wichtigsten Learnings des LEP 2014
- Learning 1:
China kann mehr als billig. Beim Besuch eines mittelständischen Unternehmens in Shanghai ...
... präsentiert der Fabrikleiter seine Roland-Druckmaschinen.- Learning 2:
Die Elite-Universität Fudan in Shanghai unterrichtet nach amerikanischem Vorbild ... - Learning 3:
... die beste Beurteilung gaben die Teilnehmer trotzdem an Professor Peng von der Universität Berkley, der über interkulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung sprach. - Learning 4:
Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt erzielt derzeit ein Bruttosozialprodukt von 8,23 Billionen US-Dollar. - Learning 5:
Alles landet sofort bei "WeChat", dem chinesischen Pendant zu WhatsApp (ca. 500 Millionen Nutzer). - Learning 6:
Nichts landet bei WhatsApp oder Facebook (gesperrt, nur über Proxi-Server zu erreichen). - Learning 7:
Touristenführer klagen offen über die Schäden der Kulturrevolution. - Learning 8:
Der zweite LEP Jahrgang lobte die Vor-Ort-Termine, bemängelte aber deren thematische Zuordnung. - Learning 9:
Abschotten ist abgesagt: Die Zahl der rein ausländischen Unternehmen hat sich seit 1996 mehr als verdoppelt (auf 18125 in 2013). - Learning 10:
Die verbotene Stadt besser nicht besuchen, wenn 1,385 Mrd. Chinesen Urlaub haben. - Learning 11:
Chinas Anteil am weltweiten Bruttosozialprodukt beträgt derzeit ca. zwölf Prozent. - Learning 12:
China lieferte bis Mitte des 19. Jahrhunderts rund 30 Prozent der Weltproduktion und strebt diesen Wert auch wieder an. - Learning 13:
Chinesische Professoren sprechen offen über die Verschlechterung des Gini-Koeffizienten, ...
... der die Verteilung von Arm und Reich misst (0,48 im Jahr 2008).- Learning 14:
Chinas Bevölkerung wächst nur noch um 4,9 Prozent (2012). - Learning 15:
Der Aufstieg geht weiter. China hat sein Bruttosozialprodukt seit 1978 vervierzigfacht. Allerdings verlangsamt sich das Wachstum. ...
... Es erreicht nicht mehr das gewohnt zweistellige Niveau.- Learning 16:
Der chinesische Grenzwert für Feinstaubbelastung liegt bei 75 Mikrogramm pro Kubikmeter. In Peking wird er regelmäßig überschritten. - Learning 17:
Das Foreign Direct Investment (FDI) betrug 2013 in China 118 Billionen US-Dollar - Learning 18:
Daimler hat mit einem Invest von 400 Millionen Euro dazu beigetragen. ...
... Im neuen Motorenwerk werden klassische Vier- und Sechszylinder-Motoren gebaut.- Learning 19:
Das Daimler-Werk in Peking...
... hat die Größe von Sindelfingen und Untertürkheim zusammen.- Learning 20:
Drinnen sieht eine chinesische Autofabrik genauso aus wie eine deutsche. ...
... Nur einzelne Arbeitsschritte sind in China weniger automatisiert.- Learning 21:
Die meisten Auslandsinvestitionen kommen immer noch aus Hong Kong. Alles, was hinter der Mauer liegt, (Europa) kommt auf weniger als zehn Prozent.