Fokus auf Integration und Interoperabilität

OpenStack wird erwachsen

08.12.2017
Von 
Ludger Schmitz war freiberuflicher IT-Journalist in Kelheim. Er ist spezialisiert auf Open Source und neue Open-Initiativen.
Vor einem Jahr hieß es beim OpenStack Summit in Barcelona, das Projekt trete nun in eine neue Phase ein, es werde erwachsen. Ein Jahr später lässt sich das bestätigen.

Es ist alles andere als alltäglich, dass eine Organisation eine Großveranstaltung abhält, dabei aber ihre eben erschienene neue Version nur am Rande erwähnt. Genau das hat die OpenStack Foundation auf ihrem Summit in Sydney getan: "Pike", das 16. Release des Private-Cloud-Frameworks, war nur eine Nebensache. Dabei bietet Pike einige technische Verbesserungen in den Kernmodulen, Noch stärker zielen die Erweiterungen in dieser Version darauf ab, den täglichen Einsatz von OpenStack zu vereinfachen.

Das Understatement erklärt sich keineswegs damit, dass OpenStack-Anwender ohnehin in großer Mehrheit zwei oder gar drei Versionen und damit etwa zwölf bis 18 Monate hinter dem aktuellen Release-Stand zurückhängen. Bisher stand die Entwicklung der Kernkomponenten und einiger zentraler Bausteine für Private-Cloud-Umgebungen im Vordergrund. Das hat sich jetzt deutlich geändert.

Die Ursache machen mehrere Anwenderbefragungen und Marktanalysen der OpenStack Foundation und anderer Unternehmen deutlich. Das 2010 gegründete Open-Source-Projekt kann auf eine beeindruckende Entwicklung in den vergangenen Jahren zurückblicken. Das liegt auch daran, dass sich viele IT-Anbieter in dem Projekt engagiert haben, um eine zu große Cloud-Dominanz von Amazon zu verhindern. Und tatsächlich haben sich ja private Clouds neben der Public Cloud etabliert.

Bei Private Clouds ist OpenStack zweifellos das Maß der Dinge. Nach einer von Suse in Auftrag gegebenen Umfrage verwenden 23 Prozent der Organisationen OpenStack-Clouds, das sind acht Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Weitere 37 Prozent testen gerade solche Umgebungen, und 22 Prozent haben das innerhalb der nächsten zwölf Monate vor. Also steht bei vier von fünf Organisationen OpenStack auf dem IT-Strategieplan.

Gleichzeitig lässt sich ein Trend zu Multi-Cloud-Umgebungen ausmachen. Im Rahmen einer Befragung der OpenStack Foundation unter Anwendern des Frameworks stellte sich heraus, dass diese fast zur Hälfte auch mit anderen Clouds arbeiten. Das sind erwartungsgemäß in erster Linie Amazon Web Services (AWS), Microsofts Cloud-Plattform Azure und die Google Cloud.

Viele Betriebe setzen auf mehrere Clouds

Diesen Befund bestätigt eine von Cloudify in Auftrag gegebene Studie unter Cloud-Anwendern über den OpenStack-Kreis hinaus. Demnach verwendet fast genau die Hälfte von ihnen nur eine Cloud, knapp ein Viertel der Befragten (23 Prozent) aber zwei und 13 Prozent drei Clouds, 15 Prozent sogar mehr. Die mit Abstand häufigste Kombination ist mit 109 Nennungen AWS und Azure. Zweitbeliebteste Cloud-Mischung ist AWS und OpenStack (59 Nennungen), gefolgt von AWS und Google (48 Fälle) sowie OpenStack und VMware (40).

