Microsoft-Chefin Janik

Ohne Open Source geht gar nichts

Kommentar  06.09.2021
Von 
Marianne, Janik, Vorsitzenden der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland.
Spätestens unter der Führung von CEO Satya Nadella verabschiedete sich Microsoft von der Leitidee proprietärer Systeme. Deutschland-Chefin Marianne Janik erklärt, warum heute Open Source das Maß aller Dinge ist.
  • Mit dem Einsatz quelloffener Systeme können Betriebe Engpässe beim Fachpersonal auffangen und schnell digitale Innovationen schaffen.
  • Open Source schlägt Brücken zwischen Hunderttausenden Entwicklern rund um den Globus.
  • 35.000 Microsoft-Mitarbeiter*innen haben einen Github-Account.
Marianne Janik, Geschäftsführerin von Microsoft Deutschland, legt ein enthusiastisches Bekenntnis zu Open-Source-Software ab.
Marianne Janik, Geschäftsführerin von Microsoft Deutschland, legt ein enthusiastisches Bekenntnis zu Open-Source-Software ab.
Foto: Microsoft

Open Source ist eines der großen IT-Trendthemen unserer Zeit. 95 Prozent der IT-Manager*innen sagen laut "Handelsblatt" in einer internationalen Umfrage, dass der Einsatz offener Software ein wichtiger Bestandteil ihrer IT-Strategie ist. Das Marktforschungsinstitut Gartner geht davon aus, dass schon im kommenden Jahr etwa 70 Prozent der Software in Unternehmen auf Open Source basieren wird.

Bei neuen Applikationen ist der Anteil bereits jetzt höher: 96 Prozent der veröffentlichten Software-Anwendungen beinhalten Open-Source-Code, hat das Analysehaus Synopsis ermittelt. Die rasante Ausbreitung von Open Source hat dazu geführt, dass in zahlreichen Anwendungen Code aus verschiedenen Quellen läuft. Den nach wie vor häufig aufgemachten Gegensatz "proprietär vs. Open Source" gibt es in dieser Form gar nicht mehr. Eine klare Grenzziehung zwischen offener und kommerzieller Software ist weder möglich noch sinnvoll.

Open Source hilft Firmen, digitale Rückstände aufzuholen

Die Tektonik der IT-Welt verschiebt sich, Open Source wird künftig nahezu überall sein. Diesen Wandel zu verstehen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, ist für Unternehmen von zentraler Bedeutung. Denn der Trend zur Offenheit bietet ihnen die Möglichkeit, digitale Rückstände aufzuholen, Engpässe bei Fachkräften zu vermeiden und ihre kreativen und innovativen Potenziale erheblich zu steigern.

Warum die Open-Source-Bewegung so bedeutend ist, wird sichtbar, wenn man sie in die großen Entwicklungslinien der Informationstechnologie einordnet. IT war anfangs von Hardware geprägt. Erst ab den 1980er Jahren begann der Aufstieg kommerzieller Software, ab den 2000er Jahren etablierte sich Open Source als Alternative dazu. Aktuell sehen wir in der Cloud, dass Hardware und Software zusammenwachsen - und der Betrieb von Hardware plus Software zum Kern des Geschäfts von IT-Unternehmen wird.

Auch bei Microsoft ist Open Source der Code der Wahl

In den Cloud-Infrastrukturen der Hyperscaler ist Open Source schon heute vielfach der Code der Wahl, so auch bei Microsoft: Selbst in unserer eigenen Azure-Cloud laufen mehr Virtual Machines, die auf dem offenen Linux-Betriebssystem basieren, als auf Windows. Linux ist die am schnellsten wachsende Plattform in Azure. In Bereichen wie künstlicher Intelligenz, Big Data Analytics oder Quanten-Computing ist die Bedeutung von offener Software noch größer.

Open Source ist das vielleicht mächtigste Kollaborationstool der Welt. Im Kern ist es nichts anderes als ein Vehikel für Zusammenarbeit in der Software-Entwicklung. Es kennt keine Unternehmens- und keine Ländergrenzen, sondern schlägt Brücken zu hunderttausenden Entwicklern rund um den Globus. Wer Software mit Open Source entwickelt, kann den größten verfügbaren Entwicklerpool überhaupt anzapfen und dessen Ideenreichtum für gemeinsame Innovationen nutzen. Das hat angesichts des IT-Fachkräftemangels wesentliche Implikationen für die deutsche und europäische Wirtschaft.

Eine Fraunhofer-Studie im Auftrag der EU hat ausgerechnet, dass Open Source 2018 bis zu 95 Milliarden Euro zur Wirtschaftsleistung der EU beigetragen hat. Fast eine Milliarde Euro an Personalinvestitionen wären erforderlich gewesen, diese Entwicklungsleistung einzukaufen. Tendenz: weiter stark steigend. Doch um die Kraft von Open Source nutzen zu können, braucht es einen Kulturwandel. Die neue Offenheit beginnt in den Köpfen und ist die Voraussetzung dafür, nicht einfach Code aus anderen Quellen zu beziehen, sondern einen echten Anschluss an die Community zu finden. Es geht darum, produktiv mit ihr zusammenzuarbeiten, um kreative und innovative Potenziale zur Entfaltung zu bringen.

Microsoft hat einen weiten Weg zurückgelegt, um zu einem der größten Unterstützer von Open Source weltweit zu werden. Die Übernahme der führenden Entwicklerplattform GitHub ist ein sichtbares Zeichen dafür. Die Veränderungen sind aber tiefgreifender. Microsoft nutzt Open Source aktiv, etwa ein Drittel der konzerneigenen Cloud-Nutzung läuft auf Linux. Eine unternehmensweit gültige Richtlinie erleichtert es Mitarbeiter*innen, Open Source zu nutzen, Code zu Open-Source-Datenbanken beizusteuern und Open-Source-Software zu veröffentlichen. 35.000 Microsoft-Mitarbeiter*innen haben Github-Accounts und steuern Code zu Open-Source-Projekten bei.