"Wir müssen sicherstellen, dass es Tools für die Integration dieser Cloud-Umgebungen gibt", sagte angesichts dieser Konstellationen Mark Collier, COO der OpenStack Foundation in Sydney. Genau hier zeigt die neue Version Pike Fortschritte. Ein erheblicher Teil der Neuerungen dürfte in den halbjährlich erscheinenden Releases künftig auf Integrations-Features entfallen. Ein zweiter Aspekt dürfte ebenfalls in Zukunft wichtiger werden: Tools für die tägliche Administration von OpenStack-Clouds. "Das größte Problem mit Open Source ist heute nicht etwa Innovation", erklärte Jonathan Bryce, Executive Director der OpenStack Foundation, "es ist Integration und Betrieb."

Das heißt im Gegenschluss aber auch: Bei den Kernmodulen wird es in Zukunft weniger Neuerungen geben, das Schwergewicht der Entwicklung liegt auf der Umgebung. Damit geht OpenStack tatsächlich in eine neue Phase über. In den frühen Jahre des 2010 begonnenen und heute weltgrößten Open-Source-Projekts lag das Hauptaugenmerk der Entwickler zunächst auf den Kernmodulen des Frameworks. Nachdem diese vor rund drei Jahren unter dem Titel "DefCore" zusammengefasst worden waren, war die Folge ein deutlicher Gewinn an Stabilität.

Eine nach wie vor schnelle Entwicklung gibt es in der Umgebung des Kerns, im "Big Tent", wo sich eher Module finden, die in erster Linie auf Aspekte der täglichen Nutzung und der Integration ausgerichtet sind. Dieses Big Tent umfasst inzwischen rund 60 Projekte, von denen allerdings mehr als ein Drittel beispielsweise als Libraries nicht im Zentrum des Anwenderinteresses stehen. Auch so sind die Big-Tent-Projekte inzwischen vielfältig. Manche überlappen sich, andere konkurrieren sogar.

Entsprechend gibt es innerhalb der Foundation Überlegungen, diese organisatorische Unterteilung zu reformieren. Sie spiegelt nicht die Bedeutung einzelner Module für die meisten OpenStack-Umgebungen wider. So ist das Monitoring-Tool "Ceilometer" eine häufig anzutreffende Anwendung für die Messung der Nutzung einer Private Cloud und damit für die Abrechnung der entsprechenden Services. Genau das lässt sich inzwischen aber auch mit "CloudKitty" machen. Überrascht hat auch die schnelle Verbreitung von "Ironic" für die Provisionierung von Bare-Metal-Implementierungen. Der Anteil des OpenStack-Werkzeugs ist in den zurückliegenden sechs Monaten von neun auf 20 Prozent der produktiven Umgebungen gestiegen.

Wie lässt sich Projektreife klarstellen?

Das macht aber auch deutlich, dass die bisherige Klassifizierung nichts über die Reife der Produkte aussagt. Aber es tut sich einiges hinter den Kulissen. "Wir diskutieren, wie sich Reife und Bedeutung von Projekten klarstellen lassen", erklärte COO Collier vor Analysten und Pressevertretern in Sydney. "Das Big Tent war nützlich, hat aber auch Anwender verwirrt. Wir müssen über die Organisation der Projekte reden." Wie das genau aussehen könnte, darüber gibt es allerdings noch keine konkreten Informationen.

Derweil bleibt die Dynamik innerhalb der Organisation unverändert hoch. Sie zählt jetzt schon rund 82 000 Mitglieder aus 187 Ländern. Auffallend in den vergangenen Jahren war die starke Zunahme von Telecom-Anbietern, die sich vor allem für Network Function Virtualization engagierten. Die einstige Dominanz der IT-Unternehmen ist geschwunden. Die neuen Wachstumsbereiche von OpenStack sind Regierungsbehörden, Forschung, Handel und vor allem Finanzinstitute. China UnionPay versucht gerade, in der Foundation ein neues Community-Team aufzubauen. Das soll die Anforderungen von Banken und Versicherungen an OpenStack identifizieren und die Schließung von Lücken vorantreiben.