Auf offenen Code folgt die offene Cloud

Wer die Open-Source-Kultur wirklich verinnerlicht, profitiert nicht nur bei der Software, sondern noch in ganz anderen Bereichen. Die logische Verlängerung der offenen Software ist die offene Cloud. Wo Software und Hardware zusammenwachsen und der Betrieb in den Mittelpunkt rückt, haben offene Standards und Schnittstellen zwei Effekte: Sie verringern Abhängigkeiten, weil beispielsweise Container dafür sorgen, dass Anwendungen leichter in andere Umgebungen umgezogen werden können - auch zu anderen Cloud-Anbietern. Standards schaffen aber auch die Freiheit, sich die stärksten Partner für gemeinsame Innovationen auszusuchen und sie in die eigenen Prozessen einzubinden, um gemeinsame Entwicklungen zu betreiben und zu vermarkten.

Infrastruktur und Kultur sind kongeniale Partner. Beide Elemente funktionieren nur im Zusammenspiel und dürfen nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Eine Kultur der Offenheit hilft bei der Bewältigung komplexer Herausforderungen, die im Alleingang gar nicht mehr möglich ist. Open Innovation gewinnt an Bedeutung, Unternehmen schließen Bündnisse und forschen gemeinsam mit Technologieunternehmen, Startups oder Firmen aus anderen Branchen an neuen Produkten und Dienstleistungen. Zulieferer und Kunden werden zu Entwicklungspartnern. Eine offene Cloud und erprobte Open-Source-Kollaborationstools sind die infrastrukturelle Basis, auf der sich die offene Kultur zu voller Blüte entfalten kann.

Beispiel Eclipse Dataspace Connector

Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt sich beim neuen Eclipse Dataspace Connector. Er ermöglicht es, Daten über Unternehmen, Branchen und verschiedene Clouds hinweg zu teilen - und dabei die Souveränität über die eigenen Daten zu behalten, weil sie nach vorab festgelegten Standards bereitgestellt werden. Der Connector wurde im Rahmen von Gaia-X mithilfe einer von Microsoft bereitgestellten Open-Source-Lösung entwickelt. Zu den Unterstützern zählen auch das Fraunhofer-Institut für Software und Systems Engineering (ISST), Daimler, BMW, die Deutsche Telekom, Amazon AWS, SAP und ZF Friedrichshafen.

Wer sich in die weltweite Community einbringt, kommt mit weniger Entwicklern aus und ist schneller innovativ, sagt die seit November 2020 amtierende Microsoft-Chefin in Deutschland.
Wer sich in die weltweite Community einbringt, kommt mit weniger Entwicklern aus und ist schneller innovativ, sagt die seit November 2020 amtierende Microsoft-Chefin in Deutschland.
Foto: Microsoft

Ein weiteres Beispiel ist die Open Manufacturing Platform, die Microsoft mit BMW ins Leben gerufen hat und an der inzwischen Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Branchen mitarbeiten, beispielsweise der weltgrößte Brauereikonzern Anheuser-Busch InBev. In Bereichen wie Konnektivität oder Sicherheit haben all diese Unternehmen viele identische Anforderungen. Dafür entwickeln sie gemeinsam Lösungen, die sie dann über die Plattform für alle bereitstellen. Das ermöglicht ihnen einen viel stärkeren Fokus auf die Anwendungen, die einen Wettbewerbsvorteil in ihrer Branche ausmachen. Laut McKinsey sind Unternehmen, die Open Source einsetzen, 30 Prozent innovativer als andere.

Technologieunternehmen bauen Brücken und bringen Communities zusammen

In der Open-Source-Welt wandelts sich die Rolle der Technologieunternehmen. Sie sind nun stärker gefragt, Open-Source-Entwicklungsprozesse zu moderieren. Sie bauen Brücken zwischen Unternehmen und Entwicklern, bringen die richtigen Communities zusammen und steuern komplexe Entwicklungsprojekte. Beim Thema Compliance zum Beispiel, wenn Software aufwändige rechtliche Anforderungen umsetzen und erfüllen muss, ist hochspezialisiertes Wissen erforderlich, das nicht nur Coder braucht, sondern auch Jurist*innen.

Die Technologieunternehmen müssen sich um den Betrieb von IT-Infrastrukturen zu kümmern und die Verfügbarkeit sicherstellen. Auch in der Open-Source-Welt werden Unternehmensstrukturen gebraucht, um Vertrauen, Verlässlichkeit und Verantwortung zu garantieren, die Unternehmenskunden benötigen. Deutschland ist dank seiner lebendigen Open-Source-Community gut aufgestellt. Die eingangs erwähnte Fraunhofer-Studie stellt fest, dass die europaweit meisten Beiträge aus Deutschland und Großbritannien kommen. Im Bereich Verschlüsselung etwa, einem bedeutenden Zukunftsthema, kamen entscheidende Impulse aus der deutschen Open-Source-Community.

Das Magazin Tech Republic hat Open Source einmal als "Werkzeug des Underdogs" beschrieben, und es ist viel Wahres daran. Mit der Möglichkeit, in kürzester Zeit immense Innovations- und Entwicklerressourcen zu mobilisieren, ist Open Source ein wichtiger Hebel, um schnell voran zu kommen. Wer an die Spitze will, sollte nicht darauf setzen, alles alleine zu machen. Sondern sich öffnen und die Potenziale nutzen, die sich daraus ergeben, mit klugen Köpfen auf der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. (hv)