Selbstkritische Töne waren auf dem OpenStack Summit 2017 in Sydney offen zu vernehmen. So legte bei der Eröffnungsveranstaltung Sorabi Saxema von AT&T vier Forderungen auf den Tisch: "Die nächste Generation von OpenStack muss erstens Security by Design umfassen, unter anderem mit standardisierten Scans und rollenbasierenden Zugriffsrechten. Zweitens brauchen wir vereinfachte Operations und drittens schmerzfreie und nahtlose Upgrades. Viertens sind Best Practices und Metriken für den Reifegrad von Projekten nötig."

OpenStack-Director Bryce entsprach den Forderungen zumindest teilweise, indem er für das Ziel der Integration ebenfalls vier Maximen aufstellte:

  1. für Branchen verallgemeinbare Use Cases veröffentlichen,

  2. mit Communities nicht nur in OpenStack zusammenarbeiten, was explizit unter anderem die Cloud Foundry, Ceph, Ansible und Kubernetes einbezieht,

  3. neue Technologien entwickeln, wobei Sicherheit und Finanzflüsse eine zentrale Rolle spielen müssen,

  4. das Ganze zur Qualitätssicherung von A bis Z testen, wozu die Foundation eine neue "OpenLab"-Initiative gestartet hat.

Die Analysten von 451 Research sind sich sicher, dass die Weichen richtig gestellt sind. Sie erwarten in den nächsten Jahren ein durchschnittliches Wachstum des OpenStack-Markts von 30 Prozent pro Jahr. Von 2,5 Milliarden Dollar in diesem Jahr soll er bis 2021 auf ein Volumen von 6,7 Milliarden Dollar anwachsen. Der Markt für hybride und private Clouds werde in dieser Zeit schneller zulegen als der für Public Clouds, so die Prognose der Analysten.

Gleichwohl bremsen alltägliche Sorgen viele OpenStack-Interessierte aus. So ergab eine Umfrage von Suse, dass rund drei Viertel der IT-Verantwortlichen sich sorgen, das notwendige Wissen weder in ihren IT-Stäben zu haben noch am Markt einkaufen zu können. Allerdings war mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung, nicht ihre Unternehmen sollten Abhilfe schaffen, sondern die IT-Professionals selbst. Die OpenStack Foundation hat reagiert und bietet Kurse an, die zum "Certified OpenStack Administrator" qualifizieren und von IT-Unternehmen angeboten werden.

So hoch wie einst sind die Hürden für den OpenStack-Einstieg allerdings nicht mehr. Es fällt auf, dass selbst kleine Teams von vier oder fünf IT-Professionals große Private Clouds mit Tausenden Nodes aufgebaut haben und betreiben. "Für OpenStack sind nicht viele und hochkarätige Kenner erforderlich", bestätigte JR Rivers, CTO von Cumulus Networks. "Heute ist vieles einfacher als früher."

Allen Zögernden empfiehlt die Foundation die Nutzung von OpenStack in Form von Managed Services, wie sie beispielsweise Rackspace oder OVH in Europa anbieten. Weltweit gibt es 25 Provider, die in 60 Rechenzentren OpenStack-Public-Clouds betreiben. Die Foundation hat in Sydney ein "Open Stack Public Cloud Passport Program" gestartet. Es soll eine Kooperationsbasis für solche Anbieter bieten, Vergleichbarkeit der Angebote schaffen und es Anwendern erleichtern, OpenStack als Managed Service zu nutzen.

Der OpenStack-Höhenflug könnte noch ganz andere Höhen erreichen, als Analysten und Umfragen derzeit vermuten lassen. Denn noch wagt niemand einzuschätzen, wie sich Edge Computing auswirken wird. In einer Umfrage von SDxCentral haben 87 Prozent der Beteiligten bekundet, für das Management von Edge-Infrastrukturen OpenStack ins Auge zu fassen. Damit liegt OpenStack weit vor allen anderen Lösungen wie Kubernetes beziehungsweise nichtvirtualisiertem Linux oder Docker. Die häufige Betonung von Edge Computing lässt darauf schließen, dass die Foundation demnächst in dieser Richtung stärkere Aktivitäten entfalten wird. (ba)

